Trans Autorin und Veteranin Drew Pham: „Queerfeindlichkeit ist tief verankert“

Drew Pham ist Veteranin der US-Armee und trans. Heute gebe es viele Offizier*innen, die sich zu ihrer Geschlechtsidentität bekennen. Doch Diskriminierung bleibe ein Problem.

Eine Person hält ein Schild hoch, auf dem Support Trans Vets steht

Die Veterans Day Parade in New York Foto: Craig Ruttle/Redux/laif

taz: Drew Pham, in Ihren Texten bezeichnen Sie sich selbst als desillu­sio­nierte Veteranin. 2011 kamen Sie aus dem Afghanistankrieg zurück. Worin bestand die Desillusionierung?

Drew Pham: Meine Erfahrungen beim Militär haben mich politisch radikalisiert. Ich kann heute nicht über Afghanistan und den Krieg sprechen, ohne die Gewalt zu benennen, die ich als trans Frau, als Kind von vietnamesischen Kriegsflüchtlingen, als queere Person of Color in den USA erlebe. Ich kenne kaum queere Veteran*innen, die tatsächlich stolz auf ihren Wehrdienst sind. Wie kann man stolz auf eine Struktur sein, in der Rassismus und Queerfeindlichkeit so tief verankert sind?

Queere Transgender-Autorin, Pädagogin, Veteranin der US-Armee und Kind von Kriegsflüchtlingen vietnamesischer Herkunft.

In ihrer schriftlichen Arbeit befasst sie sich mit verschiedenen Vermächtnissen von Gewalt. In ihrer darstellenden Arbeit versucht sie, Transgender-Sexualität zu normalisieren. Sie lebt mit ihren zwei Katzen in Brooklyn, New York.

Am Freitag (17. 6. 2022) hält sie im Rahmen der „Transitioning“-Konferenz in Berlin einen performativen Vortrag.

Die Wehrpflicht wurde in den USA bereits 1973 abgeschafft. Wer sind die Menschen, die heute zur Armee gehen?

Die Demografie der Streitkräfte entspricht immer mehr der der US-Bevölkerung. Meine Kavallerietruppe bestand zu 50 Prozent aus People of Color. Rekrutiert wird vor allem in Ar­bei­ter*in­nen­vier­teln. Für mich war ein Stipendium vom Militär die einzige Möglichkeit, mein gewaltvolles Elternhaus zu verlassen und zu studieren. Ich war in vielerlei Hinsicht geradezu prädestiniert, zur Armee zu gehen. Parallel zu meinem Studium wurde ich zur Offizierin ausgebildet. Viele Queers und trans Personen gehen zur Armee, um ihren Familien zu entkommen, oder aber, um mit Geschlechterrollen zu experimentieren. Meine Genderexperimente waren sehr asymmetrisch: Ich versuchte einem bestimmten Männlichkeitsbild zu entsprechen, aber konnte in meiner Rolle als Verantwortliche für eine Gruppe von Sol­da­t*in­nen auch fürsorglich oder gar mütterlich sein, ohne mich zu outen.

2011 wurde die Praxis von „Don’t ask, don’t tell“ („Frag nicht, sag nichts“) in den Streitkräften abgeschafft, die es Sol­da­t*in­nen bis dato verbot, sich zu outen oder queere Beziehungen innerhalb der Armee zu führen. Seit 2021 können trans Personen ohne Einschränkungen dienen, die medizinische Versorgung während einer Transition soll vom Militär gewährleistet werden. Was bringt mehr Diversität in der Armee?

Ich denke nicht, dass mehr Diversität in den Streitkräften irgendwo hinführt. Heutzutage gibt es trans Offizier*innen, die sich stolz zu ihrem trans Sein bekennen. Gleichzeitig bleiben Homophobie und sexuelle Übergriffe innerhalb der Strukturen ein großes Problem. Als „Don’t ask, don’t tell“ abgeschafft wurde, outeten sich manche Sol­da­t*in­nen um mich herum. Ich tat es nicht. In meiner Ausbildung zur Offizierin diente mir die Anpassung an ein normatives Männlichkeitsbild als Maske und Schutz, obwohl es sich unglaublich unauthentisch anfühlte.

Als der Truppenabzug aus Irak und Afghanistan begann, wurden oft zuerst queere Sol­da­t*in­nen aus den Einheiten geworfen, unter dem Vorwand von Fehlverhalten. So wurden ihnen die Leistungen verwehrt, die sie nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst gebraucht hätten. Ein solcher Rausschmiss kommt einem Eintrag ins Vorstrafenregister gleich. Pink­washing der Armee oder der Polizei ändert nichts an den Hauptzielen dieser Institutionen, nämlich Schutz von Privateigentum im Inland und Machterhalt und Profit im Ausland. Das Einzige, was wir mit diesen Institutionen machen können, ist, sie abzuschaffen und unsere Gesellschaft neu aufzubauen.

Gibt es Raum für die Perspektiven von Ve­te­ra­n*in­nen in der queerfeministischen und abolitionistischen Bewegung?

Auf jeden Fall! Wir Ve­te­ra­n*innen haben einen besonderen Einblick in die Organisationslogik des Militärs und wissen, wie der Machterhalt innerhalb der Strukturen funktioniert.

Welche Unterstützungsangebote gibt es für queere Veteran*innen?

Ich war früher in der Organisation Veterans Administration tätig, über die ich Zugang zu einer Selbsthilfegruppe für LGBTQI*-Veteran*innen bekam. Fast alle Frauen in dieser Gruppe waren trans Frauen, und das aus drei Generationen: von Ve­te­ra­n*in­nen aus dem Viet­nam­krieg über solche der Zwischenkriegszeit bis hin zu meiner Generation von Ve­te­ra­n*in­nen aus dem Afghanistankrieg. Obwohl wir von der Veterans Administration unterstützt werden, ist es schwer, zum Beispiel an transspezifische Medikamente und Gesundheitsversorgung zu kommen.

Wie steht es allgemein um die Rechte von trans Personen in den USA?

Ich habe den Überblick darüber verloren, welche Staaten bereits Antitransgesetze eingeführt haben. Auch in New York, einer als transfreundlich geltenden Stadt, werden trans Personen angegriffen und ermordet, vor allem trans Frauen. Meist werden diese Morde nicht mal als Hassverbrechen anerkannt. Am fehlenden Zugang zu transspezifischer Gesundheitsversorgung zeigt sich symptomatisch eine Reihe von gesellschaftlichen Problemen. Die Wartezeiten für geschlechtsangleichende Operationen erstrecken sich in vielen Fällen über Jahre, der Zugang zu Hormontherapien ist äußerst restriktiv – beides Zeichen unseres überlasteten und unzureichenden Gesundheitssystems.

Autorin, Pädagogin und Veteranin Drew Pham Foto: privat

Für bürokratische Schritte wie etwa eine Namensänderung ist es oftmals nötig, ei­ne*n An­wäl­t*in zu engagieren. Das können sich wiederum viele trans Personen nicht leisten. Der Staat hat kein Interesse daran, Menschen zu unterstützen, die die normative Ordnung destabilisieren und etwa mit dem Bild der heteronormativen, monogamen Ehe und Kleinfamilie brechen.

Auf der Konferenz sprechen Sie über die Konstruktion von Geschlecht und Sexualität in neoimperialistischen Gewaltsystemen. Was genau bedeutet das?

In den Kolonien waren die Kon­trolle und Regulierung von Sexualität enorm wichtig. Damit die Offiziere und Soldaten der kolonialen Verwaltung keine sexuellen Beziehungen untereinander anfingen, wurden Bordelle eingeführt. Es gab die Sorge, dass ihre ­Autoritätshörigkeit nachlässt, wenn sie anfangen, miteinander zu schlafen. In Afghanistan habe ich einen ganz ähnlichen Drang erlebt, die Sexualität innerhalb der Truppe zu kontrollieren. Es geht dabei um Machterhalt. Meine Transition und das Ablegen der mit Männlichkeit verbundenen Macht können als Verrat betrachtet werden. Was, wenn immer mehr Menschen erkennen, dass Macht nicht an ein bestimmtes Geschlecht und eine bestimmte Gesellschaftsordnung gebunden sein sollte?

Von 17. bis 19. Juni findet im Kunstquartier Bethanien die Konferenz ­„TRANSITIONING: Art, Politics & Technologies of Gender Change“ statt. Gender-Transitioning beschreibt den individuellen Prozess, die eigene Genderidentität und/oder die eigenen Geschlechtsmerkmale zu verändern.

Auf der 27. Konferenz des Berliner Disruption Network Lab widmen sich internationale Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Au­to­r*in­nen und Ak­ti­vis­t*in­nen den Dimensionen von Gender-Transitioning aus den Perspektiven der Politik, Medizin, Technologie, Kultur und Games. So gibt die ukrainische trans Aktivistin Anastasiia Yeva Domani etwa Einblick in die aktuelle Menschenrechtssituation von trans Personen in der Ukraine, insbesondere die erschwerte Ausreise von trans Frauen.

Außerdem umfasst das Programm eine Schau bislang unveröffentlichter Filmaufnahmen der amerikanischen Dragking-Ikone Diane Torr (1948–2017). Die Konferenzsprache ist Englisch.

Sie schreiben auch über die Erfahrung vietnamesischer Mi­gran­t*in­nen in den USA. Welche Rolle wurde dieser Gruppe nach dem Vietnamkrieg zugeschrieben?

Viele Boatpeople aus Vietnam kamen in den späten 70er und frühen 80er Jahren in den USA an. Ich wurde erst danach geboren. Als Kind wurde ich In Philadelphia, Pennsylvania, wo meine Großmutter damals lebte, von Ku-Klux-Klan-Anhängern durch die Straßen gejagt. Ich wuchs in Virginia auf, meine Klas­sen­ka­me­rad*in­nen dort gaben mir zu verstehen, dass Vietnam kein Land ist, sondern ein Krieg. Außerhalb von Kriegsfilmen gab es keinen Platz für uns in der US-Realität. Jedes Mal, wenn ich daran denke, dass ich in Afghanistan jemanden getötet habe, wird dieses Trauma auf alle anderen Traumata meines Aufwachsens und meiner Familiengeschichte gehäuft.

In Ihrem performativen Konferenzbeitrag geht es auch um „asymmetrische Guerillawerkzeuge“. Wie sehen diese aus?

Als Dichterin und Schriftstellerin will ich meinen Schü­le­r*in­nen und Le­se­r*in­nen vor allem eins mitgeben: zu lernen, hundertmal zu scheitern und Niederlagen zu ertragen. In sozialen Bewegungen gibt es oft die Vorstellung, dass das, was wir jetzt tun, uns morgen weiterbringen wird. Seit meiner Rückkehr aus Afghanistan 2011 hatte ich diese Hoffnung bei Occupy Wall Street, beim Arabischen Frühling, bei den Black-Lives-Matter-Protesten. Mittlerweile denke ich aber, dass das Einzige, was morgen auf uns wartet, ein weiteres Ringen und Kämpfen ist. Dafür brauchen wir besondere Guerillawerkzeuge, die ich im Aufbauen von queeren Communitystrukturen finde.

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