Zustand der Berliner Kleingewässer: Wenn der Frosch im Schilf verstummt

Der „Kleingewässerreport“ des BUND stellt den Teichen und Tümpeln Berlins ein mangelhaftes Zeugnis aus. Oft fehlt den Bezirken Geld für ihre Pflege.

Frosch im Wasser mit aufgeblasenen Schallblasen

Nicht lustig: Frösche finden immer weniger Paarungs-Orte in Berlin

BERLIN taz | Wenn er Berliner Teiche und Tümpel besichtige, erinnere er sich oft an den Öko-Klassiker „Silent Spring“ von 1962, sagt Norbert Prauser – nur dass es heute „Sommer ohne Frosch-Party“ heißen müsse. Prauser hat für den Landesverband des BUND Hunderte Klein- und Kleinstgewässer aufgesucht, um deren ökologischen Zustand einzuschätzen. Jetzt hat die Organisation den sechs Bezirke umfassenden Kleingewässerreport 2021/22 vorgelegt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Fast die Hälfte der untersuchten 353 Gewässer wiesen „gravierende Defizite“ auf.

Mit Abstand am besten schneidet dabei Steglitz-Zehlendorf ab, aber auch hier gibt es bei 28 Prozent Mängel: Manche Gewässer seien ausgetrocknet, andere komplett mit Schilf zugewachsen, wodurch sie als Biotop für viele Amphibien kaum nutzbar sind – Frösche brauchen eine in Teilen freie Wasserfläche, um sich fortzupflanzen.

Schlusslicht im Ranking ist Marzahn-Hellersdorf, wo dem Bericht zufolge fast 70 Prozent der Kleingewässer in einem mangelhaften Zustand sind. Über die untersuchten sechs Bezirke hinweg waren 47,5 Prozent trockengefallen, mit Schilf bedeckt – „Sukzession“ nennen Naturschutzexperten das – oder auch durch bauliche Maßnahmen zerstört worden.

Dabei schnitten Gewässer auf privaten Flächen am schlechtesten ab; die unter Obhut der bezirklichen Grünflächenämter waren wenig besser dran. Am besten geht es denen, die von den Berliner Wasserbetrieben (BWB) oder der Grün Berlin GmbH bewirtschaftet werden – wie zum Beispiel die Pfuhle und Weiher im Britzer Garten.

Die Gründe dafür sind laut Naturschutzexpertin Verena Fehlenberg vom BUND vielschichtig: Natürlich spiele der Klimawandel mit der zunehmenden Trockenheit eine wichtige Rolle, nicht weniger problematisch sei aber der menschliche Umgang mit den Gewässern, die unter Versiegelung ebenso litten wie unter fehlender Pflege durch die zuständigen Ämter.

Kein Geld für die Pflege

Die Bezirke haben laut BUND nämlich nicht ansatzweise das nötige Geld, um die Kleingewässer instand zu halten. Dazu gehöre auch, das Schilf, das nicht nur die Frösche verdrängt, sondern auch große Wassermengen verdunstet, im Winter zurückzuschneiden. „Vor hundert Jahren war das kein Thema“, sagt Prauser, „da war Schilfrohr noch ein begehrter Rohstoff.“

Dass die Bezirksämter kein Geld für Frosch und Molch haben, geht laut BUND auf das Jahr 2001 zurück: Da wurde im Rahmen der Bezirksreform die Zuständigkeit für die Pflege der meisten landeseigenen Gewässer den Bezirksämtern übertragen – nur um kurz darauf die Haushalte unter dem Motto „Sparen, bis es quietscht“ einzukürzen. Außerdem seien mittlerweile nicht mehr die Naturschutzämter, sondern die Straßen- und Grünflächenämter verantwortlich, wobei fast alle Kleingewässer pauschal in die unterste „Pflegeaufwandsklasse“ einsortiert worden seien. Eine Höherstufung sei möglich, setze aber ein aufwendiges Verfahren voraus.

In sechs Bezirken sind fast die Hälfte der Tümpel trockengefallen

Benedikt Lux, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, kennt das Geldproblem. „Es gibt zwar den Sonderfonds Grüne Stadt, aber der ist nicht so eng an einen Verwendungszweck gebunden.“ Einen möglichen Hebel sieht er darin, Gelder künftig klarer zuzuweisen, wie es schon bei der Pflege der Straßenbäume der Fall ist.

Darüber hinaus verweist Lux auf das Gewässerförderprogramm des Senats „Blaue Perlen für Berlin“, das ausgebaut werden müsse. Außerdem sollten die Wasserbetriebe stärker in die Pflicht genommen werden: „Von den mehr als 100 Millionen Euro, die die jährlich an Gewinn an das Land abführen, muss mehr in den Schutz der Kleingewässer gehen.“

Das sehen die Naturschützer genauso: Die BWB „mit ihren oft landschaftsbildenden Rückhaltebecken“ seien ein Großbetrieb mit mehreren tausend Angestellten und hohen Überschüssen, bei dem sich „Finanzkraft mit breit aufgestelltem Fachwissen“ treffe. „Mit derartiger Logistik wären die Wasserbetriebe ein idealer Partner für stadtweite Aufarbeitungen von Pflegerückständen und Aufwertungen der Biodiversität“, folgern die AutorInnen des BUND-Reports.

Erst mal eine Liste machen

Als Allererstes fordert der BUND ein Register der landesweit geschätzt 700 Klein- und Kleinstgewässer: Von den für den Report besichtigten Standorten waren über 30 Prozent weder in der amtlichen Gewässerkarte noch in Senats-Listen aufgeführt – zum Teil waren sie lediglich in speziellen Biotopkarten des Umweltatlas oder nirgendwo verzeichnet.

„Ein systematischer, vollständiger Überblick über die ökologischen Zustände aller Kleingewässer im Detail liegt in der Tat nicht vor“, räumt Jan Thomsen, Sprecher der Senatsverwaltung für Umwelt ein – es gebe aber „selbstverständlich Kenntnisse und Untersuchungen über einen beträchtlichen Teil davon“. Im Falle der stehenden Kleingewässer seien die Bezirke dabei, „systematisch die Zustände zu erfassen“, freilich „in unterschiedlichen Intensitäten“. Als positives Beispiel führt er Lichtenberg an: Dort gebe es Kooperationen mit der Senatsverwaltung, um die Gewässer zu überwachen und zu stabilisieren.

Laut Thomsen bedarf es eines strategischen Umgangs mit dem zunehmenden Wassermangel, einiges geschehe in dieser Hinsicht auch schon. Als Beispiel nennt der Sprecher von Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) Initiativen und Programme zum Regenwassermanagement. Dabei würden unter anderem gezielte Einleitungen von vorgereinigtem Regenwasser in konkrete Kleingewässer geprüft, um deren Wasserhaushalt zu stützen.

Übrigens erlebt Norbert Prauser auch erfreuliche Überraschungen auf seinen Touren: So fand er auf dem Gelände einer früheren Textilfabrik am Teltowkanal, der „Zehlendorfer Spinne“, sieben längst von der Natur eroberte und für die Öffentlichkeit unzugängliche Wasserbecken – in denen sich lautstarkes amphibisches Leben tummelt.

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