Sich vernetzen und wehren

Mietkämpfen im Film galt ein Abend im Bali Kino

Von Peter Nowak

„Wir sollen in die Satellitenstädte abgeschoben werden und Platz für Wohlhabende machen. Dagegen wehren wir uns“, rief die Frau entschlossen ins Mikrofon und bekam viel Applaus. Die Szene war Teil eines Protest von MieterInnen, der 1973 in Westberlin Schlagzeilen machte. BewohnerInnen rund um den Klausener Platz in Berlin-Charlottenburg wehrten sich gegen „Kahlschlagsanierung und Vertreibung“, so lauteten die Parolen auf den weißen Bettlaken, die aus den Fenstern hingen.

Dokumentiert hatte den MieterInnenkampf der Berliner Filmemacher Gerd Conradt in seinem „Videopionier“. Unter dem Titel „Geschichten zu Stadtsanierung und bezahlbaren Wohnen“ wurde diese 1983 fertiggestellte Langzeitbeobachtung der kämpferischen MieterInnen am Montag im Bali Kino zwei Videos von aktuellen Kämpfen um bezahlbaren Wohnungen in Berlin gegenübergestellt. Gedreht wurden sie vom Berliner Regisseur Matthias Coers. Der hatte vor 9 Jahren gemeinsam mit Gertrud Schulze Westenberg den Film „Mietrebellen“ gemacht und damit vielen AktivistInnen einen Namen gegeben. Auch von diesen Film war am Montag ein Ausschnitt zu sehen.

Da gingen ältere Frauen in den vorderen Reihe einer Demonstration mit. Eine von ihnen sagte: „Dass wir in unseren Alter noch mal demonstrieren müssen, aber wir wollen nicht unter Brücken schlafen.“ In einer anderen Filmszene ist die 70-jährige Frau Warnke zusehen, die durch eine Eigenbedarfskündigung aus ihrer Kreuzberger Wohnung verdrängt wurde. Coers erzählt: „Die Frau ist extra in eine Kinovorführung von „Mietrebellen“ gekommen, weil sie ihre Vertreibung nicht hinnehmen wollte und Unterstützung suchte.“ So bekommen die Dokumentarfilme eine neue Funktion. Betroffene kommen zusammen, schauen die Filme, verabreden sich zum gemeinsamen Widerstand.

Solche Ideen der Vernetzung schwebten Videopionier Conradt bereits vor 50 Jahren vor. „Ich arbeitete an der Universität als Videolehrer und dokumentierte am Feierabend unseren Protest am Klausener Platz“, erzählt er. In den Videos sammelte er Beweise, dass sich die geplante Sanierung gegen die Interessen der Bewohner richtete. Damit sollten weitere MitstreiterInnen gewonnen werden.

Denn damals war das Obrigkeitsdenken noch stark in den Köpfen, wie Frau Schütte in dem Film berichtete, die noch in der Monarchie zur Schule gegangen war. Deshalb spielten Frauen wie die Verkäuferin Ruth, die damals eine bekannte Sprecherin der MieterInneninitiative am Klausener Platz war, eine wichtige Rolle bei den Protesten. Sie würdigt Conradt in der Dokumentation besonders; einige Jahre später schied sie freiwillig aus dem Leben.

Menschen, die sich wehren, spielen auch in den Videos von Coers eine wichtige Rolle: Er porträtiert auch die BewohnerInnen der Duisburger Zinkhüttensiedlung, die sich erfolgreich für den Erhalt der von dem Architekten Max Taut gebauten Häuser einsetzen. Wenn sich auch in den fünf Jahrzehnten der Mietkämpfe die technischen Voraussetzungen für die Videoarbeit enorm verbessert haben, so fallen die Gemeinsamkeiten der MieterInnenproteste damals und heute ins Auge. Einen Unterschied allerdings sprach Conradt an. „Das Fernsehen war damals experimentierfreudiger.“ Der „Videopionier“ ist 1983 entstanden, weil er vom ZDF den Auftrag bekam, aus den in 10 Jahren gesammelten Dokumentarfilmen eine Fernsehsendung zu gestalten. Der Film „Mietrebellen“ wurde mittlerweile in mehrere Sprachen übersetzt, doch beim Regisseur hat sich bisher kein Sender gemeldet.