Spitzentennis in Berlin: Elite, aber nicht elitär

Der altehrwürdige Tennisverein LTTC erlebt ein Comeback. Im Grunewald trifft sich jetzt die internationale Tenniselite.

Eine echte US-Open-Siegerin in Berlin: die Kanadierin Bianca Andreescu im Steffi-Graf-Stadion Foto: Robert Prange/Getty Images Europe

BERLIN taz | Fährt man die Königsallee entlang, immer tiefer hinein in den Berliner Stadtteil Grunewald, werden die Villen zunehmend größer und sehen irgendwann aus wie kleine Schlösser. Nirgends Graffiti oder Müll auf der Straße. Berlin, die Schmuddelstadt, scheint weit weg. Hier leben die Immobilienmakler und Rechtsanwälte und danach sieht es auch aus.

Ein kleiner Weg, der Gottfried-von-Cramm-Weg, führt zum LTTC Rot-Weiß, dem ältesten und traditionsreichsten Tennisverein Berlins. Steffi Graf war hier Mitglied, in der goldenen Zeit des deutschen Tennis. Und Gottfried von Cramm, der in den 1930er Jahren einer der besten Tennisspieler der Welt war, eine Art Vorgänger von Boris Becker.

Der LTTC feiert in diesem Jahr ein Jubiläum, seinen 125. Geburtstag. Dazu wurde extra ein dickes Klubmagazin herausgegeben, das die lange Historie des Klubs noch einmal beleuchtet. Viele Berliner Bürgermeister, die hier schon zum Hände schütteln waren, sieht man auf den Fotos. Abgedruckt ist auch eine Chronologie der sogenannten Pfingstturniere, die ab Ende des 18. Jahrhunderts beim LTTC stattfanden und bei denen beinahe 25 Jahre lang eine gewisse Clara Gräfin von der Schulenberg die Dauersiegerin war.

Tennis war damals eben noch der Sport des Adels und noch nicht der Massensport, der er heute ist. Und man spielte in Weiß, was inzwischen etwas aus der Mode gekommen ist. Außer in Wimbledon. Und im Grunewald. Beim LTTC, genauso wie beim benachbarten Tennisclub Blau-Weiss, muss man immer noch in weißen Klamotten auflaufen, wenn man sich auf den Court begibt. „Eine wichtige Tradition“ sei das, sagt Lutz Müller, der beim LTTC als Klubkoordinator tätig ist.

Als elitär will er seinen Verein trotz dieses aus der Zeit gefallenen Dresscodes dennoch nicht verstanden wissen. „Exklusiv“ treffe es besser. Die 1.150 Euro Jahresbeitrag, die man zahlen muss, wenn man hier Mitglied sein möchte, könne sich nicht jeder leisten, das sei ihm auch klar. Aber man habe sich in den letzten Jahren mehr für Familien geöffnet, sagt er. Und Angestellte, die dafür bezahlt werden, dass sie den Mitgliedern nach einer Runde Tennis die Sandplätze abziehen, gebe es auch nicht mehr. Anders als bei Blau-Weiß, die sich diesen Luxus noch leisten.

Müller selbst, der früher mal als Tennistrainer gearbeitet hat und jetzt in leitender Funktion beim Klub tätig ist, wirkt auch alles andere als abgehoben. Auf die Frage, ob er Zeit habe, sich mit einem Journalisten zu treffen, auch wenn der von einer Zeitung kommt, die in Grunewald wahrscheinlich weniger gelesen wird als die FAZ oder die Financial Times sagt er sofort: „Für die taz immer.“

Der eigentliche Anlass für einen Besuch ist aber eigentlich weniger das Jubiläum des Klubs denn ein Blick zurück: Hier soll gerade wieder etwas Großes aufgebaut werden. Nicht nur für Berlin, sondern für ganz Tennis-Deutschland.

30 Jahre lang, bis 2008, war der LTTC Ausrichter der prestigeträchtigen German Open, einem der weltweit wichtigsten Tennisturniere für Frauen. Steffi Graf gewann es x-mal, das riesige Stadion auf der Anlage, das bis zu 7.000 Zuschauer fasst, wurde nach ihr benannt. Dann kam es zu Querelen mit dem Deutschen Tennis Bund und dem Land Katar, dessen Tennisverband irgendwann die German Open ausrichtete. Am Ende stand der LTTC ohne sein Turnier, dafür mit hohen Schulden da. Und das Steffi-Graf-Stadion, für das man keine richtige Verwendung mehr hatte, setzte langsam Moos an und rostete vor sich hin.

Doch jetzt gibt es einen Neustart. Seit dem letzten Jahr hat Berlin wieder ein großes Tennisturnier der Damen, das größte in Deutschland, so Lutz Müller. „Bett 1 Open“ nennt es sich, benannt nach dem Hauptsponsor, einem Berliner Hersteller von Billigmatratzen. Es müssen eben nicht immer nur Luxusmarken wie Rolex oder Porsche sein, die sich für Tennis interessieren.

30 Jahre lang, bis 2008, war der LTTC Ausrichter der prestigeträchtigen German Open, einem der weltweit wichtigsten Tennisturniere für die Frauen

Ausrichter des Turniers ist die österreichische Emotion Group, die vor ein paar Jahren einen passenden Klub für eine Zusammenarbeit suchte. Allerdings gab es eine Bedingung: es müsste auf Rasen ausgetragen werden. Und kurz vor Wimbledon stattfinden. Das sei bei dem bereits vollen Turnierplan im internationalen Damentennis die einzige Möglichkeit, ein solches Event zu etablieren.

Für den LTTC bedeutete das, drei der insgesamt 16 Sandplätze zu begrünen, vorneweg den Court im Steffi-Graf-Stadion. Und es bedeutete, den Mitgliedern zuzumuten, dass sie während der Zeit des Turniers selbst nicht frei spielen können. Also wurde in einer außerordentlichen Vereinssitzung über das Vorhaben abgestimmt, sagt Lutz Müller. Er selbst sei damals dagegen gewesen, sei aber inzwischen froh, dass zwei Drittel der Mitglieder das Turnier wollten. Jetzt sagt er, dass auf Gras den Schläger zu schwingen, was in Deutschland sonst fast nirgendwo möglich ist, „einfach geil“ sei. So, „als würde man Tennis im eigenen Garten spielen“.

Und so gehen die Bett 1 Open jetzt ins zweite Jahr. Und finden erstmalig ohne weitere Corona-Auflagen statt. 800.000 Dollar Preisgeld werden vergeben und es gibt ordentlich Weltranglistenpunkte zu holen. Gelockt werden die internationalen Tennisstars aber vor allem damit, so Müller, dass sie sich hier auf Wimbledon vorbereiten können. Der Greenkeeper, der sich um das empfindliche Gras kümmert, sei zudem derselbe, der auch die Beschaffenheit des Grüns in London kontrolliere.

Zwischendurch Currywurst

Leider haben Publikumsmag­neten wie Naomi Osaka und die aktuelle Weltranglistenerste Iga Swiatek kurzfristig ihre Teilnahme in Berlin wieder abgesagt. Aber wenn man in der ersten Runde das enge Match zwischen Katerina Siniaková und Bianca Andreescu, immerhin einer US-Open-Siegerin, im Steffi-Graf-Stadion sieht, ist auch das schon eine große Show. Man hat von der Bühne aus einen tollen Blick auf das Geschehen auf dem Platz und kann zwischendurch auf den Hundekehlesee blicken und Schwäne beobachten. Und man kann Currywurst mit Pommes essen, als befände man sich im Stadion von Union Berlin.

Nach der Partie schießt die Siegerin Andreescu drei Bälle ins Publikum. Die Dame, die den Ball mit dem aufgemalten Herz fängt, darf demnächst in einem der Hotels eines Sponsoren nächtigen.

Ende der Woche, am Finaltag, werden mehr als 20.000 Zuschauer beim LTTC gewesen sein, glaubt Müller. Ganz ordentlich und fast wie früher. Spitzentennis hat in Berlin wieder ein Zuhause gefunden.

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