Kita-Bericht zeigt vielerorts Defizite: Personal wird Kindern nicht gerecht

Der Paritätische Gesamtverband hat pädagogische Fachkräfte befragt. Nach ihrer eigenen Einschätzung können sie ihre Arbeit nicht mehr gut machen.

vier Kinder, die sich an den Händen halten

Foto: Monika Skolimowska/dpa

BREMEN taz | Einen Bericht über die Situation in deutschen Kindertagesstätten veröffentlichte am Dienstag der Paritätische Gesamtverband, ein Wohlfahrtsverband mit über 10.000 Mitgliedsorganisationen; etwa die Hälfte davon betreibt Einrichtungen der Kindertagesbetreuung. Dafür hatten in allen Bundesländern 1.171 Personen aus unterschiedlichen Kitas an einer Befragung teilgenommen. Die Ergebnisse überraschen niemand, der persönlichen Kontakt zu Er­zie­he­r:in­nen hat oder in den vergangenen zehn Jahren Medienberichte über die durch Untersuchungen belegte dramatische Personalnot zur Kenntnis genommen hat.

60 Prozent der Befragten gehen demnach davon aus, „dass sie mit dem gegenwärtigen Personalschlüssel den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden können“, schreibt der Verband in einer Pressemitteilung. Und: „Kindertageseinrichtungen in benachteiligten Sozialräumen sind davon besonders betroffen.“

Die Einschätzung fällt aber in den Bundesländern sehr unterschiedlich aus – auch im Norden gibt es Unterschiede. Während dies in Schleswig-Holstein 71 Prozent der Teilnehmenden bejahten und in Niedersachsen 72,4 Prozent, waren es in Hamburg 56,4 Prozent und in Bremen 38,9 Prozent – so wenig wie in keinem anderen Bundesland, aber immer noch über ein Drittel.

Über die individuelle Belastung sagt dies aber noch nichts aus, wie der Bericht vermerkt, da während der Pandemie der Krankenstand besonders hoch war – weil die Fachkräfte an Corona erkrankt waren oder aufgrund des erhöhten Stresslevels krank wurden und langfristig ausfielen. Zudem kann der vorgegebene Personalschlüssel häufig nicht eingehalten werden, weil Stellen mangels geeigneter Be­wer­be­r:in­nen unbesetzt bleiben.

Am stärksten wird dieses Problem in Schleswig-Holstein wahrgenommen: 74,2 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage zu, in Bremen 58,8 Prozent, in Niedersachsen 48,6 Prozent und in Hamburg 42,1 Prozent.

Die Pandemie hat an Kräften und Nerven gezehrt

In Schleswig-Holstein berichten auch die meisten Befragten von Überstunden. Knapp drei Viertel stimmten dort der Aussage zu: „Pädagogische Fachkräfte leisten regelmäßig Überstunden, um eine angemessene Betreuung der Kinder sicherzustellen.“ In Niedersachsen und Bremen waren es jeweils um die 60 Prozent, in Hamburg etwas über die Hälfte der Befragten.

Anfang Mai hatte die Hamburger Erzieherin Jessica Wohlers in der taz darüber berichtet. Weil sie regelmäßig so schlecht besetzt seien, würden sie und ihre Kol­le­g:in­nen alles, was nicht unmittelbar die Arbeit in der Gruppe betrifft, häufig in ihrer Freizeit erledigen, wie Elterngespräche vorbereiten oder die Entwicklung der Kinder dokumentieren.

„Wenn die Hälfte der Kindern weint, müssen wir priorisieren. Wer hat sich wehgetan? Die kommen zuerst dran. Die anderen, die,nur' traurig sind, müssen warten“, erzählte sie. „Das finde ich schlimm und seelisch belastend. Da kann ich nicht aus dem Raum gehen und sagen, ich schreib’ jetzt mal einen Entwicklungsbericht oder bereite etwas vor.“

Ein negatives Highlight bildet im Norden Niedersachsen in Bezug auf die Erzieher:innen-Ausbildung. 61,8 Prozent der Befragten verneinten die Aussage: „Fertig ausgebildete Er­zie­he­r:in­nen bringen die erforderlichen Kenntnisse zur Gestaltung des Kita-Alltages mit.“ In Bremen betrug der Wert ein Viertel, Hamburg und Schleswig-Holstein lagen dazwischen.

Was der Bericht nicht erfasst, ist die Zuspitzung der Belastung für die Fachkräfte im Jahresverlauf. „Vor Weihnachten und wie jetzt vor den Sommerferien ist es besonders schlimm“, sagt die Bremer Erzieherin Mara Jansen. „Da gehen alle auf dem Zahnfleisch.“ Das liege daran, dass die Kinder, vor allem die, die jetzt in die Schule kommen, „einfach durch“ seien, erzählt die 32-Jährige. „Die brauchen dann sehr viel Aufmerksamkeit.“

In diesem Jahr komme hinzu, dass auch sie und ihre Kol­le­g:in­nen am Ende ihrer Kräfte seien, weil die zwei Jahre Pandemie so an Kräften und Nerven gezerrt hätten. „Ich möchte das nicht noch zehn Jahre machen“, sagt sie. Sie studiere deshalb jetzt berufsbegleitend Soziale Arbeit.

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