Kunstprojekt in der Backstube: Beten, Backen, Spa

Künstlerin Irena Haiduk betreibt das Unternehmen Yugoexport. Jetzt lädt sie zu Backtagen in eine profanierte Ruhrpott-Kirche – mit Sauna.

Eine lange, zweimal geknickte Holztheke vor einer hölzernen Wand im Innenraum der ehemaligen Kirche

Haiduks Backstube: Wo früher ein Altar stand, steht nun eine lange Theke Foto: Urbane Künste Ruhr, 2022

Nähert man sich der ehemaligen Kirche St. Bonifatius im Gelsenkirchener Stadtteil Erle, so meint man, in einer Bäckerei gelandet zu sein. Mit dem knallig-pinken Logo des Unternehmens Zipper streckt sich ein Backcafé lang vor den kantigen Sakralbau, den Architekt Ernst von Rudloff 1964 für eine Gemeinde von Bergarbeitern und ihren Familien realisieren ließ. Tatsächlich hat der Bäckereiunternehmer Christian Zippert die profanierte Kirche 2016 gekauft und überlegt, in ihr eine Backstube einzurichten. Künstlerin Irena Haiduk stellt jetzt für einige Monate dort wirklich einen Backofen auf. Jeden Sonntag lädt sie nun zum gemeinschaftlichen Backtag.

Haiduks Projekt „Healing Complex“ ist im Auftrag von Urbane Künste Ruhr entstanden. Als deren künstlerische Leiterin Britta Peters hierfür vor vier Jahren Kontakt mit Irena Haiduk aufnahm, ging es noch nicht ums Backen. Haiduk recherchierte gerade zu einer Kultur des Heilens unter den antiken Griechen. „Die bauten das Krankenhaus am selben Ort wie das Theater und das Spa. Es ging ihnen dabei um das Zusammensein“, berichtet die 1982 in Belgrad Geborene bei der Eröffnung Anfang Juni.

Man kennt Haiduk vielleicht durch ihr Kunst-Unternehmen Yugoexport, mit dem sie alte Produkte des nicht mehr existierenden sozialistischen Jugoslawiens wieder auflegt. Durch Installationen wie Performances führt sie diese Gebrauchs- und Kleidungsartikel neu in den Wirtschaftskreislauf ein, wenn auch erst einmal nur in den der Kunst. Auf der documenta 14 ließ sie eine „Armee schöner Frauen“ in voller Yugoform durch Kassel spazieren.

Irena Haiduk: „Healing Complex“. Bis Ende November 2022. www.urbanekuensteruhr.de

Irena Haiduk schafft Ökonomien. Möglichst auch nachhaltige Ökonomien. Deshalb entwickelte sie für die St.-Bonifatius-Kirche einen zwar künstlerisch gestalteten, aber auch praktisch nutzbaren Raum. Unter der beeindruckenden, polygonalen Sichtbetondecke der Kirche steht nun eine lange Theke, wo früher der Altar war. Sie ist umgeben von Arbeitstischen und kleineren Sitzmodulen. Alle Möbel hat Haiduk selbst entworfen, sie sind verschiebbar, haben Klappen und Stauräume. Merkwürdige Symbole sind in die Theke eingelassen. Sie könnten von längst vergessenen Vorfahren oder unbekannten Zivilisationen stammen.

Mythisches trifft humorvoll auf einen Funktionalismus in dieser Arena des praktischen Mobiliars. Die noch etwas kahl wirkende Einrichtung aus hellem, unbehandeltem Holz soll auch der Ort eines eigenen Wirtschaftskreislaufs werden. Mit der Technik der Frottage können Besucher sich hier etwa selbst Geldscheine herstellen und damit vor Ort Getränke kaufen.

Die verlässlichere Währung

Selbst Geld zu produzieren und in Umlauf zu bringen ist ein Spiel, das an einer persönlichen Erfahrung der Künstlerin rührt: „Eine meiner ersten Erinnerungen ist der komplette Kollaps von Gesellschaft und Wirtschaft“, erzählt Irena Haiduk, deren Heimat Jugoslawien durch staatlichen Zerfall und blutige Auseinandersetzungen nicht mehr existiert. „Ich habe gelernt, dass Zahlungsmittel nur ein Papier mit einem Bild darauf sind. Wenn meine Mutter damals Lohn ausgezahlt bekam, schickte sie mich damit sofort los: ‚Kauf so viel Brot, wie du kriegen kannst!‘“ Und so kommt auch das Brot in ihre Installation. Für Haiduk ist es die vernünftigere, verlässlichere Währung.

Gemeinsame Backtage gab und gibt es in vielen Kulturen – in Athen, zum Beispiel, sind sie eine übliche Sache. Um Energie zu sparen, kommen die Menschen eines Dorfs oder Stadtviertels zusammen, bringen ihren Teig mit, backen das Brot für die nächste Woche. Genau das soll nun auch in der Gelsenkirchener St.-Bonifatius-Kirche stattfinden. An einem Ort, der schon immer von Migration geprägt war, können die Be­su­che­r:in­nen nun gemeinsam das anfertigen, was in jeder Kultur vorkommt: Brot. Um den Kreislaufgedanken von „Healing Complex“ abzurunden, will Irena Haiduk die Abwärme des Ofens im besten Fall für eine Sauna nutzen. Back & Spa also. Bleibt nur die Frage offen, ob das noch etwas unbelebte Community-Projekt wirklich auch zu einem solchen wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.