Rechtsextreme „Gruppe S.“: V-Mann aus Norddeutschland

War er vor der Verhaftung gewarnt? Im Verfahren gegen die „Gruppe S.“ ist womöglich ein Rechtsextremist aus Bad Bramstedt als V-Mann aufgeflogen.

Männer laufen auf einer Kundgebung an einem Auto vorbei

Thorsten K. (mitte) und Tony E. (rechts) am 29.9.2019 bei „Michel, wach endlich auf“ in Hamburg Foto: Pixelarchiv

HAMBURG taz | In der rechtsextremen Szene ist Thorsten K. anerkannt. Der stämmige Mann mit extrem kurzen Haaren hält keine großen Reden. Seit Jahren wirkt der 60-Jährige aber im Hintergrund: vermeintlich vertrauenswürdig und zuverlässig. In Hamburg organisierte er die „Merkel-muss-weg“-Demonstrationen (MMW) mit, in Schleswig-Holstein übernahm er Security-Aufgaben bei AfD-Veranstaltungen.

Das Vertrauen könnte nun verloren gegangen sein, die Anerkennung gesunken: Der Rechtsextremist aus Bad Bramstedt steht im Verdacht, ein Spitzel für eine Polizei- oder Geheimdienststelle zu sein.

Seit April vergangenen Jahres stehen zwölf Männer vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart. Der „Gruppe S.“ – die die Polizei nach ihrem Anführer Werner S. aus Mickhausen so bezeichnete – hält der Generalbundesanwalt vor, Anschläge auf Politiker:innen, Asylsuchende und Moscheen geplant zu haben, um durch einen Bürgerkrieg die Bundesregierung zu stürzen.

In den mittlerweile 70 Verhandlungstagen wurde immer wieder hinterfragt, welche Rolle K. dabei spielt, gegen den auch eigenständig ermittelt wird. Denn K. soll zusammen mit Thomas „Togger“ G. aus Hamburg und Ralph E. aus Witzhave angestrebt haben, sich der „Gruppe S.“ anzuschließen. Der Kontakt kam über Tony E. aus Brockhöfe zustande. Im Verfahren gilt E. als die rechte Hand von S., der in Norddeutschland Mitstreiter gewinnen sollte.

Eng mit der „Gruppe S.“ verbunden

Zwei Hinweise haben im Verfahren den Verdacht einer Spitzeltätigkeit vom K. verdichtet: Bei einem Telefonat des Senats mit dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg, in dem abgeklärt werden sollte, wann ein Polizist als Zeuge aussagen könnte, soll beiläufig erwähnt worden sein, dass die Er­mitt­le­r:in­nen K. als Vertrauensmann eines Geheimdienstes einschätzten.

Bei der Vernehmung eines LKA-Beamten fasste einer der Verteidiger im Prozess nach, wollte wissen, ob der Beamte gehört habe, dass K. ein V-Mann sei. Es sei „möglich, dass ich das gehört habe“, antwortete der Beamte. Er könne sich aber nicht „genau erinnern“. Ein weiterer Verteidiger wies auf eine Aktennotiz des Senats hin, in der das Telefonat mit dem LKA mit einem entsprechenden Hinweis vermerkt sei.

Auf die „Gruppe S.“ hatte Paul-Ludwig U. die Polizei aufmerksam gemacht. Ein halbes Jahr lang beobachtete das LKA die Männer, die aus sechs Bundesländern kommen. Im Februar 2020 schritten die Er­mitt­le­r:in­nen ein, stellten Handgranaten, eine Neun-Millimeter-Pistole, eine selbst gebaute Flinte, Dutzende Messer, eine Armbrust sowie massenweise Chatverläufe sicher.

Bei Thorsten W., Verwaltungsangestellter im Verkehrskommissariat der Polizei im nordrhein-westfälischen Hamm, fanden sie diverse NS-Devotionalien. U. ist nun Kronzeuge.

Treffen zu Weihnachten

Die Ermittlungen offenbaren, wie eng G., E. und K. mit der Gruppe verbunden waren. An der Elbe waren die drei durch die „Merkel muss weg“-Aktionen öffentlich bekannt geworden. 2019 trafen sie sich am 3. Oktober bei dem Aufmarsch „Wir für Deutschland“ mit Mitgliedern der „Gruppe S.“. Einen Tag später bat E., beim Organisationskreis von „Merkel muss weg“ mitmachen zu dürfen.

Knapp einen Monat später gründeten sie eine Chatgruppe namens „Besprechungs-Zimmer“, um ein Treffen mit S., dem Gründer der Gruppe, in Norddeutschland zu planen. Zu einer Weihnachtsfeier kam die „Merkel muss weg“-Gruppe mit E. zusammen.

In dem Netzwerk hält man viel von ehemaligen Bundeswehrsoldaten K. S. richtet im Chat „beste Grüße von Major K.“ aus. Ein Treffen bei E. in Brockhöfe visieren sie noch für den Dezember an, dann verschieben sie den Termin auf dem 8. Februar 2020, es soll nun in Minden stattfinden. Im Januar geht S. noch davon aus, das „Thorsten, Ralf und Togger“ kommen. K. soll auch überlegt haben, seine Lebensgefährtin einzuladen.

Die drei Männer reisen jedoch nicht an. Über den Verlauf des Treffens informierte E. sowohl K. als auch E. Die Strukturen seien weiter ausgebaut und auch schon Waffen besorgt worden.

Von Razzien verschont geblieben

Weil die drei nicht anreisten, waren sie auch nicht von den Razzien im Februar betroffen. Alle anderen damals Anwesenden kamen in Untersuchungshaft. Ist das Fortbleiben der Norddeutschen möglicherweise den Kontakten von K. geschuldet? Weder E., der 2018 für die AfD zur Kommunalwahl im Kreis Stormarn angetreten war, noch G., der mit der Identitären Bewegung Kampfsportübungen durchführte, oder K. sind im Verfahren Beschuldigte.

Die Hamburger Innenbehörde und der Verfassungsschutz äußern sich nicht zu der Frage, ob K. für sie gearbeitet habe. Schleswig-Holstein Innenministerium teilt mit, man sage grundsätzlich nichts zu Personalfragen.

In einer schriftlichen Anfrage fragt Deniz Celik,innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft, deshalb: „Hat der Hamburger Verfassungsschutz einen V-Mann geführt, der sich in rechtsterroristischen Kreisen bewegt hat und durch V-Mann-Sold indirekt die Hamburger Naziszene finanziert?

Und noch schlimmer: Hat der Verfassungsschutz möglicherweise Thorsten K. vor einer Teilnahme an dem entscheidenden Treffen der ‚Gruppe S.‘ gewarnt?“. Der Gedanke, schreibt Celik, sei „unerträglich“.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

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■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

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