Berufsschullehrerin über Pädagogik: „Wir sind nicht feinfühlig genug“

Es passiert auch pädagogischen Fachkräften, dass sie Kinder seelisch verletzen, sagt die Berufschullehrerin Birte Langhoff. Wichtig sei Reflektion.

Ein Junge sitzt auf einer Treppe

Seelische Verletzungen sind nicht auf den ersten Blick sichtbar Foto: Arno Burgi/dpa

taz: Frau Langhoff, Ihre Fachschule lädt zur Diskussion über ‚verletzendes Verhalten von pädagogischen Fachkräften‘. Was ist damit gemeint?

Birte Langhoff: Es geht hier um psychische und seelische Gewalt, die oft erst auf den zweiten Blick bemerkt werden. Das kann Beschämung oder Diskriminierung sein, es können rassistische Äußerungen sein oder dass man bei Übergriffen von Kindern untätig bleibt. Dazu zählen auch Demütigung, Ausgrenzung, Ablehnung, Abwertung und Vernachlässigung.

Es heißt im Titel: „Ich wollte dir nie weh tun“? Passiert all das ohne Absicht?

Ich glaube schon. Die meisten Menschen, die in pädagogische Berufe gehen, haben großes Interesse, gut zu sein für andere Menschen und das gelingt Ihnen auch. Doch wenn es zu seelischen Misshandlungen kommt, hinterlassen diese häufig auf den ersten Blick keine Spuren. Und doch sind es oft tiefe emotionale Wunden.

Haben Sie Beispiele dafür?

Ja, als ich im Rahmen eines Praxisbesuchs durch eine Krippengruppe ging, saß ein Kind auf dem Boden, schrie die ganze Zeit und war wirklich verzweifelt. Da wurde ich stutzig, weil ich dachte: Wieso werde ich jetzt begrüßt und keiner kümmert sich um dieses Kind? Und wenn dann die Erzieherin sagt, „das ist halt immer so, wenn der Bezugserzieher nicht da ist, der hört schon irgendwann auf“, dann ist das zwar eine Erklärung für sie, aber dem Kind ist damit ja nicht geholfen. Es ruft laut um Hilfe und die Menschen ignorieren es und gehen vorbei. Ich schäme mich heute noch, dass ich da nicht tiefer in das Gespräch gegangen bin.

„Ich wollte dir nie weh tun!“ – Ein Abend zum Thema verletzendes Verhalten von pädagogischen Fachkräften: Di, 14. 6., 19 bis 21 Uhr, Fachschule für Sozialpädagogik II in Hamburg-Altona, Max-Brauer-Allee 134

Vielleicht verlangt der Beruf, dass man Kinder schreien lässt, weil Personal fehlt?

Ja, das wird oft angeführt, auch in Wohngruppen für Kinder und Jugendliche hören wir das. Aber das ist meines Erachtens nicht der alleinige Grund. Ich denke, wir sind noch nicht feinfühlig genug für diese seelischen Verletzungen. Viele sagen: Das hat mir auch nicht geschadet.

Motto: Ich wurde selbst nicht nett erzogen, warum sollen die Kinder es besser haben?

Das könnte auch sein, wie auch alte Denkmuster. Ich höre Sätze wie „Heul doch nicht wie ein Mädchen“ oder „Lernst du das nie?“. Wir erleben auch in Ausnahmesituationen, dass Kinder zum Essen gezwungen werden.

47, ist Berufsschullehrerin an der Fachschule für Sozialpädagogik II in Hamburg-Altona.

Darf das eine Kita?

Nein. Auch das ist schon eine Form von Gewalt. Das gilt auch, wenn Kinder nicht gewickelt werden, damit sie lernen, nicht in die Hosen zu machen. Oder wenn ein einjähriges Kind einem anderen Kind ein Spielzeug auf den Kopf haut und die Fachkraft sagt im lauten Ton: „Geh für fünf Minuten im Flur auf die Bank und denk nach, was du gerade getan hast.“ Man muss keine Entwicklungspsychologin sein, um zu wissen: Das Kind versteht gar nicht, was es falsch gemacht hat und hat auch keine Idee, wie lang fünf Minuten sind.

Passiert so was oft?

Fragen wir in Seminaren, hat jeder so etwas erlebt. Oft ging man über solches Verhalten hinweg, weil es einzelne verbale Äußerungen sind und man sagt: „Meine Güte, die Erzieherin hat einen schlechten Tag oder ist vom alten Schlag.“

Ist das Thema der Erzieher-Ausbildung?

Ja. Reflexionskompetenz ist sogar ein Schwerpunkt. Was es so schwierig macht, ist, dass es mit ganz vielen Gefühlen verbunden ist – wenn man selber verletzt, aber auch wenn man verletzt wird. Es ist wichtig, dass wir mit den angehenden Fachkräften ihre eigenen Emotionen und die Gefühle anderer reflektieren, wie Ohnmacht, Trauer, Wut, Scham und Angst. Alle Menschen, mit denen pädagogische Fachkräfte arbeiten, befinden sich mit ihnen ja immer in Machtverhältnissen.

Ist nicht manch unwirsche Reaktion menschlich? Müssen Kinder lernen, das zu ertragen?

Das hört man oft. Aber Untersuchungen ergeben, dass es oft nicht bei einzelnen Situationen bleibt und es immer wieder die gleichen Kinder trifft und ihnen schadet. Deshalb dürfen wir diese Verletzungen nicht tolerieren.

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