Jonathan Kwesi Aikins über „Tatort“: „Ich habe diese Power verspürt“

Am Sonntag spielt Jonathan Kwesi Aikins wieder im „Tatort“ aus Norddeutschland. Er meint, dass Diversität im Fernsehen eine aufklärerische Wirkung hat.

Jonathan Kwesi Aikens schaut nach oben

Jonathan Kwesi Aikens: „Ich mag, wenn Menschen Leidenschaften ausleben“ Foto: Doro Zinn

taz: Herr Aikins, am Sonntag treten Sie im „Tatort“ auf, zum dritten Mal spielen Sie einen LKA-Beamten. Können Sie in drei Sätzen den Plot erzählen?

Jonathan Kwesi Aikins: Es geht um Undercover-Einsätze in der linken Szene, wo ein paar kriminelle Dinge passieren. Als die untersucht werden, stellt sich heraus, dass auch auf der Seite der Polizei Dinge nicht so gelaufen sind, wie sie hätten laufen sollen. Es gibt zudem eine Verwobenheit mit der Vergangenheit der Hauptkommissarin Julia Grosz – und es geht um die Frage des Kodex der Polizei.

Was für einen Kodex?

Ich meine den Verhaltenskodex, wie Polizisten ihre Arbeit machen und wie sie den Menschen, der Zivilgesellschaft gegenüber auftreten. Es geht darum, dass ich als Polizist kritisch sein muss gegenüber meiner eigenen Arbeit und auch mal kritisch sein muss gegenüber den Kollegen, wenn sie unrecht tun zum Beispiel.

Sind Sie der Good Cop oder der Bad Cop?

Der Polizist meiner Rolle, Thomas Okonjo, ist überzeugt, dass er gute Arbeit macht, indem er versucht, Menschen zu helfen und kriminelle Fälle aufzuklären. Sein Problem sind die Kollegen und Kolleginnen, die kriminelle Dinge tun. Er weiß das, möchte aber gleichzeitig den Fall aufklären.

Der Mensch Jonathan Kwesi Aikins wurde vor 32 Jahren in Berlin geboren. Er wuchs im Märkischen Viertel auf, einer Hochhaussiedlung im Norden der Stadt. Seine Eltern stammen aus Ghana und Deutschland. Aikins hat mehrere Halbgeschwister im Ausland und einen großen Bruder in Deutschland. Er lebt in Berlin-Neukölln und hat mit seiner Partnerin drei Kinder.

Die Entwicklung Als Jugendlicher hat Aikins einige Male die Schule gewechselt, unter anderem war er auf der Street University Berlin, einem Bildungsprojekt für Schulabbrecher. 2019 war sein erster Auftritt im „Tatort“ als LKA-Beamter Thomas Okonjo.

Der Tatort Der Hamburg-„Tatort“ „Schattenleben“ läuft am Sonntag um 20.15 Uhr. medien 22

Der NDR hat ja für diesen „Tatort“ erstmals einen „Inclusion Rider“ genutzt, also bei der Besetzung auf Diversität geachtet. Es wurden mehr nichtweiße Menschen eingestellt und besonders viele Frauen. Eine gute Idee, oder?

Ich finde es sogar sehr wichtig, den Facettenreichtum der Gesellschaft mehr widergespiegelt zu sehen am Set. Es ging ja nicht nur um die Besetzung vor der Kamera, sondern auch um die Jobs dahinter: wer die Geschichte schreibt, wer Ton macht et cetera. Das ist eine Chance, verschiedene Geschichten, Perspektiven, Erfahrungswelten zu vermitteln – und natürlich Zugänge zu ermöglichen für Menschen, die bis jetzt marginalisiert sind in der Branche. Das Schöne am „Tatort“ ist, da gibt es sehr viel Potenzial, die Gesellschaft etwas näher zusammenrücken zu lassen. Die Distanz wird überbrückt, wenn Menschen durch Schauspiel, durch Geschichten berührt werden und merken, wow, da ist ein Mensch hinter der „Fassade“, hinter diesem „Äußeren“, das ich bislang immer nur mit bestimmten Eigenschaften assoziiert habe.

Viele Schauspieler*innen, die nicht wie die typisch deutsche Kartoffel aussehen, erzählen, dass sie bei Rollenbesetzungen auf bestimmte Typen reduziert werden – wie Taxifahrer, Dealer, Mafioso. Erleben Sie das auch?

Ja, immer mal wieder. Aber ich merke auch, dass es eine langsame Veränderung gibt. Ich hoffe einfach, dass Menschen und ihre Geschichten vielfältig dargestellt werden.

Was für eine Veränderung spüren Sie denn?

Ich denke, dass Sendungen mit einem Edutainment-Ansatz viele Menschen erreichen können. „Tatort“ kann das weiter ausbauen. Es gab zum Beispiel mal eine Folge über den Oury-Jalloh-Fall

… ein junger Schwarzer, der in einer Polizeizelle in Dessau verbrannt ist – angeblich, so die Polizei, nach Selbstentzündung.

Nach der „Tatort“-Folge hat die Oury-Jalloh-Initiative, die den Tod für einen Polizisten-Mord hält, viele Mitteilungen von Leuten bekommen, dass sie sich, nachdem sie den „Tatort“ über den Fall gesehen haben, doch vorstellen können, dass es anders gelaufen sein kann, als die Polizei sagte. Das zeigt, wie viel Einfluss ein „Tatort“ haben kann.

Springen wir ein wenig zurück: Warum sind Sie eigentlich Schauspieler geworden?

Ich war auf der Suche, wollte etwas finden, was mir Spaß macht. Denn in der Schule habe ich mich nicht wohlgefühlt und gesehen, dass da einige Sachen ungesund sind für mich, für die Gesellschaft. Dann auf einmal habe ich diese Power verspürt, als ich mit einer Gruppe von Schwarzen Jugendlichen, wir waren Freunde und Freundinnen, ein Wochenende mit dem Theaterpädagogen Sebastian Fleary verbracht habe.

Wie alt waren Sie da?

Ungefähr 17. Der Theaterpädagoge hat mit uns unter anderem biografisch gearbeitet, aber auch körperlich. Es ging darum, seinen Körper wahrzunehmen in verschiedenen Situationen, in denen man sich ohnmächtig fühlt. Für die Mädchen zum Beispiel eine unangenehme Situation in einem Club, für die Jungs etwa eine Begegnung mit der Polizei. Oder Situationen in der Schule oder auch in den Medien. Wie fühlt sich der Körper an und wie möchten wir uns fühlen? Wie kann man versuchen damit umzugehen, wie kann man zur Balance kommen, wie sich befreien? Das ging so in Richtung Forumtheater/Theater der Unterdrückten von Augusto Boal.

Und was passierte nach dem Wochenende?

Es hat uns so viel Spaß gemacht, dass wir uns regelmäßig getroffen und ein Theaterstück zusammen entwickelt haben. Es hat ein paar Jahre gedauert, weil wir aus unterschiedlichen Orten Deutschlands kamen und der Theaterpädagoge tatsächlich etwa 28 Anträge schreiben musste, um Geld für uns zu bekommen.

Das hat er gemacht?

Ja! Damals wurden Empowerment-Projekte wie dieses noch nicht so unterstützt von der Politik, und er hat sich echt ins Zeug gelegt, damit wir uns weiter treffen konnten. Mit dem Stück, es hieß „real life: Deutschland“, hatten wir eine Deutschlandtournee. Und weil wir kein Geld hatten, hat uns die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland unterstützt und unter anderem überall Schlafplätze besorgt. Diese Erfahrung hat mich verändert.

Warum genau?

Ich habe die Wirkungsweise von Theater erlebt – in mir, aber auch in den Zuschauer*innen. Diese Berührung, diese Transformation, wenn wir merken, wir haben alle bestimmte Sehnsüchte, nicht nur Schwarze Menschen oder so. Es geht um Peace, Love, Unity, safely having fun: Diese Elemente sind das, wonach ich die ganze Zeit Sehnsucht hatte und die ich im Schauspiel gefunden habe. Das gibt mir Energie und ich gebe Energie. Es ist immer ein Geben und Nehmen: Ich gebe und nehme gleichzeitig.

Was genau war in der Schule eigentlich falsch gelaufen?

Dort herrschte für die meisten Menschen dieser Druck, nicht genug zu sein. Schule könnte aber ein Ort sein, um Leidenschaften zu leben und Potenziale auszuschöpfen, Fehlerfreundlichkeit zu lernen, in Human Skills zu wachsen. Lernen, wie man die Gesellschaft nachhaltig für alle verbessern kann. Für mich hat es keinen Sinn gemacht hinzugehen, wenn das nicht beigebracht wird. Ich mag lachen, Comedy – Schule wirkte immer so ernst. Ich mag, wenn Menschen Leidenschaften ausleben – in der Schule wurden die meisten gedeckelt. Es geht in der Schule nicht immer um Wertschätzung, sondern mehr um Produktivität. Und dann kommen noch Machtverhältnisse wie Rassismus und Klassismus dazu, die die Schulerfahrung beeinflussen. Und mit der Zeit merkst du, das hat einen negativen Effekt auf dich und deinen Alltag, wie du wahrgenommen wirst. Wenn ich um die Ecke komme, haben einige Menschen Assoziationen, die problematisch sind. Das ist übrigens das Schöne am Fernsehen.

Was jetzt?

Dass man mit den Bildern positive Assoziationen erschaffen kann. In dem „Tatort“ zum Beispiel trage ich die Haare nicht wie jetzt offen, sondern ich habe Cornrows/Braids – diese am Kopf geflochtenen Zöpfe. Ich habe schon vor längerer Zeit kapiert, dass viele Menschen negative Assoziationen damit haben – obwohl das eine jahrhundertealte Tradition ist von meinen Vorfahren, obwohl es Kunst ist und die Haare auch schön pflegt. „Protective Hairstyle“ sagt man auch dazu. Und das passt zu der Figur Thomas Okonjo. Deswegen wollte ich diesen Haarstil im „Tatort“ drinhaben.

Wie fanden das Ihre Eltern, als Sie nach dem ersten Workshop gesagt haben, ich mache das mit dem Theater weiter?

Das war sehr problematisch, weil ich angefangen hatte die Schule zu schwänzen. Ich war sowieso auf sechs verschiedenen Schulen, habe sehr viel durchgemacht – als „das Problemkind“. Ich habe noch einen älteren Bruder, neun Jahre älter, der ist eine ganz andere Richtung gegangen, akademisch. Als meine Mutter mitbekam, dass ich die Schule schwänzte und währenddessen Theaterproben machte, hat sie gesagt, das geht nicht.

Und dann?

Als sie mich einmal auf der Bühne gesehen hatte, hat sie es sofort verstanden. Sie sagte hinterher: Ich habe diese Energie gespürt, die du auf der Bühne hast und ich sehe, wie du angekommen bist und dich wohlfühlst. Aber sie hatte halt trotzdem Angst um mich. Deshalb bin ich später noch mal zurück zur Schule, in die elfte und zwölfte Klasse – aber am Ende habe ich trotzdem abgebrochen. Funfact: In den letzten zwei Jahren habe ich nebenbei Fortbildungen für Leh­re­r*in­nen gegeben.

Fortbildungen in was?

Es geht darum, Schule für alle besser zu machen und die Schulerfahrungen und Zugänge fairer zu gestalten. Es geht darum zu reflektieren und selbst zu erkennen: Wo trage ich bestimmte Vorurteilsmuster in mir und wie kann ich die Pädagogik bereichern mit diversitätsorientiertem Wissen? Wie kann ich mich mit anderen Menschen connecten, um Veränderungen systematisch zu erzeugen?

Wie kam es dazu, dass Sie solche Kurse geben?

Mund-zu-Mund-Propaganda. Ich hatte schon vorher angefangen, Empowerment-Workshops mit Kindern und Jugendlichen zu machen. Eigentlich so ähnlich wie mein erster Theater-Workshop. Es geht darum, Gefühle auszudrücken, über schwierige Themen zu reden, aber auch um Menschenrechtskenntnis.

Wie ging es weiter nach der ersten Erfahrung mit dem Jugendtheater? Haben Sie damals beschlossen, Schauspieler zu werden?

Ich habe gar nicht gesagt, dass ich Schauspieler werden möchte, weil ich konnte mit dem Begriff in Verbindung mit mir selbst nichts anfangen. Ich musste diesen Begriff für mich selbst erst mal entdecken und ihm eine Bedeutung aus mir heraus geben. Ich war nicht klassisch auf einer Schauspielschule, aber wollte immer lernen. Learning by doing, KollegInnen beobachten – ich habe einfach nur gemacht. Genauso wie diese Workshops für die Kinder. Ich habe Theater gespielt und Workshops gegeben, aber ich habe dem keinen Titel gegeben. Ich habe immer gesagt, ich bin „supporter of good things“, ich mache, was ich als gut empfinde.

Und irgendwann hat das erste „richtige“ Theater angeklopft.

Ja, genau, das war das Staatstheater Mainz. Ich war damals in der 12. Klasse und meine Lehrerin hatte mir gerade gesagt, dass sie will, dass ich noch mal wiederhole, das wäre besser für mein „Potenzial“. Da bin ich aufgestanden und zu dem Casting gegangen – und sie haben mich genommen.

Danach haben sie auch in Berlin Theater gespielt, oder?

Ja, am Gorki Theater unter anderem. Wir hatten auch eine eigene Theatergruppe namens „Liberation Noir“. Aicha Diallo, die Gründerin, hat damals gesagt, wir brauchen einen Ort, wo wir uns beschäftigen können mit Themen, die uns als Schwarze und Künst­le­r*in­nen interessieren. Das fand ich sehr, sehr wertvoll. Ich denke, es gilt, insgesamt Selbstorganisationen zu unterstützen, mit Geld, mit Räumen: Da stecken Schätze für die Gesellschaft, da sind Themen, die raus müssen.

Gab es irgendwann einen Punkt, wo Sie gesagt haben, jetzt bin ich Schauspieler?

Das kam eher so schleichend. Mit den Jahren. Als ich am Maxim Gorki Theater gespielt habe, fragte mich Cavo Kernich, ein Regisseur von der UdK, der Universität der Künste, der seinen Abschlussfilm machen wollte, ob ich die Hauptrolle spielen möchte. Ich hatte das noch nie gemacht und natürlich voll Bock, es auszuprobieren. Der Film „Mikel“ wurde bei der Berlinale eingereicht, ich wurde für den Götz-George-Schauspiel-Nachwuchs-Preis nominiert. In dieser Zeit fiel der Begriff Schauspieler immer öfter, ich kam in eine Agentur. Seither ist für mich nach und nach eine neue Welt aufgegangen

Dann kam der Glamour?

Das nicht. Aber in der Filmwelt dabei zu sein, war eine neue und schöne Erfahrung. Denn diese Welt war für mich vorher immer weit entfernt. Ich komme ja nicht aus einer Familie, die irgendwas mit der Filmbranche zu tun hat. Aber jetzt bin ich mittendrin. Ich bin einfach happy, Schauspieler zu sein und freue mich auf das, was kommt.

Was kommt denn als Nächstes und was würden Sie gerne mal machen?

Vor Kurzem durfte ich das erste Mal in einer Soko-Reihe mitspielen, das wird im August ausgestrahlt. Die Vorbereitung dafür war für mich außergewöhnlich schön, denn meine Tochter, die neun Jahre alt ist, hatte von sich aus angeboten, dabei zu helfen. Und dann ist sie mit mir nicht nur den Text immer und immer wieder durchgegangen. Sie hat richtig mitgespielt, war voll in den anderen Rollen drin und hat angefangen, ein Set zu designen. Nach dem zweiten Tag meinte sie: „Beim nächsten Mal, wenn du Text lernen musst, muss ich dir wieder helfen, denn es macht so viel Spaß!“ Ansonsten habe ich Lust auf verschiedenste Genres: Comedy, Action, Drama. Einen Vampir würde ich sehr gerne mal spielen – im Comedy-Genre wär das doch lustig.

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