Drastischer Lehrermangel in Berlin: Her mit den Logopäd*innen!

Der Lehrermangel wird vorerst bleiben. Zeit, darüber nachzudenken, wie man schwer vermittelbare Schulen attraktiver macht. Ein Wochenkommentar.

Ohne Leh­re­r*in geht hier gar nichts: Klassenzimmer in Berlin Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Wenn das Tischtuch einfach zu kurz ist, kann man ziehen und zerren, wie man will – es passt einfach nicht. Irgendwo bleibt immer etwas bloßgelegt. Und entblößt werden bei der anhaltenden Misere um immer mehr fehlende Lehrkräfte für die Berliner Schulen vor allem die Fehler der Vergangenheit.

Viel zu spät haben die Universitäten vor einigen Jahren begonnen, ihre Ausbildungskapazitäten fürs Lehramt hochzufahren. Und irgendwie sind sie auch noch in der Mitte stecken geblieben: 2.000 Lehr­amts­ab­sol­ven­t*in­nen pro Jahr sind das gesteckte Ziel, aber nur rund 900 werden tatsächlich fertig. Das liegt nicht allein an den Unis, die selbst unter Lehrkräftemangel leiden, sondern auch daran, dass doch nicht so viele junge Leute auf Lehramt studieren wollen, wie gedacht.

Nun fehlen jedes Schuljahr mehr Lehrer*innen, die Lücke vergrößert sich, weil gleichzeitig die Zahl der Schü­le­r*in­nen wächst, und das Potenzial bei den Quer­ein­stei­ge­r*in­nen stagniert. Zum Start des kommenden Schuljahrs im August werden es erstmals knapp 1.000 sein – 920, um genau zu sein, wie Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) diese Woche erklärt hat.

Wobei es in dieser Stadt gut sein kann, dass der eine Schulleiter kaum etwas mitkriegt von dem Kampf um die Fachkräfte – weil er zum Beispiel in einem gut situierten Stadtteil ein Gymnasium leitet, auf das alle fliegen: die bildungsbewussten Eltern im Kiez und die jungen Lehrkräfte auch, weil sie sich hier motivierte Kinder und weniger Stress versprechen (die übermotivierten Eltern nimmt man in Kauf).

Dann ist da aber auch die Schulleiterin an einer Sekundarschule irgendwo im sogenannten Brennpunkt, die überhaupt keine Bewerbungen von ausgebildeten Leh­re­r*in­nen bekommt – obwohl gerade sie dringend Fachkompetenz an ihrer Schule bräuchte, für Sprachförderunterricht, überhaupt für Förderunterricht, und für das Anleiten der Quereinsteigenden, die überproportional häufig bei ihr landen, weil sich der Kollege am Gymnasium seine Leute ja aussuchen kann.

Das ist, nur wenig überspitzt, die ungerechte Realtität an den Berliner Schulen. Senatorin Busse will nun die Mangelwirtschaft etwas gerechter machen, indem sie solchen Schulen, die gut ausgestattet sind, die Einstellung der nächsten Mathelehrerin verwehrt – die Lehrerin bekommt dann stattdessen andere Schulen angeboten, die ihre Hilfe dringender brauchen.

Angebot und Nachfrage

Nun gehorcht aber auch der Arbeitsmarkt dem Gesetz von Angebot und Nachfrage – und ob sich das Prinzip, beziehungsweise die Teil­neh­me­r*in­nen an diesem Markttreiben, so plump austricksen lassen, das sei mal vorsichtig bezweifelt. Leh­re­r*in­nen werden überall gesucht, nicht nur in Berlin.

Weshalb es im Übrigen völlig unsinnig ist, zu viele Hoffnungen auf die Verbeamtung zu setzen: Wer, sagen wir, seit 10 Jahren in Baden-Württemberg oder Brandenburg sein Haus, seinen Job und seine Familie hat, der wird vermutlich auch da bleiben. Berlin hat mit der Wiederverbeamtung keinen Nachteil mehr im Vergleich zu anderen Bundesländern – aber eben auch keinen Vorteil.

Man kann Leh­re­r*in­nen nicht vorwerfen, dass sie sich ihren Arbeitsplatz aussuchen wollen – und dann nicht jubelnd den mit der schlechtesten Personalausstattung wählen. Im Gegenteil: Während des Wartens auf den demografischen Wandel (wieder abnehmende Schüler*innenzahlen) und die Unis (mehr Studienplätze sollen 2023 ausgehandelt werden) müssen die Arbeitsplätze schon einmal besser, sprich: die Schulen in den Brennpunkten attraktiver werden.

Die Schulen dürfen jetzt auch Lo­go­pä­d*­in­nen und Er­go­the­ra­peu­t*in­nen einstellen, auch das Budget für die pädagogischen Unterrichtshilfen wurde im Haushalt aufgestockt. Alles bloß Kosmetik, damit man den eigentlich noch krasseren Leh­rer*­in­nen­man­gel nicht merkt? Falsch, oder vielmehr: egal.

Sozialraum Schule ausbauen

Vielmehr sollte man anerkennen, dass Lo­go­pä­d*in­nen und Schulsozialarbeit an manchen Schulen überhaupt erst die Voraussetzungen dafür schaffen können, dass so etwas wie Fachunterricht möglich ist. Seit Jahren betonen Fachleute, dass Lernen nicht bloß Mathe und Deutsch ist, sie sprechen vom „Sozialraum“ Schule – und wie wichtig der ist, haben gerade erst die Pandemiejahre klar gemacht.

Manchen Kindern würde es vielleicht helfen, man reduzierte den Fachunterricht zugunsten von Förder- und Projektunterricht oder AG-Arbeit. Vielleicht würde es diese Schulen, wenn sie das denn dürften, sogar zu attraktiveren Arbeitsorten machen. Und dann käme vielleicht auch die nächste Ma­the­leh­re­r*in von ganz alleine.

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Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

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