Hype um Online-Zertifikate: Einzigartiger Müll

NFTs schaffen künstliche Einzigartigkeit. Sie kommerzialisieren das Internet, frei nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben.

Cartoon-Bild von einem Affenkopf, der Hintergrund ist türkis

„Bored Ape“ Ausschnitt ist Teil der NFT Kollektion Foto: Universal via reuters

BERLIN taz | Für 1,3 Millionen US-Dollar lässt sich viel kaufen. Justin Bieber erwarb kürzlich damit das Abbild eines gelangweilten Affen. Den hängt er sich aber nicht ins Wohnzimmer, denn es handelt sich um ein Online-Zertifikat, ein NFT, Non-Fungible Token. Übersetzt heißt das in etwa: nicht übertragbarer Gutschein. 10.000 Affen verkauft der „Bored Ape Yachtclub“ vierer anonymer Künst­le­r:in­nen als digitale Kunst.

Dahinter steckt nach Kryptowährung der nächste Internet-Hype. NFTs schaffen vermeintlich Einzigartigkeit. Sie stellen einen Grundbucheintrag fürs Internet dar. Er hält fest, wer Ori­gi­nal­be­sit­ze­r:in einer Datei, wie etwa Justin Biebers Affenbild, ist. Die Tokens bescheinigen damit unverfälschliches Eigentum. Sie lassen sich in Kryptowährung ersteigern, kaufen oder verkaufen. Künstler:innen, die Galerie König, Haftbefehl, selbst der WWF glaubt daran. Wieso?

Jörg Bibow ist Wirtschaftsprofessor am Skidmore College und forscht schon lange zum digitalen Geldmarkt. Er hält NFTs für eine Modeerscheinung. „Sie schaffen keinerlei gesellschaftlichen Nutzen und ähneln dem Glücksspiel“, sagt er. Es fehle wie bei Kryptowährungen an Regulierung, Kriminelle könnten Geld waschen, Käu­fe­r:in­nen seien nicht vor Betrug geschützt. Genau das biete aber das Bankensystem.

„Dahinter verbirgt sich nichts Neues, vor allem schöpfen NFTs keinen echten Wert“, sagt Ökonom Bibow. Sie tauchen auf, weil der Kapitalismus immer neue Wege sucht, Geld zu verspekulieren. Das ging im Internet bisher allerdings nur bedingt auf – wegen der dort lange vorherrschenden Gratiskultur. Dort ziehen die NFTs aber auch ein: Ausgesuchte Sammler könnten ihre NFTs bald auf Instagram zeigen, kündigte Meta-Chef Mark Zuckerberg vor wenigen Tagen an.

Haftbefehl beteiligt sich

Ein Lied oder Bild, das jemand als „Creative Commons“ hochlädt, ist für je­de:n frei nutzbar. Kostenlose Lernvideos ersetzen für manche die Lehrerin oder Privatunterricht. Lustige Bildchen verbreiten sich in Sekundenschnelle. Diese kostenlosen Memes werden im Kapitalismus zur Ware, er wandelt sie zu einmaligen NFTs.

Rapper Haftbefehl veröffentlicht nun eine NFT-Kollektion: Wer ein Token des „Chabo Drop“ erwirbt, chattet mit Haftbefehl oder erhält VIP-Zugang zu seinen Konzerten. Mit dieser „Creator Economy“ unterstützen Fans Künst­le­r:in­nen direkt, ohne Mittler. Das verbirgt sich scheinbar hinter NFTs und Kryptowährungen.

Autor und Filmkritiker Wolfgang M. Schmitt beruft sich auf Marx, um die heutigen Krisen des Kapitalismus zu verstehen. In seinen Podcasts betreibt er Ideologiekritik. Dafür bittet er um Spenden, auf traditionelle Art: „Mit einer Banküberweisung unterstützt man Künstler am effektivsten“, sagt Schmitt. Bei NFTs hingegen gebe es wegen der Wallets Transaktionsgebühren von bis zu 17 Prozent. „Das wäre bei Kreditkarten unvorstellbar“. Der Reiz des Neuen vernebele vielen die Sicht.

Selbst der Umweltverband WWF setzt inzwischen auf den Hype. „Krypto-Kunst für Artenschutz“, verspricht er mit seinen „Non-Fungible Animals“, kurz „NFA“. Wer ein digitales Tier kaufen und damit spenden möchte, muss mit Kryptowährung handeln. Allein Bitcoin verbraucht jährlich rund 125 Terawattstunden Strom pro Jahr, so die University of Cambridge 2022. Das macht 0,6 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs aus. Wie lässt sich das mit Umwelt- und Artenschutz vereinen?

Der WWF setzt auf die Blockchain

Der WWF verwendet die Kryptowährung Polygon, angeblich eine „Blockchain mit sehr geringem Energieverbrauch“. Und auch Ökonom Bibow sieht viel Potenzial in der Technik, etwa bei Auslandsüberweisungen. „Als Bankersatz oder Währungen taugen Bitcoin und NFTs aber nicht. Damit begeben wir uns zurück in die Steinzeit“. Schließlich gebe es mit Kryptowährungen keine Errungenschaften wie die Einlagensicherung.

Wolfgang M. Schmitt ist ebenfalls skeptisch. „NFTs sind symptomatisch für den Kapitalismus“, wie sich an mehreren Aspekten zeige. Zunächst trieben sie den Marx'schen Warenfetisch auf die Spitze. Der Kapitalismus verknappe künstlich und schaffe so den Wert – der ohnehin bei NFTs fragwürdig sei. NFTs bedienten zudem die „Eigentumsideologie“, sagt Schmitt. Der Mensch im Kapitalismus müsse besitzen wollen, auch wenn überhaupt kein Bedarf besteht. Daher dürste es ihn etwa nach dem Abbild eines gelangweilten Affen.

Der Kapitalismus habe außerdem immer mehr zuvor nicht-kommerzialisierte Räume und Güter erschlossen. „Wenn Sie heute durch die Stadt spazieren, gibt es kaum etwas, für das Sie kein Geld bezahlen müssen. Man kann schon froh sein, wenn eine Parkbank vorhanden ist“, sagt Schmitt. Das gelte auch im Digitalen. Der Kapitalismus kommerzialisiert, wo es nur geht. Nun eben die Gratis-Kultur in Form von NFTs.

Wenige besitzen viel

Schließlich propagierten Krypto-Jünger, Teil einer Anarcho-Rebellion zu sein. Sie demokratisierten Geld und schafften den Staat ab. Die Realität sieht anders aus. Tatsächlich folgen Kryptowährung und NFTs dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben.

0,01 Prozent der Nut­ze­r:in­nen besitzen 27 Prozent der weltweiten Bitcoins, zeigt eine aktuelle Studie der Wirt­schafts­wis­sen­schaft­le­r:in­nen Antoinette Schoar und Igor Makarov. Bei NFTs zeigt sich das gleiche Bild. Laut Marktforschungsinstitut Moonstream halten 17 Prozent der Wallet-Adressen mehr als 80 Prozent aller Ethereum-NFTs.

Vermögen konzentriert sich im Kapitalismus und fördert die Ungleichheit. NFTs scheinen da wie ein weiteres Vehikel des Kapitals. Wenn Influencerin Diana zur Löwen, Rapper Haftbefehl oder Youtuber Julien Bam nun mit NFTs handeln, dann profitiert, wer ohnehin schon reich ist. Investmentfirmen wie KKR verdienen dagegen ihr Geld mit den Auktionsplattformen für NFTs, statt mit den Tokens zu handeln. Wer nicht so reich ist, muss zusehen, wie die Justin Biebers dieser Welt haarige Affen erstehen. Es mag Schlimmeres geben.

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