Klassismus-Performance in Hamburg-Altona: Die Tänzerin und ihr Werkzeugkoffer

Mutig: Die Performerin Verena Brakonier setzt sich mit dem Klassismus auch des eigenen Betriebs auseinander – in einer Kfz-Werkstatt.

Eine junge Frau in rosa T-Shirt hält einen Autoreifen vor ihr gesicht

Auto-Fiktion: Verena Brakonier geht an ihre eigenen Ursprünge Foto: Jonas WoltemateJonas Woltemate

HAMBURG taz | Was hat eine Hebe- mit einer Theaterbühne zu tun? Was eine Autowerkstatt mit einem Ballettsaal? Nichts. Und dieses Nichts ist verdammt viel. Es erzählt von Klassismus, Ausgrenzung und Chancenungleichheit.

Das alles sind – auch autobiografische – Beweggründe für Verena Brakonier, diesen Themen einen Raum zu geben. „Es braucht mehr Aufmerksamkeit für unterschiedliche Lebensrealitäten“, bemerkt sie. Auch und vor allem in der Kunst. „Ich glaube, es wird zu wenig über Privilegien gesprochen, und das aufzuzeigen, ist total wichtig“, fährt sie fort, „Klassismus und die Vorurteile zum Beispiel gegenüber Menschen, die von Armut betroffen sind, das geht durch Leib und Seele. Das geht überall hin. Klassismus zeigt sich besonders stark in den Institutionen und im Kulturbetrieb. Das war so ein Aha-Moment für mich: zu merken, wie sich das Thema durch alles durchzieht. Welche Kunst als wertig gesehen wird, wie etwa zwischen E-und U-Musik unterschieden wird oder zwischen Cello und Blockflöte.“

Teil der eigenen Geschichte

In und mit ihrem Solo „Auto-Fiktion: Der Struggle so real“ lädt die Hamburger Tänzerin und Choreografin in die Autowerkstatt Altona ein. Und offenbart damit einen Teil ihrer eigenen Geschichte: Brakoniers Eltern betrieben eine Kfz-Werkstatt, sie ist Arbeiterkind. „Lange Zeit habe ich versucht, meine Herkunft zu vertuschen“, erzählt sie, „und habe mich an die Codes, an die Haltung und den Habitus in meinem Umfeld angepasst. Irgendwann habe ich angefangen, damit zu kokettieren, dass ich in einer Autowerkstatt aufgewachsen und heute Tänzerin bin. Aber was es wirklich bedeutet, die Scham, die ich empfinde, wenn ich mich nicht am richtigen Platz fühle, was das mit mir macht – das habe ich nicht thematisiert.“ Mittlerweile stellt sie ihre Herkunft ihrer Biografie voran.

Dafür braucht es Mut. Genauso wie für das Stück. Es ist, nach acht Jahren, in denen sie vor allem kollektiv gearbeitet hat – unter anderem mit dem Schwabinggrad Ballett und Sylvi Kretzschmars Megafonchor, einer politischen Performance gegen den Abriss der Esso-Häuser auf Sankt Pauli – ihr erstes Solo. Darin erzählt Brakonier von Erlebnissen und Erinnerungen aus ihrer Kindheit.

Was wahr ist und was nicht, bleibt unklar: Es ist eine Autofiktion. Und doch steckt sehr viel Persönliches in der Arbeit von Verena Brakonier. Deren Bildungsbiografie keine stringente ist. Die von den Eltern einer Schulfreundin zum ersten Mal zu einem Pina-Bausch-Aufführung mitgenommen und von eben jenem Vater später ins Auto gepackt und zum Tanzgymnasium nach Essen-Werden gefahren wurde. „Das hat dann geklappt. Vielleicht wäre ich jetzt sonst Chemielaborantin“, konstatiert Brakonier ruhig.

Da war jemand von außen, der Kapazitäten hatte und ein Verständnis für Tanz und Kunst. „Das ist einfach ein anderes Kapital“, erklärt sie. Das hätte ihre eigene Mutter gar nicht gekonnt. Dass die sie in frühen Jahren regelmäßig zur Ballettschule im Nachbarort fuhr, war keine Selbstverständlichkeit. „In anderen Familien ist es klar, da gehört es zum guten Ton, dass die Tochter gefördert wird.“ In ihrem Fall war das eine Ausnahme, auch geboren aus dem Wunsch der Mutter heraus, dass es ihrer Tochter mal besser geht.

Politischen Aktivismus versteht Brakonier mittlerweile als Teil und Antrieb ihrer künstlerischen Arbeit. „Lange war ich auf der Suche nach dem Thema, was bewegt mich, wer ist mein Publikum, für wen mache ich das?“ Nach einem Workshop bei der An­thro­po­lo­g*in und An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­trai­ne­r*in Francis Seeck zum Thema Klassismus sei der Knoten geplatzt.

„Ich bin ja selbst Ar­bei­te­r*in­nen­kind und ich habe gemerkt, dass es zu diesem Thema eine Verbindung gibt, die mir künstlerisch Kraft gibt.“ 2019 war das. 2020 gründet sie den Blog „class matters – immer noch“, organisiert einmal im Monat online das Austauschformat „Anonyme Arbeiter:innenkinder“ für Betroffene im Kunst- und Kulturbereich, realisiert 2021 mit Jivan Frenster und Greta Granderath den Kurzfilm „Hände“, der fragt, ob Klassenherkunft und -zugehörigkeit an den Händen abzulesen ist.

Auto-Fiktion: Der Struggle so real“. Premiere: 10. 6., weitere Termine 11. & 12. 6., jeweils 20.15 Uhr, Hamburg, Autowerkstatt Altona, Norderreihe 59.

Infos auf www.lichthof-theater.de, Eintritt frei, Anmeldung unter: autofiktiontickets@gmail.com

Erforschung unterschiedlicher Milieus

Ihr Stück ist eine Forschungsreise zwischen unterschiedlichen Milieus, männerdominierten Arbeitswelten und der sogenannten „Hochkultur“ – und es ist nicht zuletzt der Versuch, mit freiem Eintritt und dem Site-Specific „Autowerkstatt“ auch ein anderes Publikum zu erreichen. Auf die Zu­schaue­r*in­nen warten Bierbänke und Getränke, auf die Tänzerin und ihr Team aus Hamburger Künst­le­r*in­nen eine ungewöhnliche Bühne zwischen Reifen, Autoteilen und Waschpaste.

„Dahin komme ich mit meinem eigenen Werkzeugkoffer, mit Tanz und Text, mit Musik, Gesang, mit performativen Abschnitten und mit einer Nebelmaschine. Das sind die Techniken und Mittel, die ich gelernt habe.,Auto-Fiktion: Der Struggle so real' ist ein Versuch, meine Klassenherkunft und meine jetzige Klassenposition zu zeigen und in Verbindung zu bringen.“

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