Konstituierende Sitzung in Kiel: Die jungen Milden sind da

Am Montag kam der neue Kieler Landtag zur ersten Sitzung zusammen. Die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen gehen diese Woche weiter.

Im Kieler Landtag stehen Angeordnete hinter ihren Tischen und klatschen

Neuer und jünger, aber immer noch nicht so viele Frauen: der Landtag in Kiel Foto: Axel Heimken/dpa

KIEL taz | Der Geräuschpegel im Saal ist hoch: Wortfetzen und Gelächter schwirren durch den Glasanbau des Kieler Landeshauses, in dem das Parlament tagt. „Ich bin total aufgeregt“, gibt Catharina Nies zu. Für die Grüne aus Stockelsdorf im Kreis Ostholstein ist es der erste Tag im Landtag, ebenso wie für Birte Glißmann aus Seestermühle im Kreis Pinneberg, die für die CDU ins Parlament einzieht, oder die SSW-Abgeordnete Sybilla Nitsch aus Husum.

Ganze 32 der 69 Sitze werden von parlamentarischen Neulingen besetzt. Der Altersschnitt ist im Vergleich zum Vorgänger-Parlament um dreieinhalb Jahre auf 47,5 gesunken, der Frauenanteil auf 37 Prozent gestiegen – so hoch war er zuletzt Ende der 1990er-Jahre.

Die vielen Neuen und Jungen machten den „Reiz der neuen Wahlperiode“ aus, sagt Landtagspräsidentin Kristina Herbst in ihrer ersten Rede: „Sie verschaffen Themen Gehör, die bisher nur leise erörtert werden.“

Herbst beklagte die „Fragmentierung der Gesellschaft“, in der sich einzelne Gruppen nur noch „in menschenverachtenden Hassmonologen über die anderen ergehen“, mit der Folge, dass „die demokratische Öffentlichkeit, wie wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier sie benötigen, sich zunehmend auflöst“. Viele Menschen seien in Sorge wegen der „schon mit aller Deutlichkeit spürbaren Folgen des Klimawandels, der Erfahrungen der Coronapandemie und der durch den Krieg gegen die Ukraine veränderten politischen Situation in Europa und der Welt“.

Damit sich diese Menschen nicht von der Politik abwenden, müsse das Parlament transparenter und verständlicher werden und sich noch weiter öffnen, meint Herbst – ohne präzise zu sagen, wie sie das schaffen will. Auch die 44-Jährige ist Parlamentsneuling, allerdings als bisherige Staatssekretärin im Innenministerium mit viel Erfahrung in der Kieler Politik. Sie will im neuen Amt für alle Fraktionen da sein.

Neue Harmonie

Für das neue Gemeinschaftsgefühl beschließt das Parlament zunächst, die Abgeordneten-Diäten an die allgemeine Einkommensentwicklung anzupassen und erhöht die Zahl der Vizepräsidentenposten von drei auf fünf, sodass alle heute im Landtag vertretenen Parteien ins Präsidium dürfen. Einstimmig gewählt werden Peter Lehnert (CDU), Eka von Kalben (Grüne), Beate Raudies (SPD), Annabell Krämer (FDP) und Jette Waldinger-Thiering (SSW). Nicht dabei ist die Grüne Aminata Touré: Die bisherige Landtagsvizin strebt wahrscheinlich einen Ministerinnenposten an.

Die Einzigen, die nicht ganz auf den Harmoniekurs einschwenken, sind die ehemaligen FDP-Minister Heiner Garg und Bernd Buchholz, die nebeneinander in einer hinteren Bank statt vorn sitzen. Die FPD hatte darauf gehofft, künftig mit der CDU weiterregieren zu können, doch der amtierende und wahrscheinlich künftige Ministerpräsident Daniel Günther verhandelt aktuell mit den Grünen.

„Ein historischer Tag“, findet Thomas Losse-Müller nach dem Ende der Sitzung. Auch er sitzt an diesem Tag zum ersten Mal im Parlament, künftig wird er als SPD-Fraktionschef die Opposition anführen – wenn sich CDU und Grüne, die beide mit Gewinnen aus der Wahl hervorgingen, auf eine Koalition einigen. Für die frisch gewählten Präsidiumsmitglieder hat Losse-Müller keine Blumensträuße, sondern – ganz nachhaltig – Töpfe mit Kräutern dabei.

Die SPD hat am 8. Mai Verluste eingefahren und deutlich an Abgeordneten verloren. Einige von denen, die unfreiwillig ausgeschieden sind, sitzen bei der ersten Sitzung hinten an der Glasfront, hinter der die Kieler Förde unter einem grauen Himmel schwappt. „Die fehlen uns“, sagt die SPD-Abgeordnete Birte Pauls. Sie kündigt aber eine „kraftvolle Oppositionsarbeit“ an. Vor allem den Grünen wolle die Partei „aufmerksam“ auf die Finger schauen.

Sondierung in Kleingruppen

Kritisch gegenüber der geplanten Koalition ist auch Fraktionschef Losse-Müller: Große Teile der Gesellschaft, etwa Mieter, Industriearbeiter, arme Menschen hätten in der künftigen Koalition aus „konservativen Eliten und grünen Hipstern“ kein Sprachrohr, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Die Mitglieder der wahrscheinlich künftigen Regierungsfraktionen sehen das naturgemäß anders. „Wir können Energiewende, Klimaschutz, Ökologie und Ökonomie vereinigen“, sagt der CDU-Abgeordnete Otto Carstens aus Itzehoe. Jasper Balke (Grüne), mit 24 Jahren der jüngste Abgeordnete, berichtet von ersten schwarz-grünen Kennenlernrunden. Auch inhaltlich gehe es gut voran, heißt es von beiden Seiten am Rand der Landtagssitzung. Die Parteien setzen in diesen Tagen ihre Sondierungsverhandlungen in Kleingruppen fort, eine größere Runde trifft sich am Mittwoch in einem Kieler Hotel.

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