Pro und Contra Jamaika in Kiel: Sollen die Grünen mitmachen?

Nach den Wahlen führt die CDU in Schleswig-Holstein Sondierungsgespräche für eine neue Jamaika-Kolalition. Sollen sich die Grünen darauf einlassen?

Ein Mann im Anzug guckt zu einer Frau im roten Kleid, im Vordergrund ist eine zweite Frau von hinten zu sehen

Daniel Günther (CDU) und die grünen Spitzenkandidatinnen Monika Heinold und Aminata Touré Foto: Julian Weber/dpa

Ja

Die Grünen sollten sich an Jamaika in Schleswig-Holstein beteiligen, wenn die Bedingungen stimmen. Das heißt, wenn sie ausreichend grüne und soziale Inhalte durchsetzen können und wenn sie eine rein schwarz-gelbe Koalition damit verhindern. Das ist die eigentliche Frage. Wie ernst ist es CDU-Wahlsieger Daniel Günther damit, im Zweifel nur mit der FDP zu regieren?

Beim Thema Bildung zum Beispiel birgt Schwarz-Gelb die Gefahr eines Rollbacks. Beide Parteien haben im Wahlprogramm stehen, dass sie an den Gemeinschaftsschulen wieder auf äußere Leistungsdifferenzierung setzen, also Trennung der Kinder. Auch die Inklusion steht für sie nicht oben an. Hier bildeten schon in der vergangenen Legislatur die Grünen ein Korrektiv.

Doch auch bei anderen Themen wie Energiewende, Photovoltaik­ausbau, Erhalt der Biodiversität durch weniger intensive Ackernutzung oder Erdgasförderung in der Nordsee kann die weitere Beteiligung der Grünen bedeutend sein.

Zumal: Die Grünen sind in einer stärkeren Position als 2017, als es erstmals galt, das Jamaikabündnis zu schmieden. Nicht nur die CDU, auch sie haben gewonnen, fast jeder Fünfte hat sie gewählt. Es besteht natürlich die Gefahr, dass ein Regierenwollen um jeden Preis zu zu starken Zuggeständnissen verleitet. Hier braucht es klare rote Linien.

Natürlich wäre aus grüner Sicht ein Zweierbündnis mit der Union das Angemessene. Auch für die CDU bedeutet Jamaika weniger Posten. Durch seinen Schachzug, sich von den eignen Leuten dafür die Zustimmung geben zu lassen, hat Günther sich eine machtvolle Position verschafft. Hinzu kommt, dass Jamaika tatsächlich wohl in der Bevölkerung gut ankam.

Ob die Grünen das Spiel weiter mitmachen, sollten sie nach den Sondierungsverhandlungen entscheiden. Sie haben in der Hand, eine rein bürgerlich-konservative Regierung zu verhindern. Würde ihnen zu wenig geboten, können sie sich gut begründet aus den Dreier-Verhandlungen zurückziehen.

Dann begänne eine Poker-Partie.­ Denn auch Günther braucht die ­Grünen. Ein reines FDP-­Bündnis wäre eher glanzlos und wenig ­innovativ. Sollte es so enden, ­können die Grünen im Landtag mit der SPD und dem SSW gute Oppositionsarbeit­ machen und das ein oder anderen Rollback mit kritischen Anfragen begleiten. Auch das ist manchmal effizienter, als in der Regierung zu sein. Manchmal aber auch „Mist“.

Kaija Kutter

Nein

Selbstverständlich sollten die Grünen sich nicht auf eine Dreier-Koalition mit der unsinnigen FDP, deren Freiheitsbegriff von der Lizenz ohne Tempolimit über die Autobahn zu rasen bis zur nächsten Tankstelle reicht, und der kraftstrotzenden Schleswig-Holstein-CDU einlassen. Selbst Sondierungen in diese Richtung können nur von Nachteil sein – für sie, für ihre Inhalte, fürs Land und für die Demokratie.

Ja, wenn es Projekte gäbe, die eine Änderung der Landesverfassung erforderlich machen würden, könnte es sich lohnen, darüber einen Moment nachzudenken – wobei man sinnvollen Ideen einer Regierung ja auch aus der Opposition zustimmen darf. Ist also auch kein tragfähiges Argument. Andere Vorteile aber hat es nicht, als kleiner Partner in eine Koalition einzutreten, in der man nicht gebraucht wird: Es ist möglich, sich dadurch Ämter zu sichern – nicht aber mit ihnen auch die nötige Macht, um zu gestalten. Die konzentriert sich in einer solchen Konstellation allein auf den stärksten Partner, der ja noch dazu im Amt des Ministerpräsidenten über Richtlinienkompetenz verfügt. Man macht sich von dessen Gnade abhängig, so wie ein dressiertes Spielhündchen von seinem Herrn. Wenn er „hol's Stöckchen“ sagt, tust du's. Wenn er sagt „sitz“, sitzt du. Und wenn er „Aus“ sagt, ist Aus. Er braucht dich ja nicht!

Es gibt in der Geschichte Deutschlands nur wenige Beispiele solcher übergroßen Koalitionen: Am längsten gehalten hat die erzwungene in der DDR, in deren Volkskammer ab 1950 die CDU, LDPD, NDPD, DBD, FDGB, FDJ, KB, DFD, VVN mit der SED zur „Nationalen Front“ zusammengefasst waren. Auch in Bremen hat Wilhelm Kaisen nach dem Zweiten Weltkrieg alles, was nicht offensichtliche NSDAP-Nachfolgeorganisation war, zusammengekehrt, auch wenn seine SPD eine absolute Mehrheit hatte. Diese scheinbare Teilung der Macht aber sichert sie viel nachhaltiger als jede Auseinandersetzung es könnte. Bis heute gehört die Stadt den Sozialdemokraten, weil es ihnen damals gelungen ist, die Differenzen in sich aufzusaugen. Also, Hut ab, Daniel Günther! Machtpolitisch ist das ein eleganter Move, macchiavelistisch gar, und wenn die Grünen hechelnd zustimmen, weil es Fresschen gibt, dann haben sie sich ihren Untergang in fünf Jahren redlich verdient.

Schade wäre es hingegen um die Demokratie. Denn, die lebt vom offen aber zivil ausgetragenen Konflikt, von der Vielfalt der Problemlösungsstrategien und dem Wettstreit der Ideen. Ein Koalitionsvertrag hingegen muss, weil er Herrschaft stabilisieren soll, diese Pluralität eindämmen: Kompromisse garantieren zwar, dass sich überhaupt etwas rührt. Sie sind aber immer Preisgabe von optimalen Handlungsansätzen, für die zu streiten nicht nur lohnen würde: Es ist eine demokratische Pflicht.

Benno Schirrmeister

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.

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