Sondervermögen für Bundeswehr: Im militärischen Kaufrausch

Die Bundeswehr soll mit zusätzlich 100 Milliarden Euro aufgestockt werden. Kri­ti­ke­r:in­nen sehen das geplante Sondervermögen als maßlos.

Davon gibt es bald mehr: Soldaten zeigen ihre Ausrüstung vor einem Panzer in Marienberg in Sachsen Foto: Maurizio Gambarini/dpa

BERLIN taz | Es ist ein letztes, vergebliches Aufbäumen. Mit einer Kundgebung auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude will die Linkspartei am Freitagvormittag gegen die geplante Aufrüstung der Bundeswehr protestieren. Nützen wird es nichts mehr, die große Koalition für massive zusätzliche Militärausgaben steht. Die Einkaufsliste ist bereits geschrieben. Nur wenige Stunden nach der Linken-Protestaktion dürfte der Bundestag per Grundgesetzänderung die Regierung ermächtigen, dafür ein „Sondervermögen“ in Höhe von 100 Milliarden Euro einzurichten.

Dabei ist der Begriff „Sondervermögen“ missverständlich. Tatsächlich geht es um die Aufnahme von außerordentlichen Krediten, die von der Schuldenbremse des Grundgesetzes ausgenommen werden. Schulden, die zurückgezahlt werden müssen, bleiben es trotzdem. Dienen soll das Geld zur „Finanzierung bedeutsamer Ausrüstungsvorhaben der Bundeswehr, insbesondere komplexer überjähriger Maßnahmen“, heißt es in dem Gesetzentwurf, auf den sich SPD, Grüne und FDP mit der Union in zähen Verhandlungen verständigt haben.

Das „Sondervermögen“ ergänzt den in diesem Jahr ohnehin um 3,5 Milliarden auf rund 50,4 Milliarden Euro aufgestockten Verteidigungsetat. Dadurch werde „im mehrjährigen Durchschnitt von maximal fünf Jahren zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Basis der aktuellen Regierungsprognose für Verteidigungsausgaben nach Nato-Kriterien bereitgestellt“.

Finanziert werden sollen von dem „Sondervermögen“ eine ganze Reihe von Rüstungsprojekten, die schon seit Langem auf der Wunschliste des deutschen Militärs stehen. Einiges davon kann direkt bestellt werden, anderes befindet sich erst noch in der Entwicklung. Die meisten größeren Anschaffungen werden erst in ein paar Jahren einsatzfähig sein, manches erst in den kommenden Jahrzehnten. Die Projektliste ist eine vorläufige, sie soll jährlich fortgeschrieben werden.

Hauptposten des Wirtschaftsplans, den das Finanzministerium am Mittwoch dem Haushaltsauschuss des Bundestags geschickt hat, ist dabei die „Dimension Luft“, für die insgesamt 40,9 Milliarden Euro bereitgestellt werden sollen. Konkret geht es dabei beispielsweise um den bereits angekündigten Kauf von F-35-Kampfjets des US-amerikanischen Rüstungskonzerns Lockheed Martin, die auch Atombomben abwerfen können. In den USA bestellt werden auch die neuen schweren Transporthubschrauber Modell CH-47 „Chinook“ und Seefernaufklärer vom Typ P-8 Poseidon, jeweils von Boeing. Der europäische Konkurrent Airbus kommt dafür bei Entwicklung und Kauf eines neuen Eurofighter-Modells für elektronische Kriegsführung zum Zuge.

Drohnen, Panzer und U-Boote

Die Bewaffnung der israelischen Drohnen des Typs Heron TP stehen ebenso auf der Liste wie Kommunikations- und Radarsysteme und das weltraumbasierte Frühwarnsystem Twister, ein nationenübergreifendes EU-Projekt. Auch ein Flugabwehrsystem mit einer bodengestützten Kurz- und Mittelstrecken-Flugabwehr sowie einem Drohnenschutzsystem ist dabei. Bis 2027 soll auch die Entwicklung des gemeinsam mit Frankreich und Spanien geplanten Kampfflugzeugprojekts Future Combat Air System (FCAS) aus dem Sondervermögen finanziert werden.

Bei der mit rund 19,3 Milliarden Euro veranschlagten „Dimension See“ steht die Anschaffung neuer Korvetten, Fregatten und Festrumpfschlauch- sowie Mehrzweckkampfboote ebenso auf dem Programm wie das gemeinsam mit Norwegen entwickelte U-Boot der Klasse 212 CD. Fehlen darf auch nicht das neue See-Ziel-Lenkflugköpersystem Future Naval Strike Missile, ebenfalls eine deutsch-norwegische Gemeinschaftsentwicklung. Hinzu kommen U-Boot-Flugabwehrflugkörper und Geräte zur Unterwasserortung.

16,6 Milliarden Euro sind für die „Dimension Land“ vorgesehen. Hier geht es insbesondere um die Nachfolge für den Schützenpanzer Marder und den Truppentransporter Fuchs sowie die Nachrüstung des Schützenpanzers Puma. Auch ein Nachfolger für das gepanzerte Schneefahrzeug BV 206 steht auf der Liste, ebenso der Transportpanzer Boxer mit Maschinenkanone. Hinzu kommen bis 2024 Mittel für die Entwicklung eines Nachfolgers für den Leopard-2-Panzer, der gemeinsam mit Frankreich entwickelt wird und wie das FCAS nur vorübergehend aus dem „Sondervermögen“ finanziert werden soll und danach aus dem normalen Verteidigungshaushalt.

Für die „Dimension Führungsfähigkeit/Digitalisierung“ sollen 20,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Hier geht es vor allem um Gelder für einen Rechenzentrumsverbund, aber auch für neue Funkgeräte. Hinzu kommen elektronische Führungsinformationssysteme für Einsätze und Investitionen in Satellitenkommunikation.

Neben diesen vier „Dimensionen“ gibt es noch zwei kleinere Posten: Für Forschung, Entwicklung und künstliche Intelligenz (KI) sollen 500 Millionen Euro ausgegeben werden. Dabei geht es vor allem um eine bessere „land- und seegebundene robuste Navigation“ unter so genannten Navigation-Warfare-Bedingungen, wie der Störung von Satellitensignalen, sowie die Überwachung und Sicherung größerer Räume mittels KI. Außerdem gibt es für die Beschaffung von Bekleidung und Ausrüstung der Sol­da­t:in­nen rund 2 Milliarden Euro.

Nicht enthalten in der „Sonder­vermögen“-Liste ist die Munition für die Bundeswehr, die das Verteidigungsministerium drastisch aufstocken will. Einen Finanzbedarf von rund 20 Milliarden Euro hat es hierfür errechnet. Der soll aus dem laufenden Haushalt gedeckt werden. Das gilt auch für Maßnahmen zur Cybersicherheit, für den Zivilschutz sowie die Stabilisierung von Partnerländern, was weitere 10 Milliarden kosten dürfte.

So sieht also konkret das Aufrüstungsprogramm aus, das der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner „Zeitenwende“-Rede Ende Februar angekündigt hatte. Im Bundestag wird es keine größeren Widerstände dagegen geben. Nicht nur die Ampelkoalition und die Union sind sich einig, dass in die Bundeswehr investiert ­werden müsse. Die AfD sieht das genauso, wie ihr Abgeordneter Michael Espendiller am Mittwoch bei der Debatte um den Verteidigungsetat im Bundestag bekundete. Die Rechtsaußenpartei kritisiert nur, dass dafür neue Schulden ­aufgenommen werden sollen. Espendiller forderte hingegen „radikale Kürzungen in sämtlichen anderen Etats“.

Im Parlament gibt es nur wenige Stimmen des Aufbegehrens. Einzig die Linkspartei ist komplett dagegen

Im Parlament gibt es also nur wenige Stimmen des Aufbegehrens. Einzig die Linkspartei, die kleinste Fraktion, steht geschlossen dagegen. „Mit SPD, FDP, Grünen und der Union hat sich die größte Koalition aller Zeiten zusammengefunden, um ein gigantisches Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie zu starten“, empörte sich die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch bei der Bundestagsdebatte am Mittwoch.

Ein paar Ab­weich­le­r:in­nen aus der SPD und den Grünen gibt es allerdings auch noch. So kündigte die Juso-Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal in einem Gastbeitrag im Spiegel an, gegen die Grundgesetzänderung zu stimmen. Wie viele ihrer Fraktion sich auch noch verweigern werden, ist unklar.

Dass es in Teilen des sozialdemokratischen Spektrums Unmut gibt, ist kein Geheimnis. Deutliche Worte kommen aus dem Forum Demokratische Linke 21, einem Zusammenschluss linker SPDler:innen. „Die SPD war nach 1945 eine Friedenspartei“, sagt deren Vorstandsmitglied Dierk Hirschel. „Dass die Ampel jetzt das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte beschließen will, ist ein Bruch mit dieser friedenspolitischen Tradition.“

Aus den Reihen der Grünen heißt es, möglicherweise stimmten bis zu zehn ihrer Abgeordneten gegen das „Sondervermögen“, es könnten aber auch weniger sein. Ein Grüner, der sich schon vor der Abstimmung aus der Deckung gewagt hat, ist Frank Bsirske. In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung begründete der frühere Verdi-Vorsitzende seine Ablehnung. „Das Sondervermögen und die dazugehörigen Festlegungen etablieren dauerhaft eine haushaltspolitische Vorfahrtsregel für Rüstungsausgaben“, konstatiert er. „Dieser kann und werde ich nicht zustimmen.“

Bsirske kritisiert, dass die Entscheidung zur Errichtung des „Sondervermögens“ auf Grundlage einer „gar nicht mehr hinterfragten Prämisse“ getroffen werde, nach der die baltischen Staaten und dann Deutschland die nächsten Opfer eines russischen Angriffskrieges werden könnten, wenn nicht massiv aufgerüstet wird. Diese Prämisse verliere jedoch im Lichte des tatsächlichen Verlaufs des Ukrainekrieges immer mehr an Plausibilität. Denn die russische Aggression erweise sich „nicht als Erfolgsmodell, das zur Nachahmung einlädt, sondern als militärisches Desaster“.

„Perspektivlose Rüstungsoffensive“

Ebenso kritisch sieht Bsirske, dass laut dem vorliegenden Gesetzentwurf auch nach Verausgabung des „Sondervermögens“ weiterhin die finanziellen Mittel bereitgestellt werden sollen, um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und den deutschen Beitrag zu den dann jeweils geltenden Nato-Fähigkeitszielen zu gewährleisten. Das laufe auf die dauerhafte Einhaltung des 2-Prozent-Ziels der Nato hinaus, was zu dauerhaft stark steigenden Rüstungsausgaben führe.

Damit liegt Bsirske ganz auf der Linie der Gewerkschaften. So forderte der DGB-Bundeskongress Mitte Mai die Bundesregierung auf, „nicht an der von ihr angekündigten Absicht festzuhalten, den deutschen Rüstungshaushalt dauerhaft auf das Zwei-Prozent-Ziel der Nato oder darüber hinaus aufzustocken“.

Der eingeschlagene Kurs führe die Gesellschaft „in eine Sackgasse und nicht in eine gute Zukunft“, kritisiert Hans-Jürgen Urban, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der IG Metall. „Der Rüstungs-Booster der Bundesregierung von 100 Milliarden Euro bindet Ressourcen für eine perspektivlose Rüstungsoffensive, die für die Flankierung des sozial-ökologischen Transformation dringlichst gebraucht werden“, sagt Urban der taz.

Aber müsste sich die IG Metall nicht eigentlich freuen, wenn die deutsche Rüstungsindustrie jetzt kräftig Kasse machen kann? „Na ja, es sollen Kampfflugzeuge in den USA bestellt werden, und es wird über den Kauf von Raketenabwehrsystemen etwa aus Israel nachgedacht“, antwortet Urban. Überdies gelte: „Aufrüstung zur Arbeitsplatzsicherung kann keine Richtschnur der Politik sein.“ Viel sinnvoller sei es, „wenn Gewerkschaften mit Betriebsräten und Belegschaften für Konversionsstrategien, also die Umwandlung von Rüstungs- in zivile Produkte, streiten“.

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