Namen sind Krawall und Brauch

Die Unsitte, Straßen nach Persönlichkeiten zu benennen, ist die alltäglichste und hartnäckigste Form des Führerkults. Es wäre an der Zeit, sie abzuschaffen

Feldherrn von1866 verewigt: Moltkestraße in Rendsburg Foto: arkivi/imago

Von Benno Schirrmeister

Straßen nach Personen zu benennen, ist eine Unsitte: Zur gängigen Praxis avanciert ist sie erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, in dem eine reaktionäre Oberschicht im Geiste Thomas Carlyles scharf darauf war, ihre Kriegs- und Geistesheroen zu verehren, sie auf Sockel zu stellen, sie als Wegmarken, als charismatische Genies zu verehren.

So haben die Nazis gleich nach der Machtübernahme eine erstaunlich massive Gesetzgebung begonnen, auf diesem Feld für Vereinheitlichung zu sorgen. Empfohlen werden dabei neben Flurbezeichnungen „örtliche Persönlichkeiten“ und dann noch gesondert „Namen berühmter und verdienter Persönlichkeiten“.

Das Ziel dieser Benennungspolitik sei, „die politische Vergangenheit in der Gegenwart lebendig zu machen und dadurch bestimmte politische Gesinnungen zu bekennen“, hat ein hannöverscher Regierungsrat im Juli 1933 im Reichsverwaltungsblatt resümiert. Straßennamen sind insofern der alltäglichste Ausdruck des Führerkults.

Es wäre an der Zeit, den hinter sich zu lassen, statt sich immer wieder im Ringen um die Frage zu verausgaben, welcher Namenspatron nun wirklich nicht mehr tragbar ist, oder umgekehrt, warum An­woh­ne­r*in­nen eines nach Nazischergen, Judenhassern oder Kolonialsadisten benannten Weges oder Platzes auf dessen öffentliche Ehrung nicht verzichten können.

Denn um Gedenken, also kritisches, historisches Bewusstsein, das zugleich mit dem Namen auch die Tat erinnern müsste, geht es dabei nie: An einem „Kriegsverbrecher-Bonte-Kai“ würden selbst Wilhelmshavener nicht wohnen wollen, ein Reihenhäuschen am „NS-Muse-Miegel-Pfad“ wäre schwer verkäuflich, und dafür, weiter in der „Hitler-Steigbügelhalter-Hindenburg-Straße“ wohnen zu dürfen, zöge auch in Hannover niemand vor Gericht.

Solche Namen würden auch nie vergeben – weil sie eben der einzigen Funktion zuwiderliefen, die ein Straßenname neben der örtlichen Indizierung leisten kann: der Verherrlichung. Und die kann wie ein Schlag ins Gesicht derjenigen wirken, die wissen, dass sie Opfer des Patrons geworden sind.

Insofern trifft auch niemals zu, dass diese Straßennamen die plurale Gesellschaft „mit widersprüchlichen Biografien“ konfrontieren würden, was diese auszuhalten habe, wie der Bremer Staatsarchivleiter Konrad Elmshäuser gerne anführt: Denn es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sich die Biografie der Geehrten über den Straßennamen mitteilt.

Die Hamburger Ruete-Platz-Geschichte lehrt eher, dass mitunter selbst bei der Namensvergabe darauf nur sehr oberflächlich geachtet wird. Und ob die Legenden, die das als Anhang am Straßenschild für mehr Aufklärung zu sorgen behaupten, Le­se­r*in­nen finden, hat auch noch nie jemand erforscht.

Als Versuch der Tilgung von Geschichte werden Umbenennungsinitiativen oft gerügt, aber das verkennt natürlich, dass die Praxis, Straßen Persönlichkeiten zu widmen, selbst anti-historisch ist: Sie überschreibt den toponomastischen Gehalt alter Benennungen, sie löscht die in ihnen aufbewahrten sozial-geografischen Informationen und stellt eine Beziehung her zu Menschen, die nur sehr selten etwas mit dem jeweiligen Platz oder Weg zu tun hatten.

Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sich die Biografie der Geehrten über den Straßennamen mitteilt

Historisch dokumentieren und verstetigen sie nur eine Phase der Erinnerungs- und Ehrungskultur und zwar meistens einer undemokratischen: Die demokratischen Revolutionen hatten ihre Plätze nach ihren Werten, den Tagen ihres ruhmreichen Kampfs und nach dessen Mitteln benannt. Lutherstraßen hingegen künden in großer Zahl seit Mitte der 1930er-Jahre den großen Reformator, Dichter und Antisemiten.

Menschliche Leben sind kompliziert. Sie passen nicht auf ein Straßenschild: auf dem werden sie reduziert zu einem Objekt des Gedenkens. Deshalb scheint auch nicht sinnvoll, Straßen nach Personen zu benennen, die Opfer von Gewalttaten geworden sind, von rassistischem Terror, ermordet von einem Regime: es läuft Gefahr, sie auf diesen Status zu reduzieren.

Sicher, es gibt Gegenbeispiele wie den Bremer Marwa El-­Sherbini-Platz: Er erinnert würdig an die ägyptische Handballerin, die in Bremen studiert hatte und 2009 in Leipzig von einem Rechtsextremisten ermordet wurde, weil der Platz vom Projekt Köfte-Kosher in einen Ort der Reflexion umgewandelt worden ist. Hier gelingt es, dank regelmäßiger Veranstaltungen und einer permanenten Installation, die Würde der Opfer zu wahren. Ohne solche inhaltliche Arbeit simuliert eine Namensgebung hingegen nur Gedenken.

Durchnummerieren wie in den USA hat etwas sehr technokratisches, aber immerhin: Es provoziert keine fruchtlosen Debatten: In ein paar Dörfern Niedersachsens handhabt man das so, und das reicht doch. Schöner hingegen wäre, dort, wo partout kein echter historisch-­geografischer Name passen mag, auf die Liste der ausgestorbenen Tiere und Pflanzen zurückzugreifen, also dessen, was durchs Vordringen des urbanen Raums beseitigt wird: Sie ist quasi unerschöpflich. Sie ist ideologisch unverfänglich. Und sie wächst.