Inflation in Europa: Das Zins-Dilemma

Ukraine-Krieg, Pandemie und Lockdown in Shanghai: Die Inflation wird von externen Faktoren getrieben. Deshalb kann die EZB kaum reagieren.

Hochhaus der EZB, davor Wohnhäuser.

Und über allem trohnt die EZB: Hochhaus der Zentrale in Frankfurt am Main Foto: Georg Stelzner/imagebroker/imago

BERLIN taz | Wird die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen anheben? Diese Frage beschäftigt derzeit alle Börsenbeobachter. Seit fast acht Jahren dümpeln die Leitzinsen bei null, um die Wirtschaft im Euroraum anzukurbeln. Nun könnte die EZB die Kehrtwende einleiten. Denn im Mai lag die Inflationsrate im Euroraum bei 8,1 Prozent, nachdem sie im März und April schon 7,4 Prozent betragen hatte. Die EZB strebt jedoch nur eine Geldentwertung von knapp 2 Prozent an. Die Inflation liegt also viermal so hoch wie angepeilt.

Allerdings befindet sich die EZB in einem Dilemma: Sie kann die Inflation überhaupt nicht beeinflussen, denn die Geldentwertung wird von drei „externen Schocks“ getrieben. Erstens macht sich die Coronakrise noch immer bemerkbar. Ab Frühjahr 2020 kam es weltweit zu Lockdowns, die ziemlich zeitgleich wieder aufgehoben wurden, sodass alle Staaten gleichzeitig ihre Produktion steigerten – was wiederum die Preise für Energie und Rohstoffe in die Höhe trieb.

Zweitens hat Putins Angriffskrieg auf die Ukraine die Lage auf den Energiemärkten weiter verschärft. Die westlichen Länder versuchen, ihre Öl- und Gasimporte aus Russland möglichst zu reduzieren. Aber es ist alles andere als leicht, Ersatz zu organisieren, eben weil Energie auch schon vor dem Ukraine­krieg knapp war. Also steigen die Preise weiter. Im Vergleich zum vergangenen Jahr haben die Energiepreise im Euroraum um 39,2 Prozent zugelegt.

Drittens kommt hinzu, dass China erneut von einer Coronawelle bedroht war und deshalb den wichtigen Hafen in Shanghai ab 1. April 2022 zwei Monate lang in einen strikten Lockdown versetzt hat. Jetzt stauen sich vor Shanghai etwa 3 Prozent der globalen Containerkapazitäten, was die Lieferketten bis Jahresende weltweit durcheinanderbringen dürfte. Allein Deutschland bezieht etwa 15 Prozent seiner importierten Vorprodukte aus China.

In Europa selbst gibt es keinen Inflationsdruck, denn die Löhne steigen nur moderat. In Deutschland legten sie 2021 im Durchschnitt um ganze 3,1 Prozent zu. An den Gehältern liegt es also nicht, dass so viele Firmen ihre Preise erhöhen müssen. Es sind allein die externen Schocks, die die Kosten treiben.

Höchstens indirekte Effekte

Die EZB ist daher weitgehend machtlos, denn ihre Zinspolitik kann die globalen Märkte nicht steuern. Denkbar sind höchstens indirekte Effekte: Sollten die Zinsen im Euroraum steigen, dürfte auch der Eurokurs zulegen, weil dann mehr internationale Anleger ihr Geld in Euro anlegen wollen. Der Dollar würde also billiger, was wiederum das Öl kostengünstiger machen würde, weil es in Dollar abgerechnet wird. Die Inflation im Euroraum würde sinken.

Allerdings wäre diese Strategie ziemlich riskant: Wenn die Zinsen steigen, könnten Firmen und Häuslebauer in Bedrängnis geraten, die sich darauf verlassen haben, dass ihre Kredite billig bleiben. Es könnte also eine Rezession drohen, was weitaus schlimmer wäre als die Inflation. Die EZB befindet sich in einem Dilemma, aus dem es keinen bequemen Ausweg gibt.

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