Militärhilfen von den Grünen: Sind Waffenlieferungen jetzt grün?

Durch den Krieg in der Ukraine werden Teile der Grünen erneut in die Realität katapultiert. Das geschah zuletzt 1999 beim Nato-Einsatz im Kosovo.

Robert Habeck

Foto: Michael Kappeler/dpa

Diese Woche raunte mir ein Superchecker zu, so nah wie jetzt seien die Grünen noch nie dran gewesen, den Kanzler zu stellen. Dazu Folgendes: Es gibt meines Wissens gerade keine Bundestagswahl, und so bescheuert können nicht mal SPD und FDP sein, um die Koalition wegen irgendwelcher Sachdifferenzen platzen zu lassen, denn beide würden danach grandios schrumpfen. Wenn es aber eine Wahl gäbe (Irrealis), dann hätten die CDU und vielleicht wirklich zum ersten Mal die Grünen die Chance, den Bundeskanzler stellen. Allerdings – und jetzt kommt die unangenehme historische Lehre – nicht die Bundeskanzlerin.

Wie, was, Sauerei! Wird jetzt der emanzipatorisch sein wollende und die machtstrategische Grüne rufen und das Partei-Ceterum-censeo dieser Tage verkünden, das da lautet: Immer wenn jemand Robert Habeck als exzeptionelles deutsches Regierungsmitglied preist, muss sofort der Ruf erschallen: „Aber Baerbock macht das auch super.“

Das mag oder mag nicht so sein, ich fürchte, die wenigsten Superrufer können die Qualität der deutschen Außenpolitik wirklich beurteilen und wie sehr sie SPD-geprägt ist. Wäre ich Jan Fleischhauer, würde ich einfach schreiben: Das Grüne daran sind die Waffenlieferungen. Und dann die Likes jener einsammeln, die es lieben, die angebliche Scheinheiligkeit dieser Leute zu entlarven, die vom gleichen moralischen Feldherrinnenhügel heute das Gegenteil von dem verkünden, was sie gestern gesagt haben. Das ist süffig. Aber falsch.

Mal abgesehen davon, dass die Ukraine längst kapituliert hätte, wenn sie auf deutsche oder gar Bundeswehrwaffen angewiesen wäre: Die Grünen beschäftigen sich seit 30 Jahren mit dem Problem, dass ihre Gründungsgründe Menschenrecht und Völkerrecht nicht nur auf Parteitagen beschworen werden können, sondern in der Realität durchgesetzt werden müssen – und zwar gerade gegen Staaten und Terroristen, die Menschen und Völker vernichten, wenn man sie lässt. Dass „Nie wieder Krieg“ und „Nie wieder Auschwitz“ in einen Widerspruch zueinander geraten können: Diese Erkenntnis vollzog sich nicht jetzt, sondern zwischen dem pazifistischen Zusehen beim Genozid in Srebrenica (1995) und der von den Regierungs-Grünen unterstützten deutschen Beteiligung am Nato-Kriegseinsatz zur Verhinderung eines Völkermords im Kosovo (1999).

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Das Problem an Letzterem war weniger die deutsche Beteiligung, als vielmehr das Fehlen eines UN-Mandats. Waffenlieferungen an die Ukraine zu deren Selbstverteidigung sind völkerrechtlich unumstritten. Deshalb haben sie konsequenterweise unter Grünen-Wählern die größte Zustimmung. Gleichzeitig verstehen heute die meisten, dass wir nicht in einer moralischen Entweder-oder-Welt theoretisieren können, sondern Risiken abschätzen müssen.

Warum dann die Ober-Grünen – außer dem heutigen Vizekanzler – vor einem Jahr noch nichts von Waffen an die Ukraine wissen wollten? Na ja, wie fast alle anderen hatten sie anderes zu tun und die Augen zu. Wie schon beim ersten Mal katapultiert sie die Regierungsverantwortung in die Realität. Und in dieser verstehen sie und ihre Anhängerschaft sich heute in einer Mischung aus alter Überheblichkeit und neuem Realismus als Zentrum einer heterogenen europäischen Gesellschaft, die es in einer Zeit eskalierender Probleme irgendwie hinkriegen muss.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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