Außendienstler über Leben und Beruf: „Nie jemandem was aufgeschwatzt“

Albert Mausehund stammt aus Rengshausen im hessischen Bergland. Fast sein ganzes Leben hat er im Außendienst gearbeitet. Was macht das mit einem?

Albert Mausehund vor einem Feuerwehrauto

Albert Mausehund engagiert sich in seiner Freizeit bei der Feuerwehr Foto: Jörg Lantelme

taz am wochenende: Herr Mausehund, warum sind Sie Vertreter geworden?

Albert Mausehund: Das hat sich so ergeben. Geplant war das nicht. Ich habe 1973 eine Lehre als Großhandelskaufmann in einem Betrieb in Rotenburg/Fulda begonnen. Schon während der Ausbildung habe ich Kollegen vertreten und bin rausgefahren zu Kunden. Verkaufen liegt mir wohl.

Liegt das Verkaufstalent in der Familie?

Ne, eher nich. Mein Großvater und Vater waren Schmied. Das ist ja was ganz anderes. Aber das handwerkliche Wissen hatte ich ja.

Woher stammt Ihr Familienname Mausehund?

Das weiß ich gar nicht. Es scheint ein weitverbreiteter Name hier in der Gegend zu sein. Allein hier in meinem Heimatdorf in Rengshausen im Knüllwald gab es drei Familien Mausehund, die aber wohl nicht miteinander verwandt waren.

Kann es aus dem Niederdeutschen stammen? Ich glaube, früher wurde das kleine Raubtier Mauswiesel Mausehund genannt.

Ach so. Ja, damit habe ich mich nie auseinandergesetzt. Aber mir ist der Name immer mal wieder auf meinen Fahrten durch Nordhessen begegnet.

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Autofahren nahm einen großen Teil Ihrer Arbeitszeit ein?

Das kann man wohl sagen. Ich bin im Jahr durchschnittlich 70.000 Kilometer gefahren. Ich saß jeden Tag vier bis fünf Stunden im Auto. Vom Edersee bis in die Rhön kenne ich fast jeden Schleichweg. Ich finde wahrscheinlich schnellere Strecken als Google Maps. Ein Navigationsgerät habe ich selten gebraucht.

Im Sommer ist das Fahren im hessischen Bergland bestimmt sehr schön. Durch grüne Hügel und Wälder. Aber im Winter stelle ich mir die täglichen Autofahrten unangenehm vor.

Auch im Frühjahr und Sommer kann es unangenehm werden, wenn viele Wildtiere in der Dämmerung unterwegs sind. Füchse, Dachse, Rehe oder Wildschweine. Wildunfälle hatte ich einige im Sommer und im Winter. Ein Unfall war richtig heftig, da habe ich ein Wildschwein überfahren, ein Riesenkeiler war das. Das hat mächtig geknallt, alle Airbags sind aufgegangen. Ich konnte nichts mehr sehen und bin in die Leitplanke gefahren. Das Auto war Totalschaden.

Der Mann

Albert Mausehund, 64 Jahre, lebt im nordhessischen Rengshausen im Knüllgebirge. 48 Jahre hat er als Außendienstler für Handwerksbedarf gearbeitet, teilweise bis zu 80 Stunden pro Woche. Er ist verwitwet und hat zwei erwachsene Kinder.

Sein Beruf

Heutzutage werden Außendienstmitar­beiter*innen auch Account Manager genannt. Rund 80 Prozent sind Männer. Früher seien die Firmen spendabel gewesen, sagt Albert Mausehund. Da wurden auch schon mal Urlaube bezahlt. Heute sei der Konkurrenzdruck groß. Manche junge Kollegen würden Preise drücken und sich so oft finanziell ruinieren, sagt Mausehund.

Sein Hobby

Albert Mausehund ist seit über 45 Jahren im Vorstand der Freiwilligen Feuerwehr Rengshausen. Vom Land Hessen gab es sogar eine Prämie für 40 Jahre aktive Dienstzeit. Fast seine komplette Freizeit hat er bei der Feuerwehr verbracht, „geopfert“ würde er nie sagen, auch viele Urlaube genommen, um Feste zu organisieren oder an Wettbewerben und Seminaren teilzunehmen. Zusätzlich kamen Einsätze nach Feierabend. „Ich hatte viele Einsätze, auch mit Toten. Notfallseelsorge für die Einsatzkräfte gab es damals noch nicht.“

Aber Ihnen ist nichts passiert?

Nee, zum Glück ist mir nie etwas passiert. Im Winter habe ich auch schon mal in Schneewehen festgesteckt. Oder mehrere Stunden im Stau in einer Eiseskälte gestanden.

Können Sie sich an die ersten Fahrten im Außendienst erinnern?

Mein erstes Auto war ein roter VW Käfer 1302. Aber das war noch in der Lehre. Als ich dann offiziell als Außendienstler angefangen habe, hatte ich einen Firmenwagen, einen Golf. Meine Aufgabe war es, neue Kunden in neuen Gebieten zu finden. Am Anfang wurde ich auch mal weggeschickt mit den Worten: Dich kenn ich nicht, bei dir kauf ich nichts. Ich erinnere mich noch, als ich Freitagabend zu einem Fensterbauer kam, habe ich dem alten Chef geholfen, einen Lkw Scheiben abzuladen. Ich habe mir ordentlich die Finger aufgeschnitten, aber er wurde einer meiner besten Kunden.

Was haben Sie verkauft?

Alles, was der Schreiner und Fensterbauer so braucht. Beschläge, Schließanlagen, Werkzeuge und Maschinen. Und auch Farben, Böden, alles, was eben zum Bau gehört.

Haben Sie auch mal überlegt, etwas anderes zu verkaufen, Staubsauger oder Versicherungen?

Nee, auf gar keinen Fall. Damit kenne ich mich ja auch gar nicht aus. Man muss schon wissen, was man den Leuten verkauft.

Wie bezeichnen Sie Ihren Beruf?

Ich bin Außendienstler.

Handelsreisender?

Na, so hieß das vielleicht früher mal. Das sagt heute kein Mensch mehr.

Und Vertreter?

Nee, das klingt so … ich weiß nicht, wie Versicherungsvertreter eben.

Hat der Beruf ein schlechtes Image?

Ach, bei uns in der Branche nicht. Manche Vertreter sind vielleicht komische Typen, da hatte ich auch schon einen an der Haustür, der mir Versicherungen andrehen wollten, die niemand braucht. Das durchschaue ich dann schnell. Aber da kann ich auch verstehen, wenn Leute skeptisch sind. Die Vertrauensbasis ist wichtig.

Wie schaffen Sie Vertrauen?

Ich habe meinen Kunden nie was aufgeschwatzt. Und das wissen die. Ein Beispiel. Der Kunde ruft mich an und sacht: „Wenn du kommst und keiner da ist, dann guckste mal in der Werkstatt, was so fehlt, und dann bestellst du das!“ Das hab ich dann auch gemacht und später fragt er mich: „Wieso hast du denn nur so wenig aufgeschrieben?“ Und ich sach: „Ich schreibe doch nicht einfach viel auf.“ Andere machen das vielleicht, ich nicht.

Sie haben den Job 48 Jahre lang gemacht. Waren Sie immer bei ein und derselben Firma angestellt?

Nee, nach elf Jahren ging die Firma, bei der ich gelernt habe, insolvent. Mit vier Kollegen zusammen bin ich dann zu der Firma gewechselt, bei der ich bis zur Rente dieses Jahr gearbeitet habe. Wir hätten damals überall anfangen können, Außendienstler wurden händeringend gesucht.

Aber Sie sind in der Region geblieben. Wollten Sie nicht mal raus?

Nee, ich bin in Rengshausen geboren, aufgewachsen, schon immer hier gewesen und wahrscheinlich werd ich auch hier begraben. Ich war zwar viel unterwegs, bin aber jeden Tag nach meiner Tour wieder nach Hause. Ich kam spät heim, musste dann noch die Aufträge bearbeiten, Feierabend hatte ich selten vor 22 Uhr. Ich habe in der Woche so 70 bis 80 Stunden gearbeitet.

Was hat denn Ihre Familie dazu gesagt, dass Sie so viel unterwegs waren?

Na ja, meine Frau war nicht immer begeistert. Und wenn ich theoretisch mal da war, war ich ja bei der Feuerwehr und dann auch meist unterwegs bei Wettkämpfen oder Festen. Das war schon manchmal ein Problem. Die Feuerwehr, das war meine Freizeit.

Wieso ist Ihnen die Feuerwehr so wichtig?

Wegen der Gemeinschaft. Da kommen Jung und Alt zusammen. Wir hatten eine wirklich gute Zeit. Wir haben auch viel gemacht für das Dorf, beispielsweise haben wir das Feuerwehrhaus und später auch den Anbau komplett in Eigenleistung gebaut. Mittlerweile ist das mit der Gemeinschaft nicht mehr ganz so. Aber ich bin immer noch gerne dabei.

Arbeit, Feuerwehr – wie sehen Sie das im Rückblick, dass Sie so selten zu Hause waren?

Ich muss sagen, das ist etwas, was vielleicht nicht immer so gut war. Ich war auch nie bei irgendwelchen Elternabenden, das musste immer meine Frau machen, ich hatte ja gar keine Zeit. Als meine Tochter ihr Abitur gemacht hat, war Freitagmittag die feierliche Zeugnisübergabe und abends der Abiball. Zum Abiball war ich angemeldet, aber eigentlich wollte ich den Freitag davor noch arbeiten. Eine Freundin meiner Tochter hat zu mir gesagt: „Wenn du da nicht kommst, dann rede ich nie wieder ein Wort mit dir.“ Dann bin ich doch hingegangen. Und war ja auch gut so im Nachhinein.

War Ihnen die Arbeit so wichtig?

Was heißt wichtig. Ich habe eben Geld verdient, gutes Geld. Ich habe das Doppelte an Umsatz gemacht, was manche Kollegen gemacht haben. Mit 25 Jahren habe ich ein Haus gebaut. Wir konnten uns viele tolle Urlaube leisten. Wir haben ganz Deutschland gesehen und auch viele Kreuzfahrten gemacht. Und meine Kunden haben das auch honoriert. Die haben immer gesagt: Du bist der Einzige, den man spätabends auch mal anrufen kann. Ich war auch in 30 Jahren null Tage krank.

Wie geht denn das, nicht mal ne Erkältung?

Doch klar, aber deswegen bleib ich ja nicht zu Hause. Ich habe das auch gar nicht hinterfragt, das war für mich selbstverständlich.

Würden Sie den Job so heute noch mal machen?

Den Beruf würde ich vielleicht noch mal machen, aber ob ich so viele Stunden machen würde, weiß ich nicht.

Hat sich der Beruf im Laufe der Jahre verändert?

Ja, schon. Früher haben wir als Außendienstler einen guten Stand gehabt. Wir wurden viel von Firmen eingeladen, ein Wellnesswochenende hier, eine Seminarwoche mit allem Drum und Dran dort. Ich bin mal auf der Kieler Woche mit Kollegen auf nem großen Segelschiff ganz vorne bei der Windjammerparade mitgefahren. Das gibts ja so alles nicht mehr.

In 48 Jahren haben Sie auch große technische Veränderungen miterlebt.

Oh ja, ich war bei technischen Neuheiten immer relativ früh mit dabei. Ich hatte sehr früh ein Handy. Das war damals noch sehr groß, nicht so wie diese Kofferteile, aber schon ein richtiger Knochen. Auch wenn ich kaum Empfang hatte und SMS manchmal Stunden später ankamen, war das schon ein Fortschritt. Vorher musste ich ja immer eine Telefonzelle finden, wenn ich mal zu Hause oder in der Firma anrufen wollte. Viele von den Handys habe ich noch zu Hause. Und ich hatte auch relativ früh eine Freisprechanlage. Das hat damals so um die 2.000 Euro gekostet.

Wie beurteilen Sie ihren Beruf heute?

Der Konkurrenz ist enorm groß geworden. Wenn da einer als Außendienstler neu ins Geschäft kommt, muss der sich ja erst mal einen Kundenstamm aufbauen. Manche unterbieten dann einfach die Preise von der Konkurrenz. Obwohl sie so nichts verdienen. Das Internet ist auch ein Faktor. Wer will, kann da alles billiger finden. Aber persönliche Beratung gibts da halt nicht.

Wie haben Sie sich denn da durchgeboxt?

Ich hatte einen sehr großen Kundenstamm, rund 300 hatte ich. Mit vielen meiner Stammkunden war ich befreundet.

So beschreibt auch die Industrie- und Handelskammer den Beruf, mit der Verbindung von Privatem und Geschäftlichem. Das muss man wollen, oder?

Ja, das muss man wollen. Das ist nicht jedermanns Sache. Ich habe damit kein Problem. Freundschaften ergaben sich meist so nach und nach. Erst wird man zu Firmenfeiern eingeladen, dann zu Geburtstagsfeiern, dann lernen sich die Frauen kennen und befreunden sich vielleicht auch.

Ich habe sehr viele Geburtstage meiner Kunden im Kopf, und die anderen auf einer Liste. Ich habe Generationenwechsel erlebt. Manche kenne ich noch als kleine Jungs oder Mädels, die dann den Betrieb übernommen haben. Leider muss ich auch immer wieder auf Beerdigungen. Habe gerade die Nachricht erhalten, dass ein guter Freund und langer Kunde gestorben ist.

Sie kannten bestimmt eine ganze Menge Leute?

Das kann man so sagen. Meine Frau meinte mal, ich bin bekannter als ein bunter Hund. Sogar im Urlaub habe ich immer wieder Leute zufällig getroffen, ob das jetzt in Travemünde oder Garmisch-Partenkirchen war. Meine Frau war manchmal genervt und sagte: Da winkt schon wieder einer.

Wie sehr hat die Coronapandemie ihren Beruf beeinflusst?

Eigentlich kaum. Ich war trotzdem fast immer unterwegs. Ich hab nicht unbedingt alle Kunden besucht, aber die meisten. Manchmal habe ich das Auto eben da abgestellt, wo man es nicht gleich sehen konnte.

Seit April sind Sie in Rente. Fällt Ihnen das schwer, auf einmal so viel Zeit zu haben?

Nee, eigentlich nicht. Ich habe eine lange Liste mit Sachen, die ich noch machen will. Den Carport in Ordnung bringen, pflastern. Ich schlafe auch länger, bis 6.45 Uhr. Früher bin ich immer um 5.15 Uhr aufgestanden. Aber ein bisschen anders habe ich mir die Rente schon vorgestellt.

Wieso?

Eigentlich wollte ich mit meiner Frau verreisen, wir hatten noch Gutscheine von Urlauben, die wir vor Corona gebucht hatten, zum Beispiel eine Kreuzfahrt. Aber meine Frau ist im Februar gestorben. Ganz plötzlich. Sie hatte Probleme mit der Lunge, war auch schon in der Reha. Es ging eigentlich wieder gut. An dem Tag im Februar hatte sie über Luftnot geklagt, bis der Notarzt da war, war es zu spät. Wir hatten noch viel vor gemeinsam. Ob ich allein verreise, weiß ich noch nicht. Vielleicht arbeite ich auch wieder.

Ist das Ihr Ernst?

Ich muss ja eigentlich nicht, meine Rente ist ausreichend. Ich habe gut vorgesorgt. Aber ich bin ja noch fit. Ich habe Angebote von verschiedenen Firmen. Vielleicht so zwei, drei Tage in der Woche.

Können Sie schlecht Nein sagen?

Das würde ich schon sagen.

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