Bürgerrat Forschung legt Ergebnisse vor: Begrenzte Transparenz

Der Bürgerrat sollte erarbeiten, wie die Öffentlichkeit an Forschungsentscheidungen beteiligt werden kann. Nur die Kommunikation klappt nicht.

Menschen gehen über einen Platz

Eine Auswahl wurden von Experten fachlich gebrieft – von November 2021 bis März 2022 Foto: Marius Schwarz/imago

BERLIN taz | „Forschung heißt für mich Beschreiten neuer Wege“, sagt ein Mitglied des Bürgerrats Forschung. „Man kann auch mal stolpern, aber am Ende lernt man daraus.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das den Bürgerrat initiiert und für ein halbes Jahr finanziert hatte, ist mit diesem Ansatz der gesellschaftlichen Beteiligung in der Tat ins Stolpern geraten. Ob die ministerielle Lernkurve aber tatsächlich folgt, darf indes eher bezweifelt werden.

Begründung: Das Haus von FDP-Ministerin Bettina Stark-Watzinger – das aktuell durch den plötzlichen Abschied von Innovations-Staatssekretär Thomas Sattelberger in der vorigen Woche auch inhaltlich-konzeptionell ins Trudeln geraten ist – befindet sich auf einer Art von kommunikativer Geisterfahrt, die Öffentlichkeit ist weitgehend durch deren Simulation ersetzt worden. Im Falle des partizipativen Bürgerrates wurden sogar die Schotten komplett dicht gemacht, indem eine Partizipation der Presse nicht zugelassen wurde.

Zunächst zum Anlass. Bürgerräte sind für Politiker in Zeiten des Wählerschwundes und offener Demokratiegegnerschaft in Teilen der Bevölkerung aktuell der „heiße Scheiß“, um die Kontakte zum Souverän aufrechtzuerhalten. Fast jede staatliche Instanz, vom Hohen Haus des Deutschen Bundestages bis zur abgehängten Kreisstadt, lädt die Bürger in von ihr geschaffene Formate der Beteiligung ein, wo es neben Dampfablassen vor allem um Mitgestaltung von politischen Prozessen gehen soll.

„Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen“, heißt es in der Koalitionsvereinbarung der Ampelregierung. „Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren“.

Jedes Mal sichern die Verwaltungen zu, dass die gemachten Vorschläge auch praktisch umgesetzt würden – was wissenschaftlich aber noch ein weißer Fleck ist. Aus der Partizipationsforschung ist keine Studie bekannt, die eine reale Wirkung, einen „Impact“ von Bürgerräten auf die Politik empirisch belegt.

Bildung bleibt außen vor

Im BMBF war es so, dass unter der vormaligen CDU-Ministerin Anja Karliczek, die einen persönlichen Schwerpunkt auf die Förderung der Wissenschaftskommunikation legte, auch eine „Partizipationsstrategie“ erarbeitet wurde, die allerdings wenig Beachtung fand. Früchte davon waren unter anderem das derzeit laufende „Wissenschaftsjahr“ des Ministeriums zum Thema Partizipation und die Einrichtung des Bürgerrates – erstaunlicherweise aber nur zum Teilthema „Forschung“, ohne Bildung.

Von der unabhängigen „Montag Stiftung Denkwerkstatt“ wurde mit Unterstützung der Kommunen als die häufigsten Schulträger der „Bürgerrat Bildung und Lernen“ ins Leben gerufen. Das Gremium mit 500 Beteiligten übergab in der vorigen Woche seine „50 Vorschläge zur Verbesserung des deutschen Bildungssystems“ an Bundestags-Vizepräsidentin Aydan Özoğuz. Das fachlich zuständige Bundesministerium blieb außen vor.

Für den Bürgerrat Forschung ließ das BMBF von zwei Fachagenturen (ifok GmbH und nexus GmbH) 47 Teilnehmer repräsentativ für die deutsche Bevölkerung auswählen – aber nicht ganz. „Personen mit nicht­akademischem Bildungsstand waren im Bürgerrat Forschung unterrepräsentiert“, vermerkt der Schlussbericht. „Dabei handelt es sich um ein bekanntes Problem bei Bürgerbeteiligungsformaten.“

Jeder Beteiligte sollte dem Bürgerrat Forschung mindestens 40 Stunden Zeit widmen

Die inhaltliche Zielvorgabe lautete: „Künftige Beteiligungsprozesse im Bereich Forschung für und mit Bür­ge­r:in­nen noch attraktiver und bür­ge­r:in­nen­freund­li­cher zu gestalten“. In sechs Runden kamen die Forschungslaien seit November 2021 überwiegend virtuell in Zoom-Konferenzen zusammen und wurden von 24 Wissenschaftlern fachlich gebrieft. Jeder Beteiligte sollte dem Bürgerrat Forschung mindestens 40 Stunden Zeit widmen. Das letzte Arbeitstreffen war im März 2022 in Berlin.

Die Vorstellung der Ergebnisse fand in geschlossener Veranstaltung am 19. Mai auf den EUREF-Energiecampus in Berlin-Schöneberg statt. Den gesamten Prozess ließ sich das BMBF nach eigenen Angaben „insgesamt rund 550.000 Euro“ kosten.

Das Bürgergutachten mit seinen 25 Empfehlungen wurde vom Leiter der Grundsatzabteilung im BMBF, Roland Philippi, entgegengenommen. Die Ministerin oder einer der vier Staatssekretäre hatten keine Zeit dafür. Philippi würdigte die „Schwarm­intelligenz der Vielen“ und sagte zu, die Vorschläge in die Fortschreibung der Partizipationsstrategie bis Januar 2023 einzuarbeiten.

Die Empfehlungen in drei Handlungsfeldern („Verankerung, Unterstützung, Einfluss und Rechte“) richten sich nur auf die Organisation von Forschungs- und Beteiligungsprozessen. Forschungsinhalte – was spannend gewesen wäre – kommen nicht zur Sprache. Selbstverständlichkeiten werden recycelt, zum Beispiel Empfehlung 19: „Wir empfehlen die feste Verankerung von Beteiligung in Forschung, Forschungspolitik und Gesellschaft. Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung sollen in politische und wissenschaftliche Prozesse eingebunden werden. Die Bür­ge­r:in­nen sollen als All­tags­ex­per­t:in­nen angehört und ernst genommen werden“.

Alle Empfehlungen wurden in der Gruppe zur Abstimmung gestellt. Drei Voten erhielten die geringste Quote von 83 Prozent Zustimmung. Darunter der Vorschlag Nummer 24: „Wir empfehlen, dass erarbeitete Daten des Beteiligungsprozesses öffentlich zugänglich sein sollten, sofern kein Widerspruch der Beteiligten vorliegt. Wenn möglich, sollten Forschungsergebnisse weitestgehend kostenlos und zusätzlich in allgemein verständlicher Sprache verfügbar sein und öffentlich weiterverwertet werden können“. Die geringe Transparenzbereitschaft verwundert.

Gemeinsamen Gremium

Die forschungspolitische Dyna­mitstange ist in Empfehlung 2 verpackt: „Wir empfehlen ein Gremium aus Politik, Wissenschaft und Bürger:innen, um bedarfsorientiert die Agenda im Bereich der angewandten Forschung festzulegen. Ziel ist eine stärkere mitwirkende Rolle der Bür­ge­r:in­nen im Bereich der Förderung angewandter Forschung“. Zur Sicherung der Wissenschaftsfreiheit sollte zwar die Wissenschaft dort „in jedem Fall die Mehrheit bilden“. Aber die Bür­ge­r:in­nen könnten in diesem Gremium „ihre Sicht der gesellschaftlichen Relevanz und des Gemeinwohls einbringen“. Eine solche Partizipation war im letzten Hightech-Forum des BMBF jedenfalls nicht willkommen.

Auch wenn der Bürgerrat fordert, (Votum 16 mit 89 Prozent) „dass die Attraktivität von Bürgerbeteiligung durch die Nutzung von Medien, auch digitalen Medien, unterstützt wird“ – das Ministerium war nicht bereit, die Presse zur Vorstellung und dem Gespräch mit dem Bürgerrat einzuladen.

Warum diese Geheimhaltung? Das BMBF gab der taz diese Begründung. „Aufgrund der derzeitigen Terminlage war die Teilnahme einer Vertreterin des Leitungsstabs nicht möglich. Diese ist in der Regel Voraussetzung für einen Pressetermin. Wir haben uns deshalb gegen eine Teilnahme der Presse entschieden.“

Presse wird nicht informiert

Interessierte Journalisten, wie von der taz, wurden nicht zugelassen. Das ist eine Beeinträchtigung von Pressefreiheit, die jeden liberalen Politiker auf den Plan rufen müsste. Im Hause Stark-Watzinger gab es nicht mal ein terminlich abgekoppeltes Pressegespräch mit dem Bürgerrat, ob mit oder ohne Ministerialebene. Bis heute ist auch keine Presseerklärung zu den Ergebnissen des Bürgergutachtens herausgegeben worden.

Öffnung für Beteiligung der Bürger bei Heraushaltung der Presse – im deutschen Wissenschaftsministerium ist eine ungute Kommunikationslage entstanden. Das hat nicht nur mit handwerklichen Schwächen der BMBF-Kommunikation zu tun. Man stelle sich das Medienecho vor, würde sich Wirtschaftsminister Habeck auf die Reise zum Grünen Wasserstoff in Australien machen. Der aktuelle Trip von Stark-Watzinger dorthin ist ein mediales Non-Event.

Noch gravierender ist die schleichende Nicht-Partizipation des Wissenschaftsjournalismus an den Abläufen der Wissenschaftspolitik. Was nicht nur staatliche Instanzen, sondern auch immer mehr Wissenschaftsorganisationen betrifft. Es wird Zeit für einen „Presserat Forschung und Bildung“.

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