Dokumentartheater über Tiefseebergbau: Moralisch keine Erfolgsgeschichte

In der Performance „Out of the Blue“ wird Tiefseebergbau erkundet. Vom Kunstenfestivaldesarts in Brüssel geht das nachdenkliche Stück auf Tour.

Auf einer Bühne sitzen ein Mann und eine Frau, vor sich projizierte Bilder und Schrifttafeln

In dem mulitmedialen Raum der Performance wird präzise gearbeitet Foto: Loes_Geuens-RHoK

Die Frage, ob jetzt alles anders wird, die am Anfang der Pandemie gestellt wurde, ist nicht schwer zu beantworten: Nein, erst mal nicht. Es scheint das meiste wie immer in der Performance-Welt. Die radikale Wende gab es nicht. Zwar wurde das internationale Touring während der ersten Covidwelle als zu ressourcenintensiv infrage gestellt. Aber das war leicht gesagt bei dichten Grenzen.

Die Frage, was gilt, ist dagegen von Tag zu Tag schwerer zu beantworten. Stehend in absurd überlasteten Zügen nach Belgien fahren oder doch fliegen? Für sich leben oder die Wohnung mit Geflüchteten teilen? Waffen ja oder nein? Ins Theater gehen oder Selbst­ver­sor­ge­r:in­nen­gär­ten anlegen? Meeresurlaub oder Meeresschutz?

Das Brüsseler Kunstenfestivaldesarts ist eines der wenigen europäischen interdisziplinären Festivals der Darstellenden Künste. Es beschäftigt sich in diesem Jahr etwas mehr mit dem Stadtraum vor Ort als sonst, hat sich aber nicht neu erfunden. Es ist ausverkauft, bietet dabei keine leichten Häppchen, sondern versucht, das Sehen und Verstehen zu schärfen. Lässt die Geister des Verdrängten defilieren, etwa imaginär zu den Leichen ins Mittelmeer tauchen.

Rahmen zum Nachdenken

Und es lässt angemessen Raum für ungelöste Fragen. So lässt sich ein leitender Meeresbiologe, der im Dokumentartheaterabend „Out of the Blue“ zitiert wird, dazu hinreißen, als Privatmensch zu sprechen und einzugestehen, dass er auch nicht weiter weiß. Wenn er seine Freun­d:in­nen über „die Folgen von Tiefseebergbau, Öl, Gas und Plastik“ informiere, „werden sie deprimiert“. Andere wollen es nicht mehr hören. Einen Weg heraus? „Vielleicht“, so meint er, „sollten wir es überhaupt nicht mehr versuchen“.

Termine für die Trilogie von Silke Huymans & Hannes Dereere:

25.05 | Out of the Blue – Kunstenfestivaldesarts, Brussels (BE)

29.05 | Pleasant Island – Freiburg Festival, Freiburg (DE)

30.05 | Pleasant Island – Freiburg Festival, Freiburg (DE)

24.06 | Out of the Blue – PACT Zollverein, Essen (DE)

15.07 | Mining Stories – Bitterfeld Festival, Bitterfeld (DE)

16.07 | Mining Stories – Bitterfeld Festival, Bitterfeld (DE)

Mehr Infos unter: https://silkehuysmanshannesdereere.com/

Es gibt viele Abers. Manche sind haltbarer als andere. Was aber verbinden kann, ist, wenn jemand, so wie es Silke Huysmans und Hannes Dereere in „Out of the Blue“ tun, einen präzisen Rahmen zum Nachdenken schafft. Ihr Theaterabend über Tiefseebergbau ist der letzte Teil einer Trilogie, der wie jeder Teil autark für sich funktioniert. „Mining Stories“ (2016) widmete sich der ökologischen Katastrophe, die 2015 in Brasilien durch eine Giftschlammlawine verursacht wurde. Für „Pleasant Island“ (2019) schaffte es das Team, Zugang zur pazifischen Insel Nauru zu bekommen. Nauru gilt als Australiens Internierungslager für Geflüchtete. Weniger bekannt ist die Geschichte der Zerstörung der Insel durch Kolonialismus, Ressourcenabbau und Meeresspiegelanstieg. Ein erschöpftes Stück Land.

„Out of the Blue“ ist nun ein im besten Sinn mit journalistischer Methodik erarbeiteter Theaterabend über eine Zeitenwende. Silke Huysmans und Hannes Dereere haben dafür drei Schiffe – eines von Greenpeace, eines für die Forschung und eines der belgischen Firma DEME-GSR – auf dem Stillen Ozean via Satellit kontaktiert und Interviews mit der Besatzung geführt. Es geht um die erste industrielle Test-Expedition der Erdgeschichte in die Tiefsee, durchgeführt mithilfe des dafür entwickelten Bergbauroboters Patania.

Zweiundzwanzig Nationen, darunter Deutschland, haben im Rahmen der International Seabed Authorities (ISA) eine Interessenerklärung für Tiefseebergbau formuliert. In etwa drei Jahren könnte, so die Einschätzung in „Out of the Blue“, mit Tiefseebergbau begonnen werden.

Anlass der Erschließung ist der weltweite Nickel-, Kobalt-, Kupfer- und Manganbedarf. Im Stillen Ozean gibt es ein größeres Vorkommen davon als auf der restlichen Erde im Gesamten, so die Interessenvertreter. Das Argument für den Abbau ist schlagkräftig: Die Mineralien werden für jene Batterien gebraucht, die den Strom aus erneuerbaren Energien speichern. Somit wäre Tiefseebergbau für eine klimaneutrale EU im Jahr 2050 unerlässlich.

Ist die Erde für den Menschen gemacht?

Dabei würde eine Landschaft industriell genutzt, die sich seit Millionen von Jahren unberührt entwickelt hat und deren Be­woh­ne­r:in­nen eine Lebensdauer von etwa 2.000 Jahren haben, was sie für Wis­sen­schaft­le­r:in­nen extrem schwer zu erforschen macht. Die Fragen, die das Thema aufwirft, sind dabei nicht technischer, sondern moralischer Art: Ist die Erde für den Menschen gemacht? Entscheidet sich diese Spezies irgendwann gegen ihre Hybris und dafür, ihren Aufenthalt hier als Gastrecht zu betrachten? Können Grenzen des Nichtwissens zu Horizonten der Bescheidenheit werden?

Bergbau war noch nie eine moralische Erfolgsgeschichte. Nirgendwo auf der Welt, wie Huysmans und Dereeres erste zwei Trilogieteile zeigen, die im Mai und Juni in Freiburg und Bitterfeld zu sehen sind. Lässt sich daraus für den Umgang mit der Tiefsee lernen?

Das Brüsseler „Out of the Blue“ ist kein aktivistisches Dokumentartheater mit einer konkreten Forderung. Es steuert stattdessen live durch einen komplexen Wissensraum und stellt dar, an welche Grenzen Wissen und Wissenschaft stoßen, wenn sie von In­ter­es­sen­ver­tre­te­r:in­nen interpretiert werden. Dieser Raum ist multimedial so präzise gestaltet, dass im Publikum tiefseeische Stille herrscht. Eine Atmosphäre der Aufmerksamkeit, in der sich statt schneller Antworten leise innere Stimmen hören lassen.

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