Shi Ming
Fernsicht
: Russland und China – Grenzen einer Freundschaft?

Mit politischer Symbolik ist es so eine Sache. Entweder: sinnbehaftete Bilder, deren wirkliche Bedeutung nebulös bleibt, wie die 5.000 Helme, die Deutschland zu Beginn des Krieges den kampfbereiten Ukrainern schenkte – so nach dem Motto: Eigentlich wäre uns der Friede lieber; da ihr aber gegen eine Aggression kämpft, hier ist, immerhin, unser Zeichen der Solidarität. Darauf, von Freunden wie von Feinden, nur ein bitteres Kopfschütteln: Das ist doch wohl nicht euer Ernst!

Oder: Die eigentliche Bedeutung der Symbolik wird umgekehrt. Kaum hatte der russische Außenminister Sergei Lawrow den jüdischstämmigen Präsidenten der Ukraine, Wolodimir Selenski, des „blanken Nazismus“ beschuldigt und behauptet, dass „die eifrigsten Antisemiten in der ­Regel Juden sind“, musste sich sein Chef, Wladimir Putin, zähneknirschend für Lawrows Zynismus bei den erzürnten Israelis per Telefonat mit Premierminister Naftali Bennett entschuldigen, symbolisch nur, so nach dem Motto: „Das ist so nicht gemeint, nicht im Ernst.“

Danach hielt Putin am 9. Mai eine Siegesparade auf dem Roten Platz zum Sieg über den Weltfaschismus ab und schwor, den heutigen Nazismus in der Ukraine bis zum bitteren Ende bekämpfen zu wollen. Wer in Russland dagegen friedlich protestiert, gehört gleich ins Gefängnis, wenn ihm oder ihr nicht Schlimmeres droht.

Shi Ming ist 1957 in Peking geboren, lebt in Trier und arbeitet als freier Autor. In seinen Texten setzt er sich mit dem politischen Geschehen und der gesellschaftlichen Entwicklung in seiner Heimat auseinander.

Die Symbolik mitsamt dem, was sie erzählen sollte, aber eigentlich nicht tut, bleibt schillernd. Als kurz vor den 9.-Mai-Feiern ein westlicher Journalist in Peking den chinesischen Außenamtssprecher Zhao Lijian fragte, ob China jemanden von hohem Rang zu Putins Siegesfeier schickte, etwa ein Politbüromitglied oder einen Vizeaußenminister, um so zumindest symbolisch Chinas Unterstützung für Putins Schelte gegen die Nato zu demonstrieren, die laut Putin nur darauf so lauere, in Russland einzufallen, antwortete Zhao: „Ach, in der Angelegenheit kann ich für dich bei zuständigen Stellen mal fragen.“ Bis heute bleibt Zhao aber eine bejahende Antwort schuldig. Ist Chinas Interesse für seinen womöglich gerade scheiternden Freund im Kreml auch schon symbolisch so weit erkaltet?

Es scheint so. An demselben 9. Mai schickte Chinas Präsident Xi Jinping kein symbolisches Telegramm, um Wladimir Putin zum heroischen Sieg über den Weltfaschismus zu gratulieren. Stattdessen hielt er eine Videokonferenz mit Olaf Scholz ab, dem deutschen Bundeskanzler, der, diesmal nicht bloß symbolisch, sieben schwere Haubitzen an die die Aggressoren aus Russland bekämpfenden Ukrainer schicken ließ. Im Klartext: Xi kuschelt mit seines Freundes Feind.

Zwar weigert sich Chinas Herrscher weiter ehern, ein kritisches, auch wenn nur symbolisches Wort wider den blanken Überfallkrieg Russlands gegen seinen Bruder zu verlieren. Aber in der Sache appellierte Xi, laut Nachrichtenagentur Xinhua, „aufrichtig an Deutschland und Europa zu mehr ernstmeinender und beiden Seiten Vorteile bringender Kooperation“, so als hätte er sein Gelöbnis vom 4. Februar, seinem Freund Wladimir den Rücken freizuhalten, um den Krieg gegen die unverschämte Nato und deren Lakaien, die Ukraine, vom Zaun zu brechen, gar nicht so ernst gemeint. Halt nur so als ein Symbol hatte Chinas Vizeaußenminister Le Yucheng allen Ernstes beschworen: „Die sino-russische freundschaftliche Zusammenarbeit“, so Le, kenne nach oben keine Decke. Drei Monate später ist damit Sense?

Chinas Präsident Xi Jinping kuschelt mit seines Freundes Feind – Olaf Scholz

Das Nullsummen-Spiel der symbolhaften, eiskalten Geopolitik mag einer nachvollziehen. Sollen wir uns damit abfinden, allen Ernstes? Ich hoffe nicht.