Buch „Brennpunkt Westafrika“: Warum Menschen fliehen

Aktivist und Soziologe Olaf Bernau analysiert in seinem Buch die Vielfachkrisen und Fluchtursachen in Westafrika. Optimistisch ist sein Befund nicht.

Zwei Schwarze Frauen in einer öden Landschaft, in einer Granatminde

Pissy-Granatmine in Burkina Faso: viele Menschen, die vor dem IS flüchten, suchen hier Arbeit Foto: Sophie Garcia

Ereignisse wie im Pariser Club Bataclan, mit denen Terror ganze Gesellschaften erschüttert, kennen auch die Staaten des Sahel. Im Fall Malis etwa ist es das Massaker von Ogassogu am 23. März 2019. Die Miliz Dan Na Ambassagou („Jäger, die auf Gott vertrauen“) ermordete da 172 Hirten aus dem Volk der Fulbe.

Olaf Bernau: „Brennpunkt Westafrika“. C. H. Beck Verlag, München 2022, 317 Seiten, 18 Euro

In Mali stürzte darüber die Regierung, selbst an der interessierten europäischen Öffentlichkeit aber gehen solche Vorfälle völlig vorbei. Die eskalierende Gewaltdynamik im Sahel wird am Rande wahrgenommen, von Interesse ist dabei aber bestenfalls, ob der deutsche Bundeswehreinsatz nun sinnvoll ist oder nicht. Koloniale Tiefenstrukturen, politisch-ökonomische Auseinandersetzungen, die vom Dschihad überformt werden, bleiben im Dunkeln.

Der Aktivist Olaf Bernau hat mit „Brennpunkt Westafrika“ nun ein Buch vorgelegt, das Mikro-Ansichten, wie jene auf das Massaker von Ogassogu, zu einer bemerkenswert erhellenden Regionalanalyse verschränkt. Der Dschihad ist darin nur eine Facette.

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Optimistisch ist Bernaus Befund nicht –„Vielfachkrise“ und „Dauerkrise“, mit diesen Vokabeln beschreibt er die Region: In der Krise seien der Territorialstaat, der gesellschaftliche Zusammenhalt, die Ökonomie, die Landwirtschaft, das Klima. Die Ursachen dafür reichen lange zurück, die Folge ist ein Gefühl tiefer Perspektivlosigkeit, vor allem bei jungen Menschen. Viele von ihnen drängt es in die irreguläre Migration und nicht wenige in den Dschihad.

Recht zu gehen, Recht zu bleiben

Bernau schöpft seine Ansichten aus der Arbeit in einem Netzwerk, das er selbst vor gut zehn Jahren mitgegründet hat: Afrique-Europe-Interact (AEI), ein Zusammenschluss politischer Initiativen und sozialer Basisgruppen in Europa und Westafrika. Ihre Themen: Migration und gerechte Entwicklung, kondensiert in der Forderung auf ein „Recht zu gehen und ein Recht zu bleiben“.

Was diesem „Recht zu bleiben“, der Aussicht auf ein würdiges, nicht von Not gezeichnetes Leben entgegensteht, sind „Fluchtursachen“. Von diesen handelt das Buch, und von Europas Verantwortung für diese.

Über Jahre hat Bernau Kleinbauern in ihren Kämpfe begleitet, er macht greifbar, wie diese versuchen, der Klimakrise zu trotzen, und sich dabei auch gegen eine europäische Agrarindustrie behaupten müssen. Er konturiert die neuen Konjunkturen des Antikolonialismus. Vor allem aber spürt er den Hypotheken nach, die die europäischen Herrscher hinterließen und die Dekolonisierung vielerorts bis heute unvollständig lassen.

Und so liege der Schlüssel, der aus den regionalen Dynamiken angestauten „Vielfachkrise“ zu begegnen, auch in Europa: Es müsse das begangene Unrecht anerkennen und das Verhältnis zu Afrika auf dieser Grundlage neu konstituieren. Nur so, darauf läuft Bernaus Analyse hinaus, könne es den notwendigen Beitrag dazu leisten, Westafrikas Jugend Hoffnung zurück zu geben.

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