Schwarzer Tüll und totes Krokodil

Sie schreckt nicht vor merkwürdigen Materialien zurück und schon die Titel sind Kunstwerke: Eine Doppelausstellung in Hannover würdigt die unlängst 75 gewordene Christiane Möbus

Das Krokodil zu besorgen, dauerte 13 Jahre: Christiane Möbus’ „Nelly“ (2007) ist nun im Kunstverein Hannover zu sehen. Foto: Hans-Wulf Kunze © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Von Bettina Maria Brosowsky

Einige Monate nach ihrem 60. Geburtstag bekam die Künstlerin Christiane Möbus Besuch in ihrem Atelier in Hannover: Das Zeit-Magazin, seinerzeit Leben geheißen, schickte einen Redakteur aus Hamburg, den dann ein örtlicher Fotograf begleitete. Beide staunten über Möbus’Universum aus präparierten Tieren, Ruderbooten, Geweihen, Möbeln, Landkarten, Textilien, Kartons und Kästen.

Sie selbst bezeichnete dieses Arsenal damals noch als ihren „Notizenspeicher“, mittlerweile hat es, weiter angewachsen, stetig bearbeitet und umgeschichtet, die Qualität und Dimension einer „Wanderdüne“ erreicht; ganz persönliches Kunstwerk, Ausweis Möbus’scher Denk- und Arbeitsweise und selbst Objekt fotografischer Präsentation.

Eine extra Würdigung galt damals dem wohl exotischsten Stück: einem großen, ausgestopften Krokodil. Das hatte Möbus bereits 1994 geordert, aber gerade erst erhalten. Auch wenn derartige Panzerechsen nicht grundsätzlich dem Washingtoner Artenschutzabkommen unterliegen: Aus dieser offensichtlich schwierigen, 13 Jahre dauernden Beschaffung lässt sich so etwas wie eine Obsession erahnen, mit der Christiane Möbus arbeitet. In der amphibischen Lebensweise des Reptils, zwischen Wasser und Land, sah sie in jener Zeit gar Parallelen zu ihrer eigenen: aufgehoben in einem „Dazwischen“, ständig unterwegs auf der Autobahn, reisend zu den Orten ihrer Lehrtätigkeiten, kurze Gedichte und spontane Einfälle notierend.

Noch 2007 wurde das Krokodil dann „verarbeitet“ und krönt seitdem ein imposantes installatives Objekt aus Koffern, Taschen, Transportkisten und ledernen Medizinbällen auf zwei Rollwagen. „Nelly“ ist nun als Leihgabe aus dem Besitz des Sprengel-Museums im Kunstverein Hannover zu sehen. Gemeinsam veranstalten beide Häuser gerade eine umfangreiche Retrospektive zu Ehren der vor Kurzem 75 Jahre alt gewordenen Christiane Möbus.

Und damit einer „bedeutenden Gegenwartskünstlerin, die schon früh Maßstäbe setzte“, so die Organisator:innen. In Celle aufgewachsen, hat Möbus an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig studiert, war dort zwischen 1982 und 1990 Professorin. Anschließend lehrte sie bis 2014 an der Universität der Künste in Berlin, war Dekanin. Ihre bekannteste Schülerin ist wohl die Installationskünstlerin Alicja Kwade.

Eine überraschende Kombinatorik aus disparaten Objekten und durchaus in die Irre leitende, abwegige, für sich selbst stehende, poetische Werktitel: Das ist die Kunst von Christiane Möbus. Bei der Wahl ihrer Materialien herrscht wenig Scheu, nichts scheint zu sperrig, zu banal oder zu kompliziert. Das geschieht auch ganz pragmatisch: In der großen, von verschiebbaren Wänden bereinigten Wechselausstellungshalle des Sprengel-Museums, die den zweiten Teil der Werkschau beherbergt, zog sie das zusammengeschobene Paket dieser Wände einfach als raumhohes Exponat mit ein. Schwarz angestrichen, von Spanngurten umschnürt, wird es nun von zwei textilen Korsagen geziert – mit Kokosnüssen anstelle weiblicher Brüste. „Arc de Triomphe“, so der dazugehörige Titel, mag man als feines feministisches Statement einer Grande Dame und Emerita interpretieren, die mittlerweile über den Dingen stehen darf – oder auch einfach nur als „Verblüffungsästhetik“, wie einmal ein Kritiker der Frankfurter Allgemeinen über Möbus schrieb.

Ein Universum aus präparierten Tieren, Ruderbooten, Geweihen, Möbeln, Landkarten, Textilien, Kartons und Kästen

Zu letzterer Kategorie zählt erst recht das wohl spektakulärste Exponat: „Schneewittchen“ fügt sich aus einem verkürzten LKW-Fahrerhaus und einer üppigen Draperie aus Tüll anstelle eines dort normalerweise ansetzenden Trailers. Das Ganze kommt in Tiefschwarz daher, nicht in Märchenweiß. Die zugehörigen sieben Zwerge finden sich dann im Kunstverein: Acht lederne Turnpferde, jene Folterinstrumente also aus Schulzeiten, kombiniert mit sieben Paar Reitstiefeln.

Auch hier scheut Möbus nicht das Kolossale: „Hurrikan Harvey“ arrangiert riesige, vom Sturm entwurzelte Baumstümpfe sowie, hoch oben an den Wänden, zwei Fensterluken nebst Arbeitsbühnen aus einer alten Scheune. Möbus hat sie zusammen mit Sprengel-Direktor Reinhard Spieler im ländlichen Umraum aufgetan und hergerichtet zu einem ansehnlichen wie ausstellbaren Zustand.

Was ist das also für eine Kunst, die Christiane Möbus ersinnt? Objekt gewordene Geistesblitze feinen Humors, ästhetisch exquisite Werke von philosophischer Dimension – oder nur besserer Klamauk? Eine Publikation wird Ende Mai entsprechende Einschätzungen nachliefern, unter anderem von Timm Ulrichs, ihrem ebenfalls hannoverschen Bruder im Methoden-Geiste.

Christiane Möbus. Seitwärts über den Nordpol: bis 24. 7., Kunstverein Hannover; bis 11. 9., Sprengel-Museum.

Matinee mit Katalogpräsentation: So, 29. 5., 11.15 Uhr, Sprengel-Museum