Fazit zum taz lab 2022: Noch mehr Streit austragen

Linke Konsensthemen werden immer rarer. Nun braucht es eine gute Streitkultur. Wie das geht, hat das diesjährige „taz lab“ vorgemacht.

taz lab 2022

„Klima und Klasse“, das diesjährige Thema das taz lab

Selten zuvor wurde der intensive Wunsch nach politischer und kultureller Orientierung so deutlich wie bei dem taz lab am Wochenende. Vor allem in den linken und alternativen Szenen. So viele Menschen wie noch nie hatten sich für den jährlichen taz-Kongress angemeldet, verfolgten die Debatten entweder aus aller Welt digital oder direkt auf den Bildschirmen, die rund um das taz-Haus aufgestellt waren.

Ersichtlich wurde aus den Kommentarspalten wie den Publikumsreaktionen, dass traditionelle Gewissheiten nur noch begrenzt gelten können. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat alles an jahrzehntelang eingeübter Erklärroutine nicht nur erschüttert, sondern buchstäblich zerstört.

Genügten einst Stichwörter wie „Nato“ oder „US-Imperialismus“, um linkes Einvernehmen herzustellen, erweist sich seit dem 24. Februar, dass diese Konsenskoordinaten passé sind. Jetzt muss gestritten werden – um das, worauf es Linken wirklich ankommt. Menschenrechte, die Verteidigung demokratischer Mühen wie in der Ukraine seit der Loslösung aus dem postsowjetischen Imperium, um die Kosten der Klimawende, die mehr meint als Lippenbekenntnisse, die sich mit dem Wort „Öko“ (gern mit dem Zusatz versehen: „Aber gerecht muss es sein“) schmücken.

Der Streit auf dem taz lab ist noch ausbaufähig, es war noch ein wenig zu viel Einvernehmen um das Gute, Wahre und Schöne. In jeder Hinsicht ein neuer Anfang war, jungen, osteuropäischen Stimmen eine Bühne zu geben, besonders solchen, die darauf bestanden, nicht Opfer irgendeines „Westsplaining“ zu werden, von Belehrsamkeit westlicher, vergleichsweise wohlhabender Stimmen gegenüber jenen, die zwischen Lwiw und Mariupol um ihre politische Würde kämpfen.

Eine Linke, die sich auf die Sehnsüchte der ukrainischen De­mo­kra­tie­kämp­fe­r*in­nen – zu denen unbedingt ihre unterdrückten russischen Geschwister zählen – nicht einlässt, kann kein Gewicht mehr beanspruchen. Das ist, wenn überhaupt, die Lektion des taz lab 2022.

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Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Kurator des taz lab und des taz Talk. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders der Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. Er ist auch noch HSV-, inzwischen besonders RB Leipzig-Fan. Und er ist verheiratet seit 2011 mit dem Historiker Rainer Nicolaysen aus Hamburg.

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