Besetztes Wohnheim in Berlin: Obdachlose raus, Flüchtlinge rein

Der Besitzer des Wohnheims in der Habersaath-Straße will die aktuellen Bewohner rauswerfen. Stattdessen sollen Flüchtlinge aus der Ukraine einziehen.

Besetztes Haus in der Habersaatzstraße in Berlin-Mitte

Erst stand es leer, dann wurde es besetzt: Wohnheim in der Habersaathstraße in Berlin Foto: Bernd Friedel / imago

BERLIN taz | Der Eigentümer der Habersaathstraße 40-48 macht Nägel mit Köpfen: Die 50 Obdachlosen, die seit Ende Dezember in einem Teil des leer stehenden Gebäudekomplexes wohnen, sollen spätestens am Wochenende ausziehen. Dies geht aus einem Schreiben der Arcadia Estates Habersaathstr. 40-48 GmbH an die Initiative Leerstand-hab-ich-Saath mit Datum von Dienstag hervor, dass der taz vorliegt. Die Unterbringung Obdachloser in dem ehemaligen Schwesternwohnheim, das der Besitzer durch einen Neubau ersetzen möchte, sei immer nur für als „Winterhilfe“ vorgesehen gewesen, „wie in den vertraglichen Grundlagen mit dem Bezirk vorgesehen“, heißt es weiter.

Statt der Obdachlosen möchte der Eigentümer in den Wohnungen schon ab 1. Mai Flüchtlinge aus der Ukraine unterbringen. „Hierzu haben wir dem Bezirk wieder eine Zusammenarbeit angeboten.“ Man gehe davon aus, dass die Initiative „Neue Chance“, die sich seit Winter um die Obdachlosen kümmert, gemeinsam mit dem Bezirk den Auszug der Leute organisiere.

Valentina Hauser von der Initiative Leerstand-hab-ich-Saath zeigt sich schockiert: „Das Schreiben ist an bodenloser Unverschämtheit kaum zu übertreffen. Es werden hier gezielt verschiedene marginalisierte Gruppen gegeneinander ausgespielt.“ Offensichtlich gehe es dem Eigentümer nur darum, mehr Kapital aus der Immobilie zu schlagen, bis er sie abreißen kann, sagte sie der taz. Laut Hauser bekommt er vom Bezirk für die Obdachlosenunterbringung 3,50 Euro pro Quadratmeter und Monat. Bei einer Unterbringung von Geflüchteten im Auftrag von Land oder Bezirk sind Tagessätze von bis zu 25 Euro pro Person üblich.

Be­woh­ne­r*in­nen wollen bleiben

Dass der große Reibach so schnell fließen wird, ist indes unwahrscheinlich: Die Be­woh­ne­r*in­nen hätten beim Plenum am Mittwoch Abend einstimmig beschlossen, nicht auszuziehen, so Hauser. „Wir bleiben bis zum Abriss und versuchen weiter, ihn zu verhindern“, sagt sie. Auch sei ihnen vom Bezirk der 30. April nie als fixes Auszugsdatum kommuniziert worden. „Es wurde immer so dargestellt, als könnten wir bis zum Abriss bleiben.“

Der Eigentümer will den Komplex schon lange abreißen und hat inzwischen alle Altmieter bis auf neun aus den rund 120 Wohnungen rausbekommen. Allerdings muss er für den Abriss laut Zweckentfremdungsverbotsgesetz Ersatzwohnungen in gleicher Zahl für maximal 7,92 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter schaffen. Weil er das nicht will, sondern offensichtlich auf höhere Mieteinnahmen spekuliert, hat ihm der Bezirk bislang die erforderliche Genehmigung verweigert.

Der Rechtsstreit darum dauert weiter an, allerdings hat der Bezirk offenbar Befürchtungen, am Ende zu verlieren. Denn wie Anfang der Woche bekannt wurde, hat Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) dem Eigentümer einen „Kompromissvorschlag“ unterbreitet, der vorsieht, dass nur 30 Prozent der neuen Wohnungen für unter 8,50 Euro vermietet werden, 70 Prozent auf den „freien“ Wohnungsmarkt kommen können. Damit würde der spekulative Leerstand auch noch belohnt, hatte die Initiative am Montag kritisiert.

Bezirk will Nutzung sichern

Auf Anfrage der taz erklärte das Bezirksamt, man setze sich „dafür ein, die bisherige Nutzung der Habersaathstraße fortzuführen“. Der Bezirk bezahle die „Neue Chance“ dafür, die Obdachlosen zu beraten und zu versuchen sie in dauerhaften Wohnraum zu vermitteln. Die „regulär verbliebenen Mietenden“ seien über den „mit dem Eigentümer erzielten Vergleich“ informiert worden – dieser sieht auch vor, dass die Altmieter eine Umsetzwohnung bekommen und in Neubau 10 Jahre lang zum alten Mietpreis wohnen können.

„Ein erzwungener Auszug der in der Habersaathstraße untergebrachten Personen ohne bauliche Notwendigkeit würde den Abschluss des Vergleichs sehr deutlich erschweren.“ Sprich: Wenn der Eigentümer tatsächlich die Obdachlosen vor die Tür setzt, wird es nichts mit der Einigung für den Abriss. „Das Bezirksamt wird sich dementsprechend für den Verbleib der dort gerade erst eingezogenen Menschen bis zu diesem Zeitpunkt einsetzen, was es bereits gegenüber den Eigentümern getan hat.“

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