Sinn Féin siegt in Nordirland: Irland kann wieder träumen

In Nordirland beschert der Zwist im probritischen Lager der irischen Sinn Féin den Wahlsieg. Aber ein Referendum zur Wiedervereinigung ist ungewiss.

Vier Frauen lächeln und stehen in einer Reihe

Erst mal wird gefeiert: Michelle O’Neill (Mitte links) und Mary Louise McDonald (Mitte rechts) Foto: Clodagh Kilcoyne

DUBLIN/BELFAST taz | Als das Endergebnis der Wahlen zum nordirischen Regionalparlament nach zweitägiger Auszählung der Stimmen am Samstagabend feststand, hagelte es Superlative. Kommentatoren und Politiker sprachen von einem „politischen Erdbeben“, von einer „Zeitenwende“, vom Beginn einer „neuen Ära“.

Zum ersten Mal in der 101-jährigen Geschichte Nordirlands stellen die protestantischen Unionisten, die für den Verbleib im Vereinigten Königreich eintreten, nicht mehr die stärkste Partei. Die ist nun Sinn Féin, der frühere politische Flügel der inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA).

Sinn Féin gewann 29 Prozent der Stimmen, die zweitgrößte katholische Partei SDLP 9,1 Prozent. Auf protestantischer Seite holte die bisher stärkste Kraft DUP (Democratic Unionist Party) 21,3, die UUP 11,2 und die TUV 7,6 Prozent. Die nichtkonfessionelle Alliance Party kam auf 13,5 Prozent. Sinn Féin wird nun mit Michelle O’Neill die Erste Ministerin Nordirlands stellen.

Viele träumen nun von der irischen Wiedervereinigung, auch wenn Sinn Féin die im Wahlkampf kaum thematisiert hatte. Parteipräsidentin Mary Lou McDonald sagte in Dublin nach der Wahl, die Planungen für ein Referendum sollten sofort beginnen. Sie hält das binnen fünf Jahren für möglich. O’Neill in Belfast war etwas vorsichtiger: Die irische Regierung müsse die Bedingungen für eine Debatte über das Thema schaffen, sagte sie.

Wiedervereinigung ungewiss

O’Neill stammt aus Clonoe, einem kleinen Dorf in der Grafschaft Tyrone. Mit 16 brach sie die Schule ab, weil sie ein Kind bekommen hatte. Ihre Großfamilie, darunter IRA-­Mitglieder, stand ihr jedoch bei, sodass sie ihr Abitur nachholen konnte. 2007 kandidierte sie für die Regionalregierung und gewann. 2011 wurde sie Landwirtschafts-, später Gesundheitsministerin, kurz bevor das Parlament 2017 wegen einer Kor­rup­tions­af­fä­re der DUP auseinanderbrach und drei Jahre auf Eis lag. Nachdem Sinn-Féin-Vizepräsident Martin McGuinness, der sie protegiert hatte, 2017 starb, folgte sie ihm im Amt.

Eine Wiedervereinigung Irlands, das seit dem Entstehen der unabhängigen Republik Irland im Süden und dem Verbleib von sechs Grafschaften im Norden bei Großbritannien geteilt ist, ist trotz des Sinn-Féin-Wahlsiegs keineswegs ausgemacht. Laut dem Nordirland-Friedensabkommen vom ­Karfreitag 1998 liegt ein Referendum darüber im Ermessen des britischen Nordirlandministers. Glaubt er, dass es Erfolgschancen hat, kann er es anberaumen, heißt es vage im Abkommen.

Auch nach diesen Wahlen haben aber die Unionisten, die für einen Verbleib im Vereinigten Königreich eintreten, in Nordirland die Mehrheit – nur ihre Zersplitterung macht Sinn Féin zur stärksten Kraft. In der Frage der Union sind sich die zerstrittenen unio­nis­ti­schen Parteien einig. DUP-Chef Jeffrey Donaldson sagte am Samstag: „Die unionistische Stimme ist nach wie vor stark, wir sind die größte Gruppe im Regionalparlament.“

Keine Regierung in Sicht

Donaldson muss sich nun binnen einer Woche entscheiden, ob er seinen Unterhaussitz in London aufgibt und seinen Sitz im Belfaster Regionalparlament einnimmt. Ein Doppelmandat ist nicht zulässig. Am kommenden Donnerstag bereits soll das neu gewählte Regionalparlament in Belfast zusammentreten.

Zur Bildung einer neuen Regierung wird es aber nicht kommen. Donaldson hat angekündigt, der Regierung fernzubleiben, solange das Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags unverändert in Kraft ist. Das Protokoll regelt, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts bleibt und sich an die EU-Zollregeln halten muss, was Zollkontrollen zwischen Nordirland und Großbritannien erzwingt – aus Sicht radikaler Unio­nis­ten etwa in der TUV, die damit der DUP viele Stimmen abgenommen hat, ist das ein Bruch des Nordirland-Friedensabkommens.

Ohne DUP gibt es keine nordirische Regierung, denn die besteht laut Friedensabkommen zwingend aus einer Koalition. Die beiden stärksten Parteien auf protestantisch-unionistischer und katholisch-republikanischer Seite stellen jeweils die Erste Ministerin und ihren gleichberechtigten Stellvertreter – die eine gibt es nicht ohne den anderen. Boykottiert DUP-Chef Donaldson die Regierungsbildung, kann auch Sinn Féins O’Neill nicht Erste Ministerin werden.

Die andere große Gewinnerin ist die Alliance Party. Sie hat ihre Sitze von acht auf 17 mehr als verdoppelt. Die Partei ist in der Frage der irischen Wiedervereinigung neutral. Ihr Erfolg ist Erstwählern zu verdanken, aber auch immer mehr Ältere sind offenbar des Lagerdenkens überdrüssig.

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