Graphic Novel von Lara Swiontek: Junge Hedonistin, frühe Feministin

Das überraschende Debüt der Lübecker Zeichnerin variiert das historische Werk der lange Zeit verkannten Frankenstein-Autorin Mary Shelley

Das süße Leben eines Dandy vor seiner Verwandlung Foto: Lara Swiontek, „Die Verwandlung. Nach der Novelle von Mary Shelley“, © avant-verlag 2022

Der hübsche Guido Carega lässt sich’s gut gehen. Als Spross eines Genueser Millionärs genießt er nach dessen Tod erst so richtig die Dolce Vita. Reisen, Partys – im Vergnügungsmekka Paris trifft er Gleichgesinnte. Nachdem er sein Erbe verprasst hat, zieht es ihn zurück nach Genua, zu seiner Jugendliebe Juliet, Tochter des reichen Alfredo Torella.

Doch dieser macht es Guido nicht ganz so leicht, an das Geld seiner Tochter zu kommen. Er vertreibt ihn aus der italienischen Hafenstadt. Am Meer aber begegnet dem verzweifelten Guido ein Zwerg. Der bietet ihm einen Goldschatz an, so er mit ihm für drei Tage den Körper tauschen würde. Ein Angebot, das Guido nicht ablehnen kann.

Die Lübecker Zeichnerin Lara Swiontek hat erst 2021 ihr Studium des Kommunikationsdesigns an der Hochschule Wismar abgeschlossen. Als Diplomarbeit wollte die 1988 geborene Künstlerin eine Graphic Novel nach einer Literaturvorlage zeichnen. Und wählte dafür eine fast 200 Jahre alte englische Erzählung aus: „Die Verwandlung“, 1831 von Mary Shelley verfasst.

Shelley (1797–1851) wurde durch ihren Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ berühmt. Ein Werk, das sie mit knapp 20 Jahren schrieb und 1818 zunächst anonym veröffentlichte. Heute gilt es als einer der wichtigsten Romane der englischen Romantik und der fantastischen Literatur im Allgemeinen. Das oft vordergründig dem Schauerroman zugeordnete Werk lässt vielschichtige Interpretationen in alle Richtungen zu, die ethische und philosophische Fragen in den Mittelpunkt stellen, etwa die Verantwortung von Wissenschaft ansprechen.

Auf Deutsch kann der Roman heute dank der gelungenen Übersetzung von Alexander Pechmann in der Urfassung der ursprünglich anonymen Erstausgabe gelesen werden. Zahlreiche strittige, später getilgte Anspielungen an die englische Gegenwart sind darin enthalten.

Zu Unrecht wird Shelleys Werk meist auf „Frankenstein“ reduziert. Zunehmend werden auch andere Prosaarbeiten dieser vielseitigen Autorin entdeckt. Als Tochter des Sozialphilosophen William Godwin und der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, Ehefrau des berühmten Dichters Percy Bysshe Shelley und Teil eines intellektuellen Künstlerkreises um den Dichterfürsten Lord Byron war sie früh eine eigenständige Autorin, die in ihren Texten die britische Gesellschaft kritisch reflektierte.

2021 erschien eine neue, erstmals ungekürzte Übersetzung von Irina Philippi ihres nahezu unbekannten dystopischen Romans „Der letzte Mensch“. 1826 erstveröffentlicht, handelt dieser von einer Apokalypse im späten 21. Jahrhundert (!), in der die Menschheit durch eine globale Pestepidemie auszusterben droht. Kriege, soziale und politische Verwerfungen sowie Flüchtlingsströme (aus den Kolonien Amerika und Irland) tragen zum Niedergang bei.

Am Ende überlebt als Einziger aus einer Gruppe von Freunden, die auch an Shelleys persönliches Umfeld erinnert, der Held und Erzähler Verney. „Der lezte Mensch“ ist ein kluges Gedankenexperiment, das politische und gesellschaftliche Tendenzen des damals imperialistischen Großbritanniens und Europas weiterdenkt. Aus heutiger Sicht unterstreicht das Buch die Bedeutung der Autorin Mary Shelley, die zu Lebzeiten vom englischen Literaturbetrieb eher geringgeschätzt wurde. Lange hielt sich die Vermutung, dass nur ihr Ehemann Percy Shelley der Autor von „Frankenstein“ sein konnte.

Mary Shelley schrieb neben Gedichten, Reiseberichten und Theaterstücken auch viele Erzählungen, die meist besser bezahlt wurden, für die Autorin aber weniger wichtig waren als ihre Romane. „Die Verwandlung“ gehört zu diesen kürzeren Auftragswerken und kann als typische „Gothic Tale“ gewertet werden. Eine mit fantastischen Elementen versehene ro­mantische Erzählung von hohem Unterhaltungswert, wie sie zu Shelleys Lebzeiten beliebt war.

Die Autorin spielt dabei gekonnt mit dem Genre. Sie lässt die diabolische Figur des abstoßend hässlichen Zwerges mit magischen Fähigkeiten auftauchen, der wiederum der negativen Entwicklungsgeschichte um einen verkorksten reichen Erben eine wundersame Wendung geben wird. Shelley inszeniert einen verhängnisvollen faustischen Pakt, eine Art letzte Prüfung, die dem selbstsüchtigen Helden die endgültige Verdammnis – oder die rettende Läuterung – bringen kann.

Zeichnerin Lara Swiontek lässt sich von dieser routiniert vorgetragenen Erzählung mit sichtbarem Spaß zu einer zeitgemäßen, mit ironischem Unterton versehenen Version inspirieren. Ihre grafische Adaption beweist eine charmante erzählerische Leichtigkeit, die Swiontek stilsicher vorwiegend mit Bleistift und dünnem Tuschestrich ins Bild übersetzt. Die Kapriolen ihres egozentrischen wie selbstverliebten Helden malt sie süffisant aus, die Partyszenen erscheinen als trubelige Wimmelbilder.

Lara Swiontek: „Verwandlung. Nach der Novelle von Mary Shelley“. avant-verlag, 192 Seiten, 26 Euro

Mary Shelley: „Der letzte Mensch“. Aus dem Englischen von Irina Philippi. Verlag Philipp Reclam jun., 587 Seiten, 26 Euro

Mary Shelley: „Frankenstein oder Der moderne Prome­theus“. Aus dem Englischen von Alexander Pechmann. Penguin Edition, 384 Seiten, 10 Euro

Die ursprünglich in der Renaissancezeit angesiedelte Handlung wird ohne Probleme in ein zeitloses Ambiente versetzt, die Versatzstücke verschiedener Epochen wie der „Roaring Twenties“, der „Swinging Sixties“ und heutiger Partykultur enthält.

Die Auflösung in Seitenarchitekturen und einzelne Panels sind abwechslungsreich, die Hintergründe stimmungsvoll. Monochrom gehaltene Farbflächen sind den Bildfolgen unterlegt, die vom anfangs trügerisch harmonischen Altrosa fast unmerklich in ein düsteres Grau-Blau übergehen.

Lara Swiontek hat ein gelungenes Debüt vorgelegt, das die historische Romanvorlage auf erfrischende Weise ins hedonistische Instagram-Zeitalter holt. Und regt vielleicht dazu an, abseits von „Frankenstein“ weitere Werke einer unterschätzten Autorin von Weltrang zu entdecken.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.