Große Anfrage zu Haasenburg-Heimen: Bremen verdrängt den Skandal

Der Senat antwortet seinen eigenen Abgeordneten lückenhaft. Obwohl die Bremer Polizei 2014 Betroffene vernahm, fällt deren Schilderung unter den Tisch.

Ein gelbes Schild mit Hasen an einer Einfahrt zu zwei Häusern

In den Haasenburg-Heimen wurden auch Bremer Kinder und Jugendliche untergebracht Foto: Rainer Weißflog/Imago

HAMBURG taz | Gut Acht Wochen hatten die Bremer Behörden Zeit, um eine Große Anfrage ihrer eigenen Regierungsfraktionen zu den Jugendheimen Haasenburg und Friesenhof zu beantworten. Doch die Antworten sind unvollständig.

Die drei Haasenburg-Heime in Brandenburg wurden 2013 wegen unhaltbarer Zustände geschlossen. Ins Bewusstsein rückte das Thema erneut, als sich im Februar 2021 ein ehemaliger Bewohner aus Hamburg das Leben nahm und seine Mutter den Vorwurf erhob, das Heim habe ihn psychisch kaputt gemacht.

Wie berichtet, vernetzten sich seither über 80 Ehemalige zu einer Interessengemeinschaft und forderten Aufklärung, Entschädigung und Therapien. Inzwischen haben sie einen Verein mit dem Namen „Bündnis gegen schwarze Pädagogik“ gegründet, der zwei Botschafter hat.

Wie spärlich das Wissen ist, ergab unlängst eine Anfrage der Linken in Brandenburg. Dort wusste die Landesregierung nicht mal zu sagen, wie viele Kinder- und Jugendliche in den Heimen waren – Schätzungen gehen von bis zu 1.000 aus. Nun gingen SPD, Linke und Grüne in Bremen mit gutem Beispiel voran, diese Fragen zumindest für ihr kleines Bundesland zu klären und stellten 15 Fragen zur „kritischen Aufarbeitung“ der Maßnahmen in geschlossenen Jugendeinrichtungen.

„Sorgfältige Aktenanalyse“ übersieht den Fall

Zu Gute halten kann man Bremen, dass es seit 2016 als Alternative für geschlossene Heime eine „Koordinierungstelle“ bereit hält, der es seither in 58 Fällen gelang, eine Lösung zu finden. Positiv stach Bremen auch hervor, weil es bereits 2012 die Belegung der Haasenburg beendete. Das Wissen über die dortige Unterbringung reicht aber nur bis 2008. Ältere Akten sind angeblich nicht mehr verfügbar. Nach den von der Bremer Sozialbehörde ausgewerteten Akten kamen von 2008 bis 2013 neun Bremer in die Haasenburg.

Es habe für die Nicht-mehr-Belegung in 2012 „nicht den einen konkreten Grund“ gegeben, schreibt der Senat. In den Akten fänden sich Hinweise auf „undurchsichtige Abrechnungspraxis“, aber auch zu unangemessenem erzieherischen Verhalten, wie Sanktionen und Drill.

Doch andere Antworten vermitteln den Eindruck, die Stadt sei mit einem blauen Auge davongekommen. So fragten die Fraktionen nach den strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Cottbus gegen Bedienstete der Haasenburg. Die Abgeordneten wollten wissen, ob unter den Leidtragenden der untersuchten Straftaten auch Bremer Minderjährige waren und ob Bremer Stellen an der Aufarbeitung beteiligt waren. Die Antwort lautet nein.

Außerdem wurde gefragt, ob betroffene Bremer Kinder und Jugendliche durch die Behandlung in den Einrichtungen Folgeschäden erlitten hätten. Auch hier schreibt der Senat nun, nach „sorgfältiger Aktenanalyse“ seien weder dem Landesjugendamt Bremen noch dem Amt für soziale Dienste solche Fälle bekannt.

Der taz ist ein Protokoll bekannt, das die Vernehmung einer Bewohnerin dokumentiert

Seltsam nur, dass der taz ein Protokoll bekannt ist, das die Vernehmung einer ehemaligen Haasenburg-Bewohnerin aus Bremen im Jahr 2014 bei der dortigen Polizei dokumentiert. Der Kommissar hat Kaffee, Wasser und Gebäck bereitgestellt. Aussagen aus diesem Protokoll finden sich in einem Antrag auf Schadenersatz, den die Anwältin dieser Betroffenen 2017 direkt an das Büro der Sozialsenatorin wegen Amtshaftung stellte.

Denn entschieden, dieses Heim zu belegen, habe ja eine Amtsvormündin. Es seien dort Methoden angewandt worden, die nachhaltige Folgen hätten. Aus dem Kripo-Protokoll wird zitiert, dass die Betroffene Schlaf- und Konzentrationsstörungen habe, keine Nähe mehr vertrage und in geschlossenen Räumen zu Panik neige.

Der Antrag wurde Ende 2017 von der Sozialbehörde abgelehnt. Doch es ist nicht ersichtlich, warum er in der Antwort unter den Tisch fällt und bei der Frage nach „Kenntnissen“ über Folgeschäden nicht berücksichtigt wurde. Zumal er direkt per Fax an das Senatorenbüro ging. Die taz fragte bei Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) nach, ob der Antrag dort bekannt sei? Dazu sagt ihr Sprecher, das lasse sich „in der Kürze der Zeit“ nicht aufklären.

Staatsanwaltschaft Cottbus nicht gefragt

Und von einer Vernehmung bei der Bremer Polizei, so der Sprecher weiter, erfahre die Bremer Justizbehörde nur dann, wenn das Verfahren auch bei der Bremer Staatsanwaltschaft laufe – was ja hier nicht der Fall war. Von einer Vernehmung, die die Polizei für eine auswärtige Staatsanwaltschaft durchführe, erfahre die Bremer Behörde in der Regel nichts. Und bei der Cottbusser Staatsanwaltschaft hat der Bremer Senat gar nicht erst nachgefragt.

Einer der Botschafter ist Ronald Prieß, früherer Jugendreferent der Linken in Hamburg. Er begrüßt, dass die Bremer Rathausparteien ihre eigene Regierung befragen. Die Antworten seien aber lückenhaft. „Das weiß ich aus Gesprächen mit Betroffenen.“ Der Bremer Senat wisse mehr und müsse seine Antworten nachbessern.

Trotzdem sollte das Bremer Beispiel Schule machen. Auch die Fraktionen anderer Bundesländer sollten solche Anfragen an ihre Regierungen stellen, sagt Prieß. „Denn es darf keine weiteren toten ehemaligen Heimkinder aus der Haasenburg und anderswo geben.“

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