Businesspläne nach dem Tagebau: Kohle machen ohne Kohle

Riesige Seen, Gewerbegebiete, Einfamilienhäuser – es gibt die irrsten Pläne für die Zeit nach dem Braunkohleabbau. Lokale Initiativen wissen Besseres.

Ein Mann schaut auf den Tagebau Garzweiler

Nach dem Baggern hat RWE trotzdem noch lukrative Pläne Foto: Sascha Steinbach/epa

Für den Kohleriesen RWE war es immer eine perfekte Situation. Erst durfte man die Landschaft entsiedeln, danach Dörfer, Wälder und ergiebige Landwirtschaftsflächen schreddern, dann den Untergrund weggraben, die Braunkohle klimavernichtend verbrennen und Jahr für Jahr Milliardengewinne einstreichen. Noch ist nicht alles ausgekohlt, aber schon ist Phase zwei in der Planung: die Zeit danach. Sie ist für die RWE Power AG nicht minder verlockend.

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Die Löcher in den rheinischen Tagebauen Garzweiler, Inden und Hambach sind zusammen an die 150 Quadratkilometern groß, am Ende werden es 170 sein. Tiefe: bis zu 450 Meter, das entspricht fast drei Kölner Dömen übereinander. Drei Seen sollen hier entstehen; der eine hat schon den putzigen Namen „Indescher Ozean“, daneben wäre der „Lago Hambi“ Deutschlands nach Volumen größter Binnensee, in Fläche Nummer zwei nach der Müritz.

Und das Wasser? Bei Dormagen, 25 Kilometer entfernt, laufen derzeit die Vorbereitungen, den Rhein anzuzapfen. 2020 hat die Laschet-Regierung RWE die Erlaubnis dafür erteilt. 18 Kubikmeter pro Sekunde sollen einmal durch ein gut 40 Kilometer langes System aus 2,20 Meter breiten Rohren fließen. Freizeitparadiese sollen entstehen. Ob das je funktioniert, weiß niemand.

Fertigstellung? Die Rede ist von mindestens 60, vielleicht 100 Jahren. „Unsere Urenkel“, glaubt der umtriebige Naturführer und Hambi-Aktivist Michael Zobel aus Aachen, „werden hier als Alte noch nicht Segelbötchen fahren.“ Zudem, fragen er und andere mit Blick auf das Klima: Wasser wird knapp, der Rheinpegel immer niedriger, und das zunehmend kostbare Gut soll zu neuen Kunstseen umgeleitet werden?

Weitgehend menschenleere Dörfer

Lukrativ sind die weiten Gebiete rund um die Seelöcher. Das sind die Flächen der Kraftwerke, alte Logistik- und Lagerbereiche, dazu die weitgehend menschenleeren Dörfer wie Morschenich (Tagebau Hambach) oder Keyenberg (Garzweiler), die aber nach dem letzten Kohlekompromiss nicht weggegraben werden. Viele Tausend Hektar, die längst dem Kohleriesen RWE gehören. Deren PR-Abteilung hat sich salbungsvolle Begriffe wie Rückbau oder Rekultivierung ausgedacht.

Sie sprechen auch nicht von Pumpen, sondern romantisierend von Brunnen, die das weite Kohlerevier seit den 50er Jahren trockenlegen. Alles unter dem Freifahrtschein namens Bundesbergrecht, das auf dem Berggesetz für die Preußischen Staaten von 1865 fußt und mit dem Rechtsbegriff Allgemeinwohl dreckige Stromversorgung meint – und nicht Klimaschutz.

Erst dekultivieren, jetzt Retter geben

Pro Jahr darf RWE im Kohlerevier mehr Wasser abbrunnen, als etwa Düsseldorf samt seiner Industrie verbraucht. Zehn Prozent der Fläche Nordrhein-Westfalens, etwa 3.200 Quadratkilometer, sind vom Absenkungstrichter des Grundwassers betroffen. Seit Langem prophezeit der BUND für das Trinkwasser langfristig einen „hydrologischen Infarkt“.

Erst kompromisslos dekultivieren – und jetzt den rekultivierenden Retter geben. Im Februar hat das Land zusammen mit RWE die Perspektive.Struktur.Wandel GmbH gegründet. Gemeinsam will man Gewerbeparks und Industrieansiedlungen schaffen, Großgrundbesitzer RWE will dabei seine „Liegenschaftspower einbringen“. Die CDU-FDP-Regierung bestreitet vehement, dass bei so viel offizieller Gemeinsamkeit Kontrollen und Überwachung leiden könnten. Kohlekritische Kreise sprechen ohnehin seit Jahren von NRWE – ist eh alles eins.

Neues Geld und grünes Image

Längst haben sich auch lokale Kooperationen aus Vermarktern und kommunalen Anrainern gegründet, die Claims abstecken und milliardenschwere Bundesmittel einzutreiben versuchen: hier die Indeland GmbH (ich.see.zukunft), dort die Neuland Hambach GmbH. Vornehmlich geht es um Grundstücksvermarktung und gewerbliche Nutzung, auch mal um Forschungsprojekte (etwa für Bioanbau), um neue Solar- oder Windparks, die dann praktischerweise RWE selbst betreibt. Das bringt neues Geld und grünes Image.

Zudem sollen neue Wander- und Radwege entstehen rund um den zukünftigen Lago Hambi inklusive der riesigen bewaldeten Abraumhalde Sophienhöhe. Dieser „interkommunale Hambach Loop“ mit zusätzlicher Seilbahn und einem Festivalgelände ist ein weitgehend touristisches Projekt, beworben wird die Gegend kühn als „Gesamtmodellregion für die Verkehrswende“.

RWE verspricht Arbeitsplätze

RWE ist die Flächendealerin, an ihrer Angelschnur die Landräte und Bürgermeister. Ihr Versprechen: Arbeitsplätze. Bei der Kohleverstromung zählt das Argument seit Jahrzehnten auch, nur umgekehrt: Kohle abbauen, aber keine Jobs. Den Tagebaukumpels, Baggerfahrern und Sicherheitsbrigaden droht Arbeitslosigkeit? Viele sind Ü 50, eine Frühverrentung bietet sich an und Umschulung für die Jüngeren. Da legen die Steuerzahler immer gern drauf.

Ganz andere Ideen der Neunutzung kommen aus der BürgerInnenschaft. Wiederaufforstung brachliegender Flächen zum Beispiel: „Wir brauchen unbedingt eine Biotopevernetzung“, sagt Antje Grot­hus, seit zwei Jahrzehnten bei der Initiative Buirer für Buir direkt am Hambi aktiv und jetzt grüne Landtagskandidatin. „Flächen erhalten ist der Schlüssel zum Klimaschutz. Statt eines Flickenteppichs an wirtschaftlichen Nutzungen mit Gewerbegebieten. Statt neuem Asphalt und den üblichen Siedlungen von Einfamilienhäusern.“ Grot­hus findet es auffällig, „wie viele Kooperationen und Verträge noch schnell vor der Wahl getroffen wurden“. Und dass bei den Public-private-Partnerships aus landeseigenen Entwicklungsgesellschaften und RWE-Ablegern in ganz NRW immer die gleichen geschäfteführenden Protagonisten die Fäden in der Hand haben.

Radweg auf der Autobahn 4

Charmant wirkt die Idee eines Radweges auf der alten Trasse der Autobahn 4, die heute ungenutzt den verschonten Rest des Hambacher Waldes durchschneidet. Von Düren käme man hier lauschig schön Richtung Köln. Die Kosten wären überschaubar, Skizzen der Buirer für Buir samt breiter Nutzbeete als Radwegbegleitgemüse machen Lust darauf. Mobilitätsknoten mit E-Bussen könnten hinzukommen.

Am Ortsrand Morschenich westlich des Hambacher Waldes entsteht gerade ein Projekt, bei dem gleichzeitig Lebensmittel und Energie erzeugt werden können: Riesige Erdbeerfelder, überdacht mit Sonnenkollektoren, unter Leitung des Forschungszentrums Jülich. Mit solch regionalen wie autarken Projekten ohne Investoren, die aber stückweise zu Ernährungssouveränität führen könnten, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubauer neulich vor Ort, könnten Bürger und Bürgerinnen an der Energiewende partizipieren. „Die Region muss sich neu erfinden. Seit Jahrzehnten waren die Menschen hier Spielball der großen Politik. Jetzt können sie selbst Akteure werden.“

Klage auf Rücksiedlung

Akteure vor Ort wollen auch Menschen werden, die einst aus Morschenich weggesiedelt wurden. Familie Gerdens etwa will in ihr altes Haus zurück, das nun ja nicht abgerissen werden muss. Die Geschäftsgrundlage Kohle sei ja entfallen, sagen sie. RWE weigert sich. Der CDU-Bürgermeister sekundiert: „Wird es nicht geben.“ Sie wären womöglich einem Gewerbepark im Weg. Derzeit läuft eine Klage auf Rücksiedlung.

Die künftigen Seeschöpfer von RWE sind auch Seevernichter. Der Lucherberger See zwischen dem Kraftwerk Weisweiler und dem Tagebau Inden wird seit Anfang des Jahres trockengelegt. Der Stausee der Rur, 64 Hektar groß, wurde als Kühl- und Brauchwasserreservoir des Kraftwerks gebraucht. Weisweiler, die größte Dreckschleuder der Region, macht jetzt blockweise dicht. Dem See kann also der Stöpsel gezogen werden, darunter ist noch oberflächennahe Kohle. NaturschützerInnen sind entsetzt: Vernichtet wird ein üppiges Feuchtbiotop, Refugium für seltene Tiere und Pflanzen, das sich in 70 Jahren entwickelt hat.

Lukrative Kiesförderung

Der verbliebene Rest des Hambacher Waldes wird zwar nicht gerodet, aber er vertrocknet zurzeit schon, weil er direkt an der feinstaubigen Grubenkante liegt. Direkt daneben, rund um das Dorf Manheim, wo noch neun Häuser bewohnt sind, gräbt RWE derweil weiter. Der Hambi, so etwas von ihm bleibt, wird also als Halbinsel nachgenutzt werden. Das Bochheimer Wäldchen nebenan ist im November über Nacht weggefräst worden, ein alter, knorriger Eibenwald. Ein Baustein weniger für Biotopvernetzung. RWE-Tochterfirmen fördern hier lukrativen Kies und behaupten, das übrige Erdreich sei nötig zur Abflachung der Grube.

Indes reichen RWE und Konsorten Industriegebiete, Kiesabbau und Kunstseen nicht. Die CDU-Landräte rund um die Tagebaue Inden (Wolfgang Spelthahn, Kreis Düren) und Hambach (Frank Rock, Rhein-Sieg-Kreis) preschten im April mit einem kuriosen Extra vor: Zwischen den künftigen Seen soll ein sechs Kilometer langer Kanal gebaut werden. Warum? Unklar. Weil es tüchtige deutsche Ingenieure machen können vielleicht. Wegen der Höhendifferenz müssen allerdings Schiffshebewerke für die Boote unserer Ururenkel her, Hubbrücken sowieso. Und die Rur muss per Wasserkreuz überquert werden.

Eine Machbarkeitsstudie soll die Kosten beziffern. Es geht um Milliarden. Ökofolgen, Klima, Wasserhaushalte? Egal: „Eine historische Chance“, sagt Landrat Spelthahn, „um die größte künstliche Landschaftsumstellung Europas zu gestalten.“ Wie das Ganze heißen könnte? Wir hätten da eine Idee: Canale Grande Spelthahne.

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