Gärtnern in Berlin: Millionen­schweres Gemüse

Die Gärten der Stadt sind gut für Klima und Erholung. Aber auch das, was dort aus der Erde geholt wird, ist laut einer Studie Gold wert.

Urban-Gardening in Berlin-Kreuzberg

Urban-Gardening: Prinzessinnengärten in Kreuzberg Foto: Christian Reister/imago

BERLIN taz | Was die Berliner Klein- und Ge­mein­schafts­gärt­ne­r*in­nen in ihren Gärten anbauen, reicht im Jahr locker für die Verköstigung von 50.000 Menschen – also jede dritte Kreuz­ber­ge­r*in oder den gesamten Ortsteil Alt-Hohenschönhausen. Auf dem Markt wären diese Lebensmittel etwa zehn Millionen Euro wert.

Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung des Berliner Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Projektleiter Jesko Hirschfeld erklärt: „Indem wir die Leistungen von Grünflächen abbilden und mit einem Geldwert beziffern, wollen wir sichtbar machen, wie stark die Menschen in der Stadt von Gärten und Parks profitieren.“

In dem Forschungsprojekt „GartenLeistungen“ hat das Institut im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit Akteuren aus Gärten, Parks und aus der Berliner Verwaltung eine umweltökonomische Bewertung des Hauptstadt-Grüns vorgenommen. Demnach haben vor allem die Gärten nicht nur einen großen Wert für das Klima der Großstadt und die Erholung der Menschen.

Auch der wirtschaftliche Nutzen sei nicht zu unterschätzen. Den vom Wohnungsbau bedrohten Kleingartenanlagen könnten die Ergebnisse auch eine bessere Position in der politischen Diskussion über Flächennutzung verschaffen.

Fachkonferenz Am Freitag, 13. Mai, findet im Berliner Tagungszentrum „Gärten der Welt“ die Fachkonferenz „Garten­Leis­tun­gen­ – Der Wert von Parks und Gärten für die Stadt“ statt. Akteur*innen aus der Stadtverwaltung, aus Garten- und Parkinitiativen werden darüber diskutieren, wie öffentliche Grünflächen weiterentwickelt werden können, um ihren Nutzen für die Stadtbevölkerung zu erhalten und weiter zu steigern.

Exkursionen Daran anschließend werden am Samstag, 14. Mai, Exkursionen zu Gartenprojekten und Parks in Berlin angeboten. Weitere Infos unter www.ioew.de.

3,3 Prozent der Landesfläche

Derzeit gibt es 1.051 Kleingartenanlagen mit 70.953 Parzellen in Berlin, die zusammen eine Gesamtfläche von 29 Millionen Quadratmeter aufweisen. Hinzu kommen 106 Gemeinschaftsgärten mit 362.000 Quadratmetern Fläche. Damit machen die Berliner Gärten rund 3,3 Prozent der Landesfläche aus. Die durchschnittliche Parzelle weist eine Größe von 345 Quadratmetern auf.

Davon werden nach Ermittlung der Wirt­schafts­for­sche­r*in­nen gerade mal fünf Prozent für den Anbau von Obst und Gemüse genutzt. „Die reine Anbaufläche ist mit 140 Hektar etwa halb so groß wie das Tempelhofer Feld“, erläutert Lea Kliem als Autorin der Studie. „Wenn wir davon ausgehen, dass die Hob­by­gärt­ne­r*in­nen einen kleinen bis mittelgroßen Ertrag erreichen, kommen wir auf 7.600 Tonnen Gemüse, Kartoffeln und Kräuter pro Gartensaison.“

Die Nutzung kann mit Eroberung der dritten Dimension noch gesteigert werden: Mit „vertikalen Gärten“ könnte die „essbare Stadt“ nach Einschätzung des IÖW mehr Lebensmittel lokal und klimafreundlich produzieren. Das wurde in einem „Reallabor“ der TU Berlin mit Salatpflanzen ausprobiert. Das Blattgemüse wuchs übereinander in Säulengestellen und wurde mit gereinigtem Regen- oder Abwasser versorgt. Pro Saison deckte die Anlage auf nur zwei Quadratmetern den Salatbedarf von 28 Personen. „Die urbane Nahrungsmittelproduktion hat mit Vertikalgärten im wahrsten Sinne des Wortes noch Luft nach oben“, erklärt Lea Kliem.

„Noch wertvoller als das lokal produzierte Gemüse eines urbanen Gartens sind jedoch seine sozialen und kulturellen Leistungen“, heben die Ökonomen des unabhängigen Umwelt-Instituts in ihrer Untersuchung hervor. Konkret illustrieren sie das am Beispiel des Weddinger Gemeinschaftsgartens „Himmelbeet“. Als nachbarschaftlicher Treffpunkt mit kulturellen Angeboten und naturnaher Erholungsraum stifte der Garten gemäß der Öko-Buchführung des IÖW „einen gesellschaftlichen Nutzen von 1,5 Millionen Euro jährlich“.

Erholungs- und Lernorte

Das Gartenprojekt „Himmelbeet“ musste über Jahre um seinen Standort in Wedding fürchten und erhielt erst kurz vor der Räumung Ende 2021 eine Zusage für die neue Fläche an der Ecke Garten-/Grenzstraße. Über 300 Hochbeete, Pflanzen, Materialien und das Café-Gebäude müssen umziehen. „Wir hoffen, dass wir in diesem Frühling mit dem Aufbau starten können und freuen uns auf die neue Saison“, sagte Marion De Simone von der Himmelbeet-Initiative.

Neben Berlin haben die Ökoforscher auch die Situation der grünen Areale in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart untersucht. In einer repräsentativen Umfrage in Berlin und Stuttgart wurde erhoben, welche Angebote als besonders wertvoll empfunden werden.

Das Ergebnis: Etwa die Hälfte der Stadt­be­woh­ne­r*in­nen besucht regelmäßig oder hin und wieder urbane Gärten. „Eine ruhige Atmosphäre, eine große Vielfalt an Pflanzen und Tieren und die Nähe zum Wohnort – das wünschen sich zwei Drittel der Befragten für Gärten in ihrer Nachbarschaft“, heißt es in der Untersuchung. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden fänden außerdem auch noch Angebote zur Umweltbildung und Gemeinschaftsaktivitäten wichtig.

Das Fazit der Forscher*innen: „Im Interesse ihrer Bür­ge­r*in­nen sollten Städte keine Mühe scheuen, urbane Gärten zu unterstützen.“ Als Erholungs- und Lernorte, als soziale und interkulturelle Treffpunkte bereichern und prägen sie die Nachbarschaft.

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