Neustart im Berliner Nachtleben: Leben im Club

Tanzen geht wieder ohne Maske und Test. In den Berliner Clubs läuft es im Normalbetrieb, der aber noch richtig auf Touren mit Touristen kommen muss.

Menschen tanzen in einem Club

Einfach tanzen, wie früher vor Corona Foto: Sophia Kembowski/dpa

BERLIN taz | Um kurz nach 22 Uhr ist es am Samstag brechend voll im About Blank. Die Bühne im Garten des Clubs hat gerade geschlossen, alle sind auf die einzige geöffnete Tanzfläche im Inneren des flachen Gebäudes geströmt. Nun stehen die Menschen dicht an dicht. An der Bar, in der Schlange zur Toilette – überall muss man sich geradezu durchschieben. Alles wieder wie vor Corona, irgendwie.

Nicht mal einen Test oder Impfnachweis musste man am Eingang vorzeigen, schon seit dem ersten Aprilwochenende nicht mehr. Damit sind – nach Tanzen mit Maske draußen im vergangenen Sommer und indoor mit 2G+ im Herbst – auch noch die letzten Coronaregeln aus den Berliner Clubs verschwunden. Seit dem 4. März dürfen wieder aufmachen.

Doch ist jetzt alles wieder wie vorher? Wie ist die Stimmung in der Berliner Clublandschaft, einige Wochen nach der Wiedereröffnung?

Zuletzt am Osterwochenende war die Stimmung schon mal gut. Nicht nur im About Blank war es voll und sehr ausgelassen, auch in anderen Clubs wie dem Watergate und Schwuz. Marcel Weber, einer der zwei Geschäftsführer des Schwuz, beobachtet das, seitdem der Club am 19. März wieder aufgemacht hat: „Die Leute sind happy, dass sie wieder an ihren queeren Wallfahrtsort dürfen.“ Die Pandemie habe die queere Community besonders getroffen, weil Orte wie das Schwuz als queerer Club, aber auch Beratungsangebote geschlossen waren. Nun spüre er eine größere Wertschätzung seitens der Besucher*innen, so Weber: „Ich sehe, wie dankbar die Leute sind. Da ist ein bewussterer Konsum des Cluberlebnisses.“ Das merke man zum Beispiel an der Rücklaufquote bei der Gästeliste. Dass jemand draufsteht und trotzdem nicht auftaucht, komme viel seltener als vor Corona vor.

Komisches Gefühl

Kurz vor den Cluböffnungen hatte Russland die Ukraine überfallen. Im Club ist an dem Abend wenig davon zu spüren. Elisabeth Steffen, Teil des Kollektivs hinter dem linken Club About Blank, hatte aber schon gemischte Gefühle: „Einerseits ist die Pandemie noch nicht vorbei, andererseits der Krieg. Es war ein komisches Gefühl, wieder Party zu machen.“

Was die Pandemie angeht, hätten sie im About Blank überlegt, Coronatests beizubehalten, als diese schon nicht mehr verpflichtend waren. Aber die Konkurrenz macht das kaum, da tue man sich keinen Gefallen. Nach über zwei Jahren, in denen der Club öfter zu als auf hatte, sei es schlicht notwendig, wieder Geld zu verdienen.

Zu Beginn der Pandemie waren die Befürchtungen groß, dass Clubs kaum überleben würden. Die finanziellen Einbußen waren immens. Aber kaum ein Club hat zumindest allein wegen der Pandemie zugemacht. Kurzarbeitergeld, die Soforthilfen und Zuschüsse haben offensichtlich geholfen. Die mussten jedoch jedes Mal beantragt werden, auch das Kurzarbeitergeld legen Clubs erst aus.

Das Problem dabei: Liquidität. Rechnungen mussten bezahlt werden, aber Geld kam keins in die Kassen. Viele Clubs starteten bereits im März 2020 Spendenaufrufe. So sammelte das About Blank über 130.000, das Schwuz über 76.000 Euro. Letzteres nahm zusätzlich einen Kredit über 300.000 Euro auf.

Das weiß inzwischen auch die Senatsverwaltung für Kultur, sagt Schwuz-Geschäftsführer Weber. Im Vorfeld neuer Fördermaßnahmen war der Club einer der Akteure, die dazu befragt wurden. So werde die Förderung nicht mit der Gießkanne, sondern bedarfsgerecht verteilt. Ab Januar 2023 soll es so einen Kredittilgungszuschuss geben. Andere Clubs hätten keinen Kredit aufgenommen, sondern auf Anschaffungen verzichtet. Da soll seitens der Senatsverwaltung für Kultur eine Anschubfinanzierung aufgesetzt werden, so Weber.

Neustart Wirtschaft

Ähnlich, aber nicht speziell für Kultureinrichtungen, ist der Investitionsbonus. Der wurde im Rahmen des „Neustart Wirtschaft“-Programmpakets vom Land kürzlich vorgestellt.

Liest man sich die weiteren über 30 Maßnahmen des Neustart-Programms durch, geht es viel um Tourismus. Auch für Berliner Clubs ein wichtiger Faktor: Laut einer Studie der Clubcommission, der Interessenvertretung von Berliner Clubs, schätzten Club­be­trei­be­r*in­nen im Jahr 2019 rund ein Viertel ihrer Gäste als Tou­ris­t*in­nen ein.

Die aber müssen erst wieder kommen. Tatsächlich sind am Osterwochenende im About Blank wenigstens gefühlt weniger Tou­ris­t*in­nen als sonst; da sind zum Beispiel zwei Italienerinnen, ein paar Briten, ein Däne – und viele, Tou­ris­t*in­nen oder nicht, die zum ersten Mal seit den Cluböffnungen unterwegs sind.

Die Tou­ris­t*in­nen sind dabei auch unterschiedlich wichtig fürs Geschäft bei den drei Clubs, mit deren Be­trei­be­r*in­nen die taz für diesen Text gesprochen hat: Das Schwuz als großer Laden, der Tou­ris­t*in­nen für seine Kalkulation eigentlich braucht, sieht diese im Vergleich zu den frühen Tagen nach der Öffnung schon wiederkommen und hofft auf den Sommer. Der nischigere Anomalie Art Club hat erst Mitte 2019 eröffnet und konnte kaum erst vom Tourismus abhängig werden: „Wir haben uns im letzten Jahr ein gutes Stammpublikum aufgebaut“, sagt die Geschäftsführerin Sophie Kahrmann. Auch das About Blank – mit über zwölf Jahren Bestehen schon sehr viel etablierter – habe versucht, trotz Pandemie „an die lokale Community angebunden zu bleiben“, sagt Steffen.

Ein Hoffnungsschimmer

Mit Blick auf den Sommer machen die Zahlen der Berliner Tourismusorganisation Visit Berlin Hoffnung: Vor Corona seien bis zu 45 Prozent der Tou­ris­t*in­nen international gewesen, nun schon wieder rund 30 Prozent. Ein Visit-Berlin-Sprecher bilanziert: „Ostern ist sicherlich ein Hoffnungsschimmer, aber er ist nicht ungetrübt.“ Denn Corona mache sich weiter bemerkbar. Dazu sei der Fachkräftemangel ein Problem. Gerade im Nachtleben sind während der Pandemie viele Menschen ausgestiegen, die nicht mehr in die Branche zurückkehren.

Mit der steigenden Inflationsrate und dem Krieg in der Ukraine, der diese weiter ankurbelt, erscheint aber bereits die nächste Bedrohung für Clubs am Horizont. Schon vor Corona waren die DJ-Gagen immer höher geworden, jetzt steigen auch noch die Warenpreise. Feiern in Berlin wird also (weiterhin) teurer werden. Par­ty­gän­ge­r*in­nen und Tou­ris­t*in­nen könnten wegen der Inflation zugleich weniger Geld zur Verfügung haben.

Was die Club­be­trei­be­r*in­nen wiederum in ein Dilemma zwischen finanziellem Druck und soziokulturellem Auftrag bringt: Wenn sich das eigene Publikum den Clubbesuch nicht leisten kann, bringen auch Investitionsprogramme wenig. Denn ohne gutes Publikum keine gute Stimmung. Und ohne gute Stimmung keine gute Party.

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