Nach Frankreichs Präsidentschaftswahl: Eine zerstrittene Familie

Die Zeiten, in denen Rechte in Europa von Sieg zu Sieg eilten, scheinen vorerst vorbei. Die demokratischen Defizite aber bleiben.

Männer singen die Nationalhymne

Anhänger von Marine Le Pen singen nach der Stichwahl die Nationalhymne Foto: Alexis Sciard/IP3press/imago

Viele Stimmen waren es, sehr viele Stimmen: 42 Prozent gingen am vergangenen Sonntag in Frankreich bei der Stichwahl ums Präsidentenamt an die Rechtsextremistin Marine Le Pen.

Es gab eine Zeit, in der es so aussah, als laufe es in fast ganz Europa auf ähnliche Verhältnisse hinaus. Ab etwa 2015 legten Parteien wie die AfD, Vlaams Belang in Belgien oder EKRE in Estland EU-weit zu. In Großbritannien trieb die Ukip den Brexit voran. In Österreich (FPÖ), Italien (Lega) oder Dänemark (Dansk Folkeparti) regierten extrem Rechte mit.

Doch ihr Aufwind ließ nach. 2020 zeigte das „Populismusbarometer“ von Bertelsmann-Stiftung und Wissenschafts­zen­trum Berlin eine „Trendwende im Meinungsklima“: Immer weniger Menschen seien populistisch eingestellt, die Rechten „in der Defensive“. Die Coronakrise habe dies nicht ausgelöst, aber stabilisiert. Aus anderen Ländern war Ähnliches zu hören.

Wie sind nun die Wahlen in Frankreich und in Slowenien – wo der Populist Janez Janša von einer gerade erst gegründeten grünliberalen Partei abgelöst wurde – einzuordnen? Die demokratischen Systeme seien „in keinem guten Zustand“, sagt Studienautor Robert Vehrkamp. Aber es gebe auch angesichts der vielen Le-Pen-Stimmen „keinen Grund für pauschal-apokalyptische Prognosen“. Demokratien könnten sich reformieren, sagt Vehrkamp, „auch wenn ihnen das schwerfällt“.

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Wandel des Parteiensystems

In Frankreich ist von den einst tonangebenden Sozialisten und Konservativen praktisch nichts übrig. Die Wahl gewann Emmanuel Macrons erst 2016 gegründeter Verein „En Marche!“. Es sei ein „Megatrend“, in fast allen Demokratien, dass lebensweltliche und traditionelle Parteibindungen stark abgenommen hätten, sagt Vehrkamp.

Grundsätzlich sei es nicht schlecht, dass Parteiensysteme sich auch radikal wandeln könnten, wenn etablierte Parteien auf gesellschaftlichen Wandel nicht reagieren. Auch Le Pens Erfolg sei nur so zu erklären, dass neue Dimensionen für Wahlentscheidungen hinzugekommen seien – zur ökonomischen etwa kulturalistisch-identitäre.

Le Pen habe so auch Wähler aus der Mittel- und Oberschicht gewinnen können, die mit Macrons kosmopolitischer Linie nichts anfangen konnten. „Die empfinden sich zwar nicht als sozial abgehängt, fühlen sich aber in ihren national-konservativen Werten zunehmend marginalisiert.“ Diese Verschiebungen im politischen System eröffneten Räume für neue Akteure. Und sowohl Macron als auch Sloweniens Grün-Liberale hätten gezeigt, dass „es kein Grundgesetz ist, dass diese neuen Spielräume nur von Populisten betreten werden können“.

Problematischer sieht Vehrkamp das Mehrheitswahlrecht. Länder wie Frankreich, Großbritannien, die USA und zum Teil auch Polen und Ungarn zeigten eine starke Repräsenta­tions­verzerrung in den Wahlergebnissen. „Davon profitieren sehr häufig die Populisten.“ Das Wahlsystem allein sei zwar nicht die Ursache für gesellschaftliche Spaltung. Doch die neuen, vielfältigeren Konfliktlinien in vielen der entwickelten Demokratien könnten durch ein Konsens- und Verhältniswahlsystem wie in Deutschland offensichtlich „besser bearbeitet und moderiert werden“. Deshalb sei für ihn „die Konsensdemokratie die zeitgemäßere Form der Demokratie“ und auch ein mögliches Rezept gegen Populismus.

Putin-Anhänger und Russlandgegner

Zurzeit stocken auch die Bemühungen um die Bildung einer paneuropäischen Rechtsallianz. Die von Le Pen mit aufgebaute „Identität und Demokratie“-Parteienfamilie im EU-Parlament entzweite sich schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs an der Russlandfrage. Gipfel im Dezember in Warschau und Ende Januar in Madrid sollten einen Schulterschluss bringen. Doch die Differenzen zwischen Putin-Anhängern – wie Orbán oder Le Pen – und Russlandgegnern – etwa Polens PiS – sind praktisch unüberbrückbar.

In Madrid gab es am Ende drei verschiedene Abschluss­er­klä­rungen. Der spanische Gastgeber und Vox-Vorsitzende San­tia­go Abascal Conde wollte ein Votum für europäische Solidarität und gegen Russland. In der Vox-Erklärung war dann aber nur von „Bedrohung durch äußere Aggression“ die Rede.

Die Bemühungen um eine europäische Allianz der Rechten stocken. Der Um­gang mit Russland entzweit sie

Le Pens Erklärung sprach von „politisch motivierten Angriffen Brüssels gegen Polen und Ungarn“, erwähnte aber Russland nicht. In der PiS-Erklärung wurden „russische Militäraktionen“ kritisiert. Und Matteo Salvini aus Italien war gar nicht erst erschienen – Vox hatte seine Sympathie für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung missfallen.

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