Szenarien für Twitters Zukunft: Luxusyacht wäre einfacher gewesen

Elon Musk kauft Twitter, hypt das Recht auf freie Rede, und die neuen EU-Plattformregeln stehen vor ihrer ersten Bewährungsprobe.

Illustration eines abstrakten blauen Vogels vor rotem Hintergrund

Bei Twitter gilt das Recht des Lauteren Illustration: Xueh Magrini Troll

Wann genau war eigentlich der Zeitpunkt, an dem Superreiche sich nicht mehr darauf beschränken wollten, ihr Geld in Dinge zu stecken, die gut mit dem Präfix Luxus funktionieren (Villen, Uhren, Autos, Yachten)? Wer etwas auf sich hält, braucht mittlerweile mindestens einen Fußballklub, eine Insel, einen Flug ins Weltall oder auch mal ein Medienunternehmen.

Jeff Bezos hat das mit der Washington Post vor fast zehn Jahren gemacht, in Frankreich spielen Mil­li­ar­dä­r:in­nen mitunter so etwas wie „Monopoly“ um namhafte Medien. Und Elon Musk könnte nun mit dem Kauf der Social-Media-Plattform Twitter noch einmal eins draufsetzen, nachdem das Unternehmen eine Wende bezüglich seiner Übernahmebereitschaft hinlegte. Kurz zuvor hatte Musk sein Angebot noch einmal erhöht. Der Subtext: Wenn ich etwas haben will und es nicht bekomme, dann liegt das wahrscheinlich daran, dass ich noch nicht genügend Geld geboten habe. Da schlägt das Kapitalismusgespenst gleich ein paar ­Saltos vor Freude.

Nun ist beispielsweise das Luxusuhrensegment erfreulich entkoppelt vom Leben der meisten Menschen. Für Me­dien­un­ter­nehmen und für Twitter als Kommunikationsplattform gilt das nicht. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Diskurs- und Meinungsbildung, also auch der Demokratie. Nicht nur die Twitter-Welt fragt sich daher zu Recht: Was wird nun aus dem Dienst?

Wo ist die Grenze?

Musk ist auf Twitter schon jetzt eine der Personen mit immenser Reichweite. Wobei man nicht den Fehler machen darf, allein auf die Zahl der Fol­lo­wer:­in­nen zu schielen. Mindestens ebenso wichtig ist, wer sich darunter befindet. Je mehr Mul­ti­pli­ka­to­r:in­nen die Inhalte über eigene Kanäle weitertragen oder Ent­schei­de­r:in­nen die Standpunkte aufnehmen, desto größer der Welleneffekt, der von einem Tweet ausgehen kann.

Als Eigentümer der Plattform wird Musk zugleich maßgeblich bestimmen, welche Regeln auf ihr gelten. Darf Trump wieder rein? Und ein Schwung ähnlich agierender und aktuell gesperrter Personen gleich mit? Was ist überhaupt mit Beschimpfungen, Hass und Rassismus, was wird toleriert, wo ist die Grenze? Wie umgehen mit Trollen, Spam, Bots? Wie mit Personen, die absichtlich falsche Informationen verbreiten?

Musk stellt seinen Kauf unter das Paradigma der freien Rede, er selbst bezeichnet sich da als „Absolutist“. In diesem Verständnis können auch Hassrede oder Mordaufrufe legal sein. Bei vielen Be­ob­ach­te­r:in­nen löst das die Befürchtung aus, der Milliardär wolle die Plattform zurück in das vormoderierte Zeitalter führen. Freie Rede als Recht der Lautesten und Rücksichtslosesten – das erste mögliche Szenario für Twitters Zukunft.

Was bringt Transparenz?

Interessant ist in diesem Kontext eine Nachricht vom vergangenen Wochenende: Wenige Tage vor dem Musk-Twitter-­Deal hat sich die EU auf ihr zweites großes Gesetz zur Plattformregulierung geeinigt, den Digital Services Act (DSA). Er stellt unter anderem Regeln für die Moderation auf, für das Melden von mutmaßlich illegalen Inhalten und für Beschwerdeverfahren. „Ob Autos oder digitale Plattformen – jedes Unternehmen, das in Europa tätig ist, muss sich an unsere Regeln halten“, schrieb EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton als Reaktion auf die Übernahmeankündigung auf – natürlich – Twitter. Elon Musk wisse das sehr gut. „Er kennt die Regeln für Autos und wird sich schnell an den #DSA anpassen.“

Musks Pläne für Twitter werden damit eine interessante Bewährungsprobe für die neue Regulierung. Greift sie und ist sie zielführend? Bleibt ihr Effekt auf die EU beschränkt oder entfaltet sie international Wirkung? Könnte der DSA sogar Musks Idee, die Twitter-Algorithmen offen zu legen, den Anstoß zur Umsetzung geben? Und falls diese tatsächlich komplett veröffentlicht würden – welche Rückkopplungseffekte gäbe es, wenn sich öffentliche Kritik an dem ein oder anderen Algorithmus mehrt?

Nachdem die Nachricht von Musks Twitter-Deal die Runde machte, trendete auf der Plattform ein Thema: Mastodon. Die freie, quelloffene Alternative zu Twitter ist bislang ein recht überschaubares Netzwerk. Doch tatsächlich waren hier in den vergangenen Tagen diverse Posts von neuen Nut­ze­r:in­nen zu lesen, die Twitter den Rücken kehren wollen. My­Space, StudiVZ, Google Plus zeigen: Geld oder Größe schützen nicht davor, dass Menschen sich nach anderen Plattformen umsehen, wenn die etwas Besseres bieten. Sollten allerdings über Nacht scharenweise Nut­ze­r:in­nen und Troll-Gruppen von Twitter zu Mastodon umziehen, würden die Freiwilligen, die sich maßgeblich um den Betrieb kümmern, wohl ziemlich schnell an ihre Grenzen kommen. Setzt aber ein langsamer Sogeffekt ein, könnte das einen Shift bedeuten, der die nichtkommerzielle Plattform stärkt. Szenario 2 daher: Abwanderung.

Kommt die Kommerzialisierung?

Kurzer Realitätscheck: Wie sah das jüngst aus, wenn es größere Umbrüche bei Plattform-Unternehmen gab? Etwa, als Face­book Whatsapp aufkaufte oder als Whatsapp eine sehr umstrittene und breit diskutierte Änderung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen vornahm? Liefen da die Nut­ze­r:in­nen massenhaft davon? Nun, eher nicht. Auch wenn der Wechselwille steigt, die Masse scheint träge zu sein und sich lieber zu arrangieren, als einen echten Neuanfang zu wagen. Szenario 3: Weiter so. Eine Dämpfung des Musk’schen Freie-Rede-Paradigmas durch den DSA könnte dazu beitragen.

Bleibt Szenario 4: die Kommerzialisierung. Musk macht dabei das, was er kann: aus einem okayen bis mittelmäßigen Produkt einen kommerziellen Erfolg. Bei Tesla hat er das geschafft, aber auch bei etwas eher Abseitigem wie einem Flammenwerfer. Zwar erklärte Musk in einem TED-Talk, dass ihn ein kommerzieller Erfolg von Twitter nicht interessiere. Das mag stimmen. Wen es aber schon interessiert: die Banken. Und weil selbst der reichste Mensch der Welt nicht mal eben 44 Milliarden US-Dollar liquide bekommt, ist Musk aktuell auf die Banken angewiesen. Ansätze zum Geldverdienen gibt es: Werbung und Zusatzfunktionen, die etwas kosten. In diesem Kontext könnte übrigens auch Musks Plan zur Offenlegung der Twitter-Algorithmen schnell wieder in der Schublade verschwinden.

Eines ist nicht auszuschließen: Dass Musks Pläne für Twitter auf ganzer Linie scheitern und er primär viel Geld verbrennt. Er wird das einkalkuliert haben. Sonst hätte er ja die Luxus­yacht genommen.

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