berliner szenen
: Wir klatschen, er bellt

Ich bin auf der Lesung eines Kollegen in einer Galerie. Ich höre fasziniert zu. Die Art, wie er liest, lässt mich das Buch noch einmal neu entdecken. Fast schauspielartig betont trägt er die Sätze vor, besonders die wörtliche Rede, sodass ich die Personen viel plastischer vor mir sehe. Nach jedem Leseabschnitt nimmt er einen Schluck aus seinem Wasserglas und das Publikum klatscht.

Ein Hund bellt dazu. Es wirkt, als würde der Hund noch einmal extra Beifall spenden, und als sich der Autor auch für den tierischen Applaus bedankt, lacht das Publikum. Ich drehe mich und sehe mich nach dem Hund um, kann ihn aber nirgendwo entdecken. Sehr merkwürdig, denke ich.

Das Schauspiel wiederholt sich einige Male. Der Autor liest, schließt mit dem Nippen an seinem Wasserglas, das Publikum klatscht, der Hund bellt, alle lachen, ich drehe mich um und versuche, den Hund zu entdecken. Ohne Erfolg.

Als die Lesung vorbei ist, gehe ich vor die Tür, um frische Luft zu schnappen, nachher möchte ich noch mein Buch signieren lassen. Mit mir steht eine Frau vor der Galerie. Sie trägt einen Hut und raucht. Ab und zu guckt sie mich abschätzend an. Als durch die geöffnete Tür lautes Lachen dringt, bellt wieder der Hund und erst auf den zweiten Blick sehe ich, dass er aus einer Tasche vor ihrem Bauch bellt.

Ach, da ist ja der Hund, sage ich erstaunt. Ich habe ihn vorhin nie gesehen. War er etwa die ganze Zeit in der Tasche?

Wir sind viel auf Reisen, sagt sie. Das Bellen vorhin war, als hätte er auch applaudiert, bemerke ich. Sie antwortet: Ehrlich gesagt hasst er Menschen und wenn sie zu laut werden, bellt er sie an. Oh, sage ich.

Ja, sagt sie. Ich verstehe ihn. Meine Therapeutin sagt, er übernimmt das für mich. Ich hasse Menschen nämlich auch und würde sie gern anbellen. Isobel markus