Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen: Grüne zwischen Krieg und Klima

Vor den NRW-Landtagswahlen wollen die Grünen mit Klimapolitik punkten – doch die Waffenlieferungen an die Ukraine holen sie ein.

Gelbe Plakate gegen Waffenlieferung und Medienmaipulation

DemonstrantInnen gegen grüne Politik bei einer Wahlkampf-Veranstaltung in Dortmund Foto: Björn Kietzmann

MÜNSTER/DORTMUND taz | „Der Krieg in der Ukraine“, seufzt der Grüne Florian Wüpping am Wahlkampfstand seiner Partei auf dem Domplatz in Münster. „Der Krieg, der ist auch im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf bestimmendes Thema.“ Seit 2013 ist der Lehrer Parteimitglied. Am Montagnachmittag will er den Auftritt der grünen Spitzenkandidatin Mona Neubaur und des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck unterstützen – und ist auf harte Kritik gefasst: „Wir seien Kriegstreiber, keine Friedenspartei mehr, werfen uns manche vor“, erzählt der 31-Jährige.

Dabei müsste die Universitätsstadt Münster Neubaur und Habeck eigentlich ein Heimspiel bieten. Kaum eine deutsche Stadt ist fahrradfreundlicher, bei der Kommunalwahl 2020 wurden Münsters Grüne mit mehr als 30 Prozent knapp hinter der CDU zweitstärkste Kraft. Doch der Protest gegen den grünen Kurs der Waffenlieferungen an die Ukraine ist auch auf Münsters zentralem, gegen 16 Uhr trotz Regens mit 2.000 Menschen überraschend gut gefülltem Domplatz unübersehbar.

„Frieden schaffen ohne Waffen“ steht auf einem Transparent, das der ehemalige Gewerkschaftssekretär Theo Knetzger und die Sozialarbeiterin Lisa Guth hochhalten. Ein graubärtiger Hutträger trägt ein altes Grünen-Plakat vor sich her. „Jetzt abrüsten!“ steht darauf. Der 72 Jahre alte Knetzger war einmal bei den Linken, danach bei der GAL. Jetzt will er von den Grünen nichts mehr wissen: „Die gießen mit ihren Waffenlieferungen Öl ins Feuer.“ Die Sozialarbeiterin Guth wünscht sich ebenfalls „Verhandlungen statt Waffenlieferungen.“

Desillusioniert gibt sich auch der einstige grüne Landtagsabgeordnete Rüdiger Sagel, der 2007 zu den Linken wechselte und von 2012 bis 2014 deren Landessprecher war. „Schon seit dem Jugoslawien-Krieg 1999“, sagt der mittlerweile parteilose Sagel, haben sich die Grünen von einer anti-militaristischen hin zu einer Kriegspartei entwickelt.“

Die Grünen werden den Krieg nicht los

Neubaur kennt diese Stimmung. Auf der Bühne vor Münsters St.-Paulus-Dom redet die 44-Jährige lieber über die Energiewende. Erneuerbare Energieträger, die Beteiligung an Bürger:innen-Windparks biete allen die Chance, zu mehr Unabhängigkeit vom Autokraten Putin beizutragen, wirbt sie. Als Hauptthema des grünen Landtagswahlkampfs soll konsequente Klimapolitik in Erinnerung bleiben.

Erst wenige Stunden zuvor hat Neubaur deshalb ein grünes „Klimaschutzsofortprogramm“ vorgestellt. Mit mehr Windkraft, mit der Abschaffung der von CDU und FDP in NRW durchgedrückten 1.000-Meter-Abstandsregel zwischen Windrädern und Wohnbebauung, mit einer Pflicht zur Installation von Photovoltaik-Anlagen an Gewerbeflächen und an Neubauten will sie auch in Münster punkten. Dazu kommen grüne Klassiker wie der „massive Ausbau von Bus und Bahn“, eine ökologischer produzierende Landwirtschaft. „Bezahlbaren Wohnraum für alle“, verbesserte Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem und mehr Chancengerechtigkeit an den Schulen hat die Landesparteichefin ebenfalls im Programm.

Vor dem Dom kommt das gut an – immer wieder wird Neubaur von Applaus unterbrochen. Geklatscht wird auch bei der Rede Robert Habecks: Wortreich beklagt der Bundeswirtschaftsminister die „politische Bräsigkeit“, die „schläfrige Energiepolitik“ der Vorgängerregierungen im Bund.

Doch schon bei der ersten von drei Fragen, die von der Wahlkampfregie aus dem Publikum ausgelost wurden, ist der Ukraine-Krieg wieder Thema. Der Vizekanzler wird deutlich: „Das hehre Prinzip des Pazifismus muss sich an der Wirklichkeit messen“, ruft Habeck. Wer keine Waffen liefere, ermögliche Morde und Vergewaltigungen. „Wer Waffen liefert, macht sich weniger schuldig“, gibt sich Habeck überzeugt.

In den Umfragen sah es schonmal besser aus

Die Ernte sind Pfiffe, aber auch Applaus. Gerade das „Überdenken der eigenen Position“, der Kurswechsel hin zu einer harten Linie gegenüber Putins Russland mache die Grünen für sie sympathisch, sagt etwa die 21-jährige Jura-Studentin Carla Meyer, die mit drei Kom­mi­li­to­n:in­nen auf den Domplatz gekommen ist. Ihre drei Be­glei­te­r:in­nen nicken.

„Der Krieg ist immer Thema“, sagt Neubaur kurz darauf in ihrem elektrischen Wahlkampf-Kleinbus bei der Weiterfahrt nach Dortmund. Mit dem Thema Energiewende versucht sie, die Verunsicherung, die Ohnmacht, die viele ihrer potenziellen Wäh­le­r:in­nen quält, aufzufangen.

In den Umfragen aber zahlt sich das noch nicht aus: Hier liegen die Grünen seit Wochen zwischen 14 und 18 Prozent – bei der Europawahl 2019 waren es noch mehr als 23, bei der Kommunalwahl vor zwei Jahren immerhin 20 Prozent. Woran das liegt, will die Diplom-Pädagogin nicht detailliert analysieren: „Wer Grün will, muss Grün wählen“, sagt sie nur.

Offen lässt die in Bayern geborene Düsseldorferin auch, mit wem sie nach den Wahlen am 15. Mai regieren will. Klar ist bisher nur: Eine eigene Mehrheit hat die selbsternannte „NRW-Koalition“ von CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst in Umfragen seit Jahren nicht mehr. Aktuell liegen CDU und SPD im Land mit etwa 30 Prozent gleichauf. Denkbar ist neben dem NRW-Klassiker Rot-Grün deshalb auch Schwarz-Grün, eine Ampel – oder ein Jamaika-Bündnis der Grünen mit CDU und FDP.

Und die Querdenker gibt es auch noch

Ausschließen will Neubaur nicht einmal Jamaika – auch wenn damit die regierende Ampel in Berlin massiv geschwächt werden dürfte: „Der Bund ist nicht der Taktgeber für eine Koalition in NRW“, findet sie. Entschieden werde anhand der Inhalte: „Es kommt darauf an, mit wem wir mehr durchsetzen können.“ Klar sei aber: „In Koalitionen mit zwei Partnern dürfte die Verständigung leichter sein.“

Am Abend in Dortmund holt der Krieg die Grüne einmal mehr ein. Etwa 200 Quer­den­ke­r:in­nen stören den Wahlkampf auf dem zentralen Hansaplatz massiv. Unter dem Krach aus Megaphonen, Trillerpfeifen, Sirenen und Gebrüll sind Neubaur und Habeck kaum zu verstehen. Eine Frau schwenkt ein Weihrauch-Fässchen.

Die Anti-Grünen präsentieren ein Transparent der Corona leugnenden Kleinstpartei „Die Basis“ – und machen klar, dass die Querdenker-Szene noch weiter ins Sektiererische abgleitet, dieses Mal in Richtung Putin-Unterstützung. „Verrat an der Friedensbewegung“ – nichts anderes begingen die Grünen, brüllt etwa der Rentner Werner Loghin. Der 66-Jährige ist stolz, wegen der Missachtung der Corona-Regeln diverse Geldbußen kassiert zu haben – jetzt reckt er Neubaur und Habeck beide Mittelfinger entgegen.

„Trillerpfeifen ersetzen keine Argumente und sinnbefreites Gekeife ist kein Meinungsaustausch“, sagt die Spitzen-Grüne dazu. „Demokratie muss und kann Putin-Verehrer und Corona-Schwurbler aushalten.“

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▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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