Intervention in der Kunsthalle Bremen: Das Auge bleibt drin

Wie mit rassistischen Kunstwerken umgehen? Natasha A. Kelly macht in Bremen Ernst Ludwig Kirchners „Schlafende Milli“ zum aufgeweckten Subjekt.

Schwarz-Weiß-Videostill einer Frau, der Medienkünstlerin Natasha Kelly, in Silhouette vor dem Gemälde "Schlafende Milli" in der Kunsthalle Bremen.

Natasha A. Kelly weckt Ernst Ludwig Kirchners „Schlafende Milli“. Still aus „Millis Erwachen“, 2018 Foto: Natasha A. Kelly

Kunst ist immer Propaganda. Hat sie Erfolg, setzt sie eine Sichtweise durch auf den Bildgegenstand, den sie kommuniziert – und sei es nur eine Farbe. In diesem Fall geht’s um die Farbe Schwarz, der Bildgegenstand ist eine Frau und das in der Hochphase des Kolonialismus entstandene Gemälde „Schlafende Milli“ von Ernst Ludwig Kirchner ist unbestreitbar ein Schlüsselwerk: für den Maler selbst, für den Expressionismus, fürs 20. Jahrhundert.

Seit den 1960ern gehört es der Bremer Kunsthalle und hat – erotisierend, exotisierend – den Blick geprägt, den die westliche Gesellschaft auf Schwarze Frauen wirft. Mit unterwürfig geschlossenen Augen liegt sie da: Kirchner hat sie, immerhin, ins Zentrum gestellt, sie dabei aber zugleich verfügbar gemacht und entindividualisiert.

Das ist, wo Natasha A. Kellys Intervention „Wer war Milli?“ ansetzt, die jetzt als essayistischer Kommentar zum Meisterwerk in der Sammlung präsentiert wird. Dabei: „Ob Kirchner rassistisch war oder nicht“, so die Kommunikationswissenschaftlerin, Medienkünstlerin und Aktivistin Kelly, „das war für mich irrelevant.“

Stattdessen greift sie den vom Kunstwerk mitgeformten und gelenkten Blick an, dem der Schwarze Frauenkörper als „Diskursterrain“ diene, „um weiße Geschichten zu erzählen“, wie Kelly in Anlehnung an die kürzlich verstorbene Philosophin bell hooks sagt.

Milli ist ein Sammelbegriff

Im Oeuvre des Brücke-Malers, in Archiven und in Briefen hat sie nach Spuren dessen gesucht, was mit diesen weißen Geschichten überschrieben wurde; eine notwendig unvollendete Recherche. Ein Forschungsstipendium für Kelly wäre angebracht, damit sie die Arbeit fortführen kann.

Denn akribisch hat sie nach Hinweisen aufs Leben dieser Frau gefahndet. Könnte die vielleicht auch als „Vorbotin Schwarzer deutscher Identität“ gelesen werden? Das fragt eine der zwei Videoarbeiten Kellys, die den Korpus der Intervention ausmachen.

War Milli Artistin? Tänzerin? Sexarbeiterin? An Gewissheiten hat auch Kelly bislang fast nur zutage fördern können, dass Milli eine Art Sammelbegriff war: „Es gab viele Millis.“ Mit dem Namen hat der Maler insbesondere Schwarze Frauen bezeichnet, die in Dresden ausgestellt waren – im Zoo. Völkerschau hieß das damals.

Spätestens hier wird’s unbequem. Denn selbstverständlich ist das unerträglich. Und ebenso selbstverständlich bleibt das Bild ja schön. Und indem sie dieses verschüttete Wissen ausstellen, zwingen Kelly und die Kunsthalle dazu, sich der Dissonanz der eigenen Wahrnehmung zu stellen. Konsequent wäre, sich das Auge auszureißen. Aber tut man’s?

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