kunstraum
: Als wir Blüten sahen

Petrit Halilaj & Alvaro Urbano with Annette Frick, Die Blüten von Berlin, Installation view at ChertLüdde, 2022 Foto: Andrea Rossetti, Courtesy of the artists and ChertLüdde

Wer in Berlin Pailletten, Federboas und anderen Flitterkram suchte, wurde die längste Zeit, nämlich 70 Jahre lang bis 2021, im Reich von Deko Behrendt fündig. Nun schmücken die riesigen Räume in der Hauptstraße 18 aus Eisendraht und handbemaltem Stoff konstruierte, überdimensionale Kirsch- und Vergiss-mein-nicht-Blüten von Petrit Halilaj & Alvaro Urbano. Die beiden gehören zu den Künst­le­r:in­nen der Galerie ChertLüdde, der mit ihrem Umzug nach Schöneberg ein echter Coup gelungen ist. Ein Coup, den sie mit „Die Blüten von Berlin“, ihrer ersten Schau am neuen Ort als eine Art Vermächtnisausstellung angemessen feiert.

Neben den Blumenskulpturen zeigen Halilaj & Urbano die Serie „I never saw Blue You“, große Papierarbeiten, die echte Objets trouvés sind: Wandstücke, die vor der Renovierung der Räume abgenommen wurden. Die zerfransten Ränder zeigen die über viele Jahrzehnte aufeinandergeklebten Tapeten aufs Schönste.

Der Ausstellungstitel „Die Blüten von Berlin“ freilich geht auf ein Lied zurück, das die verstorbene Dragqueen Ovo Maltine (1966–2005) schrieb. Ihre Freundin und Teil der Szene war die Fotografin Annette Frick, die die queere Community der Stadt seit den 1990er Jahren bei ihren Selbstinszenierungen mit ihrer Kamera begleitete. Dafür beispielhaft ist ihre Serie mit Gunter Trube (1960–2008), dem bekannten Gehörlosen- und Aids-Aktivisten, dem Sportler, Dichter, dem einfach schönen Mann, wie er sich falsche Wimpern anklebt und Lippenstift aufträgt, um als noch schönere Dragqueen zu glänzen.

Die Nähe von Frick zu den Protagonisten ihrer Aufnahmen ist offenkundig, ihr alltäglicher Umgang, wie er sich im ungezwungenen Verhalten der Ak­teu­r:in­nen spiegelt. In diesem intimen Moment zeigt sich eine Parallele zum Werk von Nan Goldin, das zum Teil ja im gleichen Berliner Milieu entstanden ist. Die Schwarzweißaufnahmen erinnern aber auch an das Werk von Michael Schmidt (1945–2014). Seine Berliner Serie ist zurzeit in der Albertina in Wien zu sehen. Ist es nicht längst Zeit für Annette Fricks große institutionelle Ausstellung?

ChertLüdde, Di.–Sa. 12–18 Uhr, bis 28. Mai, Hauptstr. 18

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Brigitte Werneburg