Teurere Lebensmittel, mehr Hunger: Westen kontert Russlands Vorwurf

Der Ukrainekrieg, nicht die Sanktionen hätten Preise in die Höhe getrieben, so EU und USA. Russisches Getreide dürfe weiter importiert werden.

Reifer Weizen

Russisches Weizenfeld Foto: Maxim Shipenkov/EPA

BERLIN taz | Die EU und die USA weisen Vorwürfe des Kreml zurück, vor allem Sanktionen des Westens gegen Russland hätten Lebensmittel verteuert. Die „negativen Effekte auf die Agrarrohstoffproduktion in der Ukraine, die Preise oder die Verfügbarkeit von Rohstoffen auf dem Weltmarkt sind das Ergebnis der destabilisierenden Auswirkungen der russischen Aggression und der militärischen Aktivitäten auf ukrainischem Boden und nicht der EU-Sanktionen“, schreibt Miriam García Ferrer, Sprecherin der Europäischen Kommission, der taz. „Die Export- und Importbeschränkungen klammern […] Produkte aus den Bereichen Gesundheit, Pharma, Lebensmittel und Landwirtschaft aus“. Stattdessen habe die EU Einfuhrverbote beispielsweise für Holz, Zement, Kaviar und Wodka verhängt.

Ähnlich hatte sich vergangenen Donnerstag die US-Vertreterin beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, Lisa Carty, geäußert. Sie teilte mit, „US-Sanktionen gegen Russland haben nie Lebensmittel, Agrarprodukte oder die Handelsschifffahrt einbezogen“.

Damit reagierten die Europäische Union und die Vereinigten Staaten auf Statements russischer Diplomaten. Der stellvertretende russische UN-Botschafter Dmitri Tschumakow beispielsweise hatte laut Nachrichtenagentur AP gesagt, schuld an den steigenden Preisen seien Sanktionen gegen Russland, Handelskriege, die Coronapandemie und die Wirtschaftspolitik westlicher Staaten, die die Weltmärkte erschütterten.

Bei der Kontroverse geht es um die Verantwortung dafür, dass wegen der stark gestiegenen Nahrungsmittelpreise laut einer Simulation der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) die Zahl von unterernährten Menschen weltweit 2022/23 um 8 bis 13 Millionen steigen könnte. Da Russland bislang 17 Prozent und die Ukraine 12 Prozent der globalen Weizenexporte geliefert haben, bestimmen sie den Markt maßgeblich mit. Besonders abhängig von Getreideimporten aus Russland und der Ukraine sind Staaten in Nordafrika und dem Nahen Osten.

Russland hat selbst Exportverbot erlassen

Doch gerade diese Länder hätten gar keine Sanktionen gegen Russland verhängt, sagte Oleksandr Perekhozhuk, Ukraine-Experte am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), der taz. „Zum größten Teil wurden die Preissteigerungen dadurch verursacht, dass die Ukraine wegen des Kriegs nicht mehr über die Schwarzmeer-Region Getreide exportieren kann“, so der aus der Ukraine stammende Ökonom. Über die Häfen dort und im benachbarten Asowschen Meer wurde bisher das weitaus meiste Getreide ausgeführt; die Bahn kann nicht so große Mengen transportieren, andere Häfen gibt es nicht.

„Dass die EU mehrere russische Banken vom Überweisungssystem SWIFT ausgeschlossen hat, ist kein ausreichender Grund für die Preissteigerungen“, ergänzte Per Brodersen, Agrarexperte beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. „Getreideimporteure können über andere Banken ihre Lieferungen bezahlen“, sagte er der taz. Russlands Regierung habe außer durch den Krieg die Preise auch durch einen Erlass von Mitte März über ein Exportverbot für Getreide in die Höhe getrieben.

Zutreffend ist laut Brodersen allerdings, dass Weizen sich schon Monate vor dem russischen Angriff auf die Ukraine verteuert habe, zum Beispiel wegen der Coronapandemie. Aber der extreme Preisanstieg um rund 60 Prozent habe erst begonnen, als Russland fast die gesamte ukrainische Schwarzmeerküste durch Marinemanöver blockierte und am 24. Februar in der Ukraine einmarschierte.

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