Fehlerkultur in der SPD: Die Identität wankt

Sigmar Gabriel gibt zu, die russische Gefahr unterschätzt zu haben. Für die SPD wird es dennoch nicht einfach, Vertrauen und Ansehen zurückzugewinnen.

Wladimir Putin lächelt den deutschen Aussenminister Sigmar Gabriel an

Liebevolle Blicke: Sigmar Gabriel und Wladimir Putin bei einem Gespräch 2017 Foto: Thomas Imo/imago

Das Osterwunder des Jahres 2022 lieferte Sigmar Gabriel: Der Ex-SPD-Chef, bisher vor allem fürs Austeilen bekannt, übte Selbstkritik. Die russische Gefahr unterschätzt zu haben, sei „eine berechtigte Kritik, die sich die allermeisten von uns in der Politik gefallen lassen müssen“, schrieb er in einem Gastbeitrag für den Spiegel. „Es war ein Fehler, bei den Einwänden gegenüber Nord Stream 2 nicht auf die Osteuropäer zu hören. Das war auch mein Fehler“, sagte er wenige Tage später der Welt.

Nun gut, nicht jeden konnte Gabriel damit überzeugen – was vor allem daran lag, dass er seine Selbstkritik direkt mit Gegenangriffen garnierte und dem ukrainischen Botschafter die Verbreitung von Verschwörungstheorien vorwarf. Zu hoch darf man den Anspruch an die Vergangenheitsbewältigung in der SPD aber auch nicht legen: Es ist erst acht Wochen her, dass sich mit dem russischen Überfall auf die Ukraine jahrelange Grundsätze sozialdemokratischer Außenpolitik als Irrtum erwiesen. Mit Verweis auf Willy Brandt und dessen Ostpolitik hatte die Partei diese Grundsätze stets historisch überhöht. Bei der Aufarbeitung eigener Fehler im Umgang mit Russland gerät also ein Kern sozialdemokratischer Identität ins Wanken. Kein Wunder, dass sich die SPD nur langsam rantastet.

Zumal manch überzogener Angriff von außen die Bereitschaft zur schonungslosen Selbstkritik sicherlich nicht fördert. Unter Beteiligung der SPD haben deutsche Regierungen die Abhängigkeit Deutschlands von Russland vergrößert und damit die Rahmenbedingungen für diesen Krieg verbessert, keine Frage. Sie haben aus einer Mischung aus Naivität und Gier nach günstigen Rohstoffen falsche Entscheidungen getroffen. Intendiert haben sie den Krieg damit aber nicht; die direkte Verantwortung liegt allein bei der russischen Regierung. Deutschlands Fehler haben auch nicht die Sozialdemokraten allein begangen, Konservative und Wirtschaftsvertreter waren ebenfalls beteiligt – sie neigen nur aus Tradition weniger stark zur Selbstkritik und geraten somit auch jetzt nicht in den Fokus.

Und schließlich: Wohlfeil ist es, mit dem Wissen von heute sämtliches sozialdemokratisches Handeln der Vergangenheit zu verdammen. Zum Beispiel das endlose Festhalten am Minsker Prozess zum Krieg in der Ostukraine, der eine politische Lösung anstrebte: Rückblickend war er zum Scheitern verurteilt, Anzeichen dafür mag es über Jahre gegeben haben. Gewissheit lieferte aber erst der 21. Februar, an dem Wladimir Putin die selbsternannten Volksrepubliken Lugansk und Donezk anerkannte. Bis dahin hatten auch Paris, Kiew und am Ende sogar die neue grüne Außenministerin, Annalena Baerbock, in Berlin die Hoffnung auf den Erfolg des Minsker Abkommens nicht aufgegeben.

Alte Stärke – und der Kollaps

Damit aber fürs Erste genug des Verständnisses für die SPD und ihre schwierige Vergangenheit. Immerhin sitzt sie nicht in der Opposition, wo sie ihre Verhältnisse in Ruhe ordnen könnte. Sie ist ironischerweise gerade in dem Moment zu alter Stärker zurückgekommen, in dem der Kollaps ihrer Ostpolitik seinen Lauf nahm. Sie sitzt in der Verantwortung, selbstgewählt, und muss jetzt mit den Folgen ihrer unbewältigten Fehler zurechtkommen. Zuerst: mit dem immensen Misstrauen – ob sie es für ungerecht hält oder nicht.

Das Misstrauen schlägt der SPD entgegen in der Bewertung der deutschen Reaktion auf den Krieg. Die ist im internationalen Vergleich faktisch mittelmäßig. Ein sofortiger Energieboykott scheitert innerhalb der EU nicht ausschließlich an der Bundesregierung, aber auch an ihr. Waffen liefert sie bislang schon in nicht unwesentlichem Umfang, in Zukunft kommen über einen Ringtausch mit Slowenien offenbar auch Panzer hinzu. Manche Nato-Staaten machen bisher mehr als das, manche weniger.

Das Sondervermögen als Streckversuch

Trotzdem schlägt speziell der Bundesrepublik international die größte Kritik ob ihrer vermeintlichen Passivität entgegen. So wie national die Zweifel an der Führungsstärke des SPD-Kanzlers Scholz zunehmen, während die Umfragewerte der Grünen-MinisterInnen Habeck und Baerbock steigen – obgleich sie alle zusammen ein und dieselbe Regierungspolitik tragen. Wer in der Vergangenheit richtig lag, trägt jetzt einen Vorrat an Vertrauen mit sich. Wer falsch lag, steht dagegen unter besonderer Beobachtung. Er müsste sich schon ordentlich strecken, damit mal etwas genug ist.

Als Olaf Scholz vier Tage nach Kriegsbeginn das Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte, war das so ein Streckversuch. Dessen Effekt verpuffte aber, weil die 100 Milliarden nicht dazu gedacht sind, den Krieg in der Ukraine zu beenden, die grausamen Nachrichten von dort aber nicht abreißen. Was bleibt sonst? Personelle Konsequenzen für diejenigen in der Partei, die besonders daneben lagen – Stichwort Manuela Schwesig – will die SPD nicht ziehen. Für starke Symbole aus der Kategorie Kniefall ist Olaf Scholz nicht der Typ. Demut im Ton, Gelassenheit bei Kritik sind auch keine Stärken der Sozialdemokratie. So schnell wird das Vertrauen also nicht zurückkommen.

Innenpolitisch ist das verkraftbar, auch wenn die Union unter Friedrich Merz den Druck erhöht. Außenpolitik hat schließlich selten eine Wahl entschieden. International aber ist die Sache schwieriger: Frisch im Amt hat der Kanzler schon an Ansehen verloren, bevor er sich überhaupt welches zulegen konnte. Für gewöhnlich kostet so etwas Einfluss – nicht nur in Fragen des Krieges.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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