Rekord bei Geldentwertung in Eurozone: Inflation rauf, Steuer runter

Mit 7,4 Prozent erreicht die Teuerung im Euroraum einen neuen Höchstwert. Fällt nun die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel?

Frau mit Einkaufstüte, Detailaufnahme

Was in die Einkaufstüte kommt, wird immer teurer: Konsumentin in Düsseldorf Foto: Michael Gstettenbauer/imago

BERLIN taz | Die Inflation im Euroraum ist im März auf einen Rekordstand geklettert. Das Europäische Statistikamt (Eurostat) bezifferte die Geldentwertung am Donnerstag auf 7,4 Prozent. Das war der höchste Wert seit der Einführung des Euro 1999 – und beinahe viermal so viel wie die Zielmarke der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent.

Im Vergleich zu einer früheren Schätzung für März fiel die durchschnittliche Preiserhöhung zwar etwas geringer aus. Damals war Eurostat von 7,5 Prozent ausgegangen. Doch auch 7,4 Prozent liegen deutlich über der Inflationsrate vom Februar mit 5,9 Prozent. Vor allem machten sich die stark steigenden Energiepreise bemerkbar. Diese lagen um 44 Prozent über dem Vorjahresniveau. Bei Lebens- und Genussmitteln war der Preisauftrieb dagegen mit 5 Prozent moderater.

Ursachen der problematischen Kostensteigerung sind die wirtschaftliche Erholung nach der Coronapandemie und die deshalb größere Nachfrage durch Privathaushalte und Unternehmen. Diese trifft allerdings auf ein zu geringes Angebot beispielsweise bei Energie und Baumaterial. Hier machen sich Lieferengpässe auf den Weltmärkten bemerkbar. Der russische Angriff auf die Ukraine trägt ebenfalls zur Explosion der Energie- und bestimmter Lebensmittelkosten bei. Kri­ti­ke­r:in­nen machen außerdem die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank verantwortlich, die Banken und Investoren zu lange mit zu großen Summen neuen Geldes versorgt habe.

Viele Unternehmen reagieren derzeit, indem sie ihre höheren Kosten für Energie, Rohstoffe und Vorprodukte weiterreichen. Ein aktuelles Beispiel ist der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé (unter anderem Nespresso, KitKat und Maggi), dessen Umsatz von Januar bis März dieses Jahres um 7,6 Prozent auf rund 22 Milliarden Euro stieg. Preiserhöhungen steuerten 5,2 Prozent zu diesem Wachstum bei. Insgesamt wuchsen die Erzeugerpreise, die etwa Lebensmittelhersteller dem Handel in Rechnung stellen, im März im Jahresvergleich um über 30 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch erklärte.

Die Europäische Zentralbank bekommt immer mehr Druck, die Zinsen zu erhöhen

Die Firmen könnten sich auch anders verhalten. Sie müssen ihre Kostensteigerungen nicht größtenteils oder komplett weitergeben. Allerdings würden sich dann ihre Gewinnmargen reduzieren. Wie lange die gegenwärtige Geschäftspolitik funktioniert, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Ver­brau­che­r:in­nen die Preissteigerungen akzeptieren oder ob sie ihren Konsum einschränken.

Ein zweiter wichtiger Akteur ist der Staat. Die Steuern, die er erhebt, gehen ebenfalls in die Preise ein, die End­ver­brau­che­r:in­nen bezahlen. So forderten der Sozialverband VdK und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) am Donnerstag, die Bundesregierung solle die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel auf 0 senken. Augenblicklich gilt beispielsweise für Gemüse, Milch, Fleisch und Getreide der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Menschen mit niedrigen Einkommen wüssten nicht mehr, wie sie ihre Lebensmittel oder ihre Stromrechnung bezahlen sollten, sagte Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands.

Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat bereits Entlastungen für Privathaushalte und Firmen im Umfang von etwa 30 Milliarden Euro beschlossen. Die einzelnen Erleichterungen sollen demnächst wirksam werden. Dazu gehört unter anderem der Energiekostenzuschuss für alle steuerpflichtigen Erwerbstätigen von 300 Euro pro Kopf, die abgesenkte Mineralölsteuer und das 9-Euro-Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr.

Haushalte, bei denen sich mehrere Vergünstigungen addieren, können so dieses Jahr 600 oder 700 Euro zusätzlich vom Staat erhalten. Bisher gelten die Entlastungen jedoch meist nur vorübergehend. Danach schlägt die Inflation wieder voll in die Haushaltsbudgets besonders der Geringverdiener durch.

Erheblichen Einfluss auf die Inflationsrate hat auch die EZB. Mit zunehmender Teuerung steigt der Druck auf die europäische Notenbank, ihre Zinsen anzuheben. „Die Geldpolitik ist gefordert“, sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel am Mittwoch. Er stellte in Aussicht, die EZB könnte ihre Zinsen schon im Juli erhöhen – früher als bisher gedacht.

Und schließlich spielt die Lohnpolitik der Gewerkschaften eine Rolle. Die Forderungen der Arbeitnehmervertretungen für Tariferhöhungen in Deutschland waren bisher moderat. Das könnte sich ändern. Denn auch die Millionen Gewerkschaftsmitglieder spüren die Preiserhöhungen. Steigende Verdienste wiederum werden die Unternehmen als Begründung verwenden, weshalb sie die Preise noch weiter erhöhen.

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