Audiowalk in der Hasenheide: „Ein Gegenentwurf des Bewegens“

Nora Tormann sucht mit einer Performance in der Hasenheide, dem Park von Turnvater Jahn, nach Spuren der Verbindung von Choreografie und Ideologie.

Turnvater Friedrich Ludwig Jahn in der Hasenheide Foto: imago

taz: Nora Tormann, am Donnerstag ist die Premiere Ihrer Performance „TURN – Kartographie einer Bewegung“ in der Hasenheide in Neukölln. Was erwartet das Publikum?

Nora Tormann: Die Performance ist ein choreografischer Audiowalk, das heißt, den Besucher_innen wird über Funkkopfhörer eine Geschichte erzählt. Es sind die Gedanken einer Flaneuse, die durch den Park streift und beim Herumstromern Vergangenheit und Gegenwart der Hasenheide zusammenbringt. Dazu gibt es grafische Interventionen in Form von kleineren Gruppen von Performer_innen, die an verschiedenen Punkten tänzerisch mit dem Ort interagieren.

Am Donnerstag, den 21. April um 18 Uhr ist Premiere des von Nora Tormann konzipierten Audiowalks „TURN – Kartographie einer Bewegung“ in Koproduktion mit TATWERK I Performative Forschung. Weitere Vorstellungen: 22. April,18 Uhr; 23. April,14 & 18 Uhr; 24. April 18 Uhr

Der Audiowalk kann auf Deutsch und Englisch gehört werden und dauert ca. 60 Minuten. Während der gesamten Vorstellung läuft das Publikum auf und abseits der angelegten Wege durch die Hasenheide. Bequemes Schuhwerk und wettergerechte Kleidung werden dringend empfohlen. Der Audiowalk wurde nicht für Kinder entwickelt und enthält viel Text. Alle Inhalte des Stücks sind jugendfrei.

Treffpunkt/Einlass: Hasenheide, Eingang Freiluftkino, Einlass startet 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn. Im Anschluss: Mobiler Nach(t)spaziergang mit Tobias Gralke in Zusammenarbeit mit Theaterscoutings Berlin. Weiteren Infos und Tickets unter www.noratormann.com. (BoW)

Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Projekt gekommen und wie haben sich die Akteur_innen zusammengefunden?

Ich habe 2017 in einem Workshop mit zwei weiteren Personen ein choreografisches Konzept erarbeitet, in dem wir uns damit beschäftigt haben, inwieweit die Inszenierung des Turnens prädestiniert dafür ist, ideologisch aufgeladen zu werden. Seitdem hat mich das Turnen nicht mehr losgelassen. Und weil diese Verschränkung von Choreografie und Ideologie mit der Gründung der Turnbewegung 1811 in der Hasenheide seinen Anfang genommen hat, habe ich im Rahmen zweier Stipendien Forschung zur Geschichte der Hasenheide gemacht. Auf dieser Grundlage habe ich dann ein sehr buntes Team eingeladen, das hauptsächlich aus FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nonbinary, trans, d. Red.) besteht, um diesen Audiowalk zu entwickeln.

Wer gehört dazu?

Da gibt es Performer_innen, Dramaturginnen, Sound-Designerinnen, Techniker_innen, und alle haben großen Einfluss darauf, was passiert. Ich mache die Regie, bin verantwortlich für die Choreografie und leite die Proben. Für mich bedeutet Choreografie nicht, exakte Schrittfolgen vorzugeben, sondern einen Rahmen zu schaffen, der das gemeinsame Bewegen strukturiert.

Nora Tormann, in Berlin lebende_r Künstler_in und Dramaturg_in, arbeitet mit Performance, Choreografie und Schreiben.

Die Vergangenheit der Hasenheide ist geprägt von Turnvater Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), der dort erstmals öffentlich Gymnastikübungen durchführte. 1936 haben die Nationalsozialisten den Park für die Olympischen Spiele umgebaut. Wie kann an so einem Ort eine Betrachtung aus queerer und antifaschistischer Perspektive gelingen?

Das Antifaschistische und das Queere der Performance steckt in unserer Grundhaltung, aber auch in den künstlerischen Methoden. Wir haben choreografisch nach Wegen gesucht, wie wir unsere Körper im öffentlichen Raum ausrichten können. Das gemeinsame Bewegen hinterlässt schnell einen militaristischen und faschistoiden Geschmack. Mich interessiert, welche Formen ein kritischer, solidarischer und fürsorglicher Gegenentwurf des gemeinsamen Bewegens finden kann – im tänzerischen und im politischen Sinne.

Während dieser Performance hört das Publikum über Kopfhörer die Gedanken einer Flaneuse. Wer ist sie?

Das Flanieren zeichnet sich dadurch aus, unbestimmt durch den Raum zu streifen und mit dem Gehen zu denken, was in Literatur und Philosophie traditionell cis-männlichen (Personen, denen das männliche Geschlecht zugeschrieben wird und die sich mit diesem auch identifizieren, d. Red.) Denkern vorbehalten war. Diese Praxis eignen sich zunehmend auch FLINTA an, um die eigene Präsenz im öffentlichen Raum zu verankern.

Wie sieht die Hasenheide heute aus? Wie ist sie beeinflusst von ihrer Geschichte?

Ich würde sagen, dass die Geschichte des Parks parallel zur heutigen Nutzung existiert. Die Verbindung zur Hasenheide als Gründungsort der Turnbewegung ist durchaus noch da. Andererseits bietet sie heute Raum für sehr verschiedene Nutzungsweisen; da sind die sportlichen Selbstoptimierer, es gibt queeres Cruising, Plätze zum Verweilen … In dieser Vielfalt ist die Hasenheide weit weg von dem, wie sie mal genutzt wurde.

Ist der Bezug auf Jahn überhaupt noch zeitgemäß? Kann das Denkmal weg?

Ich denke nicht, dass wir Turnvater Jahn noch brauchen, weil er eine Figur ist, die in erster Linie patriarchal-nationalistischen Grundsätzen gefolgt ist. Aus bewegungsgeschichtlicher Perspektive ist es aber schon spannend, was er gemacht hat. Jahn war die erste Person, die Bewegung in Gestalt der Turner in den öffentlichen Raum gebracht hat. Mit Turnern sind hier explizit Jungen und Männer gemeint. Das gab es vorher nicht.

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