Steinmeiers Selbstkritik: Blicke nie zurück

Bundespräsident Steinmeier gibt Fehler in seiner Russlandpolitik zu. Ein ungewöhnliches Eingeständnis. Selbstkritik ist im Politikbetrieb selten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im ZDF-Morgenmagazin

Er habe sich geirrt, sagte Steinmeier im ZDF-“Morgenmagazin“ am Dienstag Foto: Michael Kappeler/dpa

Die Bundeswehr war 20 Jahre lang in Afghanistan. Der Einsatz endete mit dem Sieg der Taliban. 2001 war die politische Klasse, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, felsenfest überzeugt gewesen, dass man Militär nach Afghanistan schicken musste. Als die Bundeswehr abzog, gab es keinen verantwortlichen Politiker, der bekannte, man habe sich 2001 geirrt.

PolitikerInnen folgen meist der Doktrin: Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Auch intellektuell begabte PolitikerInnen meiden den kritischen Rückblick, bei dem es offenbar nichts zu gewinnen gibt. Die Geringschätzung des Fehlers ist ein erstaunliches Alleinstellungsmerkmal des politischen Betriebes. Im modernen Management und in Konzernzentralen ist Fehlerkultur State of the Art. In komplexen, offenen Prozessen, die nie gänzlich vorhersehbar und steuerbar sind, sind Fehleinschätzungen unvermeidlich. Kompetent ist daher, wer Fehler erkennt und korrigiert – und nicht, wer dem Publikum vorgaukelt, Fehler würden nur Dummen passieren.

Selbstkritik ist in der Politik zwar kein striktes Tabu mehr, aber doch selten. Angela Merkel entschuldigte sich mal für eine unbrauchbare Coronamaßnahme. Robert Habeck, der eine gewisse Kunstfertigkeit darin entwickelt hat, eigene Zweifel in politisches Kapital zu verwandeln, redet einer „lernenden Politik“ das Wort, die Irrtümer einschließt.

Doch der Unwille, oder sogar die Unfähigkeit Rechenschaft über vergangene Irrtümer abzulegen, gehört noch immer zur habituellen Innenausstattung der Macht. Das für einen moralischen Defekt von PolitikerInnen zu halten, ist allzu kurz gedacht. Die politische Auf­merk­sam­keits­ökonomie, zu der wir, das Publikum, gehören, belohnt selbstkritische Reflexionen wenig. Wer Fehler zugibt, dem trauen wir für die Zukunft nicht mehr so recht über den Weg. Die öffentliche Meinung ist ein Säurebad. Und wer sich öffentlich korrigieren muss, steht schnell in dem Ruf, unfähig zu sein. Aus Fehlern werden in der atemlosen Rhetorik des politischen Tagesgeschäfts schnell Desaster, Katastrophen – und somit Unverzeihliches.

Banales Eingeständnis

PolitikerInnen stecken in einer unschönen Doublebind-Situation. Sie sollen aufrichtig und, bitte schön, selbstkritisch sein – aber wenn sie es sind, nimmt es das Publikum schnell übel. Ganz Raffinierte wie Jens Spahn haben angesichts dieser Falle die Vorabentschuldigung erfunden: Man werde sich am Ende viel verzeihen müssen, kündigte Spahn zu Beginn der Pandemie an. Genutzt hat ihm das am Ende allerdings auch nichts.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nun bekannt, fälschlicherweise zu lange an der Gaspipeline Nord Stream 2 festgehalten zu haben. Er habe „sich geirrt“ und nicht für möglich gehalten, dass Putin „den Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde“.

Diese Selbsterkenntnis klingt etwas banal. Derzeit glaubt nur noch die AfD an Nord Stream 2. Es ist fast in der gesamten EU Konsens, dass man, so schnell es eben geht, keine Energie mehr aus Russland kaufen wird.

Hartnäckiger Irrtum

Steinmeiers Selbstkritik spiegelt also nur das Offensichtliche wider. Angesichts der Fotos, die ihn vertraulich mit Putin und Außenminister Lawrow zeigen, folgt sie einem politischen Opportunitätskalkül. Selbstkritik von PolitikerInnen ist fast immer auch der Versuch, ein Ventil zu öffnen, um Druck aus dem Kessel zu lassen.

Der Bundespräsident steht qua Job zudem über dem machtpolitischen Alltagsgerangel. Er muss keine Listenaufstellung und innerparteiliche Konkurrenz fürchten, die ihm Fehler, die er ja selbst zugegeben hat, bei passender Gelegenheit unter die Nase reibt.

Macht Steinmeier sich also nur einen schlanken Fuß, bringt sich billig aus der Schusslinie, hoffend, dass Selbstkritik gegen Kritik imprägniert? Dieser Verdacht ist naheliegend, aber vorschnell. Er ignoriert, dass, wer Irrtümer eingesteht, erst mal ungeschützt im Offenen steht und immer ein schwer abschätzbares Risiko eingeht. Angela Merkels dürrer Satz, sie stehe zum Nein zum Nato-Beitritt der Ukraine von 2008, erklärt hingegen nichts. Ein Satz, das ist ein unguter Mittelweg zwischen Schweigen und Begründen.

Steinmeiers Selbstkritik ist vor allem ungewöhnlich. Vielleicht sollten wir, die Öffentlichkeit, generöser mit Selbstkritik umgehen. Denn die fehlerfreien PolitikerInnen sind ein Bild, an das ja kaum jemand glaubt, das aber gleichwohl enorm zählebig ist. Von Steinmeier würde man hingegen gern mehr erfahren. Nicht nur, dass er sich in Putin getäuscht hat, sondern auch, warum dieser Irrtum so hartnäckig war.

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