Mutmaßliche russische Kriegsverbrechen: Wie jetzt ermittelt wird

Russland bestreitet alle Vorwürfe, Zivilisten in Butscha erschossen zu haben. Die Ukraine kann mit dem Den Haager Chefermittler zusammenarbeiten.

Gemeindearbeiter zerschneiden eine weiße Binde, mit der die Hände eines Leichnams gefesselt ist

Butscha am 4. April: Zwei Mitarbeiter der Kommune beseitigen Leichen von der Straße Foto: Sergei Supinsky/afp

FREIBURG taz | Selten lassen sich mutmaßliche Kriegsverbrechen so gut untersuchen, wie die von der Ukraine angeprangerte Tötung von wohl Dutzenden Zivilisten in der Kleinstadt Butscha, nördlich von Kiew. Derzeit sind keine Kampfhandlungen in der Stadt und die Ukraine hat die Kontrolle von Butscha übernommen. In anderen Fällen dauert es oft Jahre, bis Leichen aus Massengräbern exhumiert werden können.

Sollten abziehende russische Soldaten wirklich wahllos Zivilisten auf der Straße erschossen haben, wäre das ein schweres Kriegsverbrechen. Von der russischen Seite wird das natürlich bestritten. Sie behauptet, die Ukraine habe Leichen zurechtgelegt, um falsche Anschuldigungen erheben zu können.

Manche Putin-Fans versteigen sich gar zum Vorwurf, die Ukrainer hätten die Zivilisten nur für diesen Zweck selbst umgebracht. Der inzwischen oft zitierte russische Journalist Alexander Kots meint, die Zivilisten seien Sympathisanten der Russen gewesen (erkennbar an weißen Armbinden) und deshalb vom ukrainischen „Volkssturm“ aus Rache ermordet worden.

Die Stadt Butscha ist noch Sperrgebiet, die Leichen können also sofort untersucht werden: Wann sind die Menschen etwa getötet worden (vor oder nach Abzug der russischen Armee)? Wann genau sind die Russen abgezogen? Mit welcher Munition wurden die Zi­vi­lis­t:in­nen erschossen? Wer benutzt solche Munition? Wie viele der Getöteten trugen weiße Armbinden und warum?

Ermittlungsteam seit Anfang März in der Ukraine

Damit keine Zweifel an der Unabhängigkeit der Untersuchung aufkommen, können die ukrainischen Behörden mit dem Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), dem Briten Karim Khan, zusammenarbeiten. Er hat schon Anfang März ein Ermittlungsteam in die Ukraine geschickt.

Khan und seine Vorgängerin Fatou Bensouda haben schon seit 2014 Voruntersuchungen zur Situation in der Ukraine durchgeführt. Anfang März hat Khan auf Ersuchen von inzwischen 41 Staaten (inklusive Deutschlands) offizielle Ermittlungen aufgenommen.

Es geht bei diesen Ermittlungen um Vorgänge auf der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim, um die Kämpfe um die separatistischen Gebiete um Donezk und Luhansk in der Ostukraine, aber auch um die aktuellen Verbrechen nach der russischen Invasion, die im Februar begann. Die Untersuchung richtet sich bisher nicht nur gegen die russische Seite, Präsident Wladimir Putin wird nicht einmal erwähnt. Khan und seine Ermittler können also auch Vorwürfe gegen die ukrainische Armee prüfen, etwa dass russische Kriegsgefangene gefoltert worden sein sollen.

Die Mittel sind begrenzt

Khan räumt ein, dass seine Mittel begrenzt seien. Inständig bat er daher die 123 Staaten, die den Den Haager Strafgerichtshof tragen, um mehr Geld und die Abstellung von Personal. Anfang März hat Khan auch ein Webportal eröffnet, mit dem Privatpersonen dem Ermittlungsteam Informationen, Fotos und Videos zukommen lassen können.

Gewisse Tradition hat die Zusammenarbeit des Chefanklägers mit NGOs wie Human Rights Watch. So kann die Den Haager Anklagebehörde von Kontakten und Ortskenntnissen der Ak­ti­vis­t:in­nen profitieren. Allerdings haben auch NGOs oft eine eigene Agenda, weshalb die Vorprüfungskammer des IStGH, die über Haftbefehle und Anklagen entscheidet, sich nicht nur auf NGO-Material verlassen will.

Für den Ukraine-Krieg kann Khan eines Tages auch auf Erkenntnisse einer Untersuchungskommission zurückgreifen, die der UN-Menschenrechtsrat im März eingesetzt hat. Die deutsche Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sammelt im Rahmen eines Strukturermittlungsverfahrens zwar auch Informationen. Zu den Vorgängen in Butscha wird sie aber wohl nur dann etwas beitragen können, wenn Zeu­g:in­nen oder Tä­te­r:in­nen nach Deutschland flüchten und hier befragt werden können.

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