Urteil wegen besonders schwerer Untreue: Nur eine Version der Geschichte

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der EWE AG wurde wegen Untreue verurteilt. Doch seine Rolle im Energiekonzern kann auch anders erzählt werden.

Matthias Brückmann, ehemaliger Vostandsvorsitzender der EWE AG, sitzt im Anzug und mit Mund-Nasen-Schutz im Gerichtssaal

Verurteilt: Matthias Brückmann führte den Oldenburger Energiekonzern EWE AG von 2015 bis 2017 Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

OLDENBURG taz | Ein Urteil bringt eine Entscheidung in einem Strafverfahren. Andere Versionen darüber, wie es sich auch zugetragen haben könnte, treten zurück, sobald Kammer, Staatsanwaltschaft, Angeklagte, Verteidigung und Zuschauer sich erheben, „im Namen des Volkes“. Dann ist da nur noch das Urteil mit seiner Herleitung.

Im Falle des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der EWE AG, Matthias Brückmann, der den Oldenburger Energiekonzern von 2015 bis zu seiner Entlassung 2017 führte, lautet es zehn Monate auf Bewährung wegen Untreue und besonders schwerer Untreue. 18.000 Euro muss er zudem an den Deutschen Kinderschutzbund zahlen. Der ebenfalls angeklagte und weiterhin bei der EWE tätige Vorstand Michael Heidkamp hingegen wurde von den gleichen Tatvorwürfen freigesprochen.

Kern des Strafverfahrens war eine Spende an die Stiftung der Boxbrüder Klitschko in Höhe von 253.000 Euro, die Brückmann bei einer Gala zum 40. Geburtstag Wladimir Klitschkos am 25. März 2016 in einem Kiewer Hotel zugesagt hatte – schwierig angesichts der Spendenrichtlinie des Konzerns.

Zu hoch, zu eigenmächtig und zu tölpelhaft, da es ja Brückmann selbst war, der die Richtlinie kurz zuvor geändert hatte. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Werner Brinker sollten dem Chef nun nur noch 50.000 – nicht 500.000 – Euro frei Hand zur Verfügung stehen. Der Aufsichtsrat hätte der Spende an die Klitschkos zustimmen müssen.

Es mag auch Eitelkeit mit ihm Spiel gewesen sein

Brückmann trug das einige Wochen mit sich herum; als wäre ihm die Zusage – bei klarem Kopf nach der Gala – selbst nicht geheuer. Er beschrieb vor Gericht, wie ihn die Präsentation der Klitschko-Stiftung und deren Arbeit für arme Kinder so sehr berührt hatte, dass er spontan zugesagt habe, so viel zu spenden, dass die von den Klitschkos erhoffte Gesamtsumme von drei Millionen US-Dollar erreicht wird – umgerechnet 253.000 Euro.

Es mag, so verstand man ihn bei seiner Einlassung, auch Eitelkeit mit ihm Spiel gewesen sein. Matthias Brückmann, der Chef eines in Oldenburg weltberühmten Energiekonzerns, macht in einem Saal voller Wichtigs und Sich-für-wichtig-Haltenden die drei Millionen voll.

Er habe in die Unternehmenskasse gegriffen, um sein Privatvergnügen zu finanzieren – Untreue, ganz klar

Als er den Vorstandskollegen – darunter auch der Mit­angeklagte Heidkamp – Wochen später bei einem Italiener in Heidelberg davon erzählte, muss allen klar gewesen sein: Nein, eine Spende kriegen wir nicht durch; aber lasst uns eine Sponsoringvereinbarung daraus machen, dann gäbe es wenigstens eine Gegenleistung. Eine Werbekampagne für die EWE-Telefontochter mit Fotos von Klitschko (Slogan „Ein unschlagbares Angebot“), Imagefilmchen, Eintrag ins Goldene Buch der Stadt.

Das ging hin und her, Skeptiker aus Brückmanns EWE wurden abgekanzelt, die Klitschko-Stiftung wollte nicht länger auf das Geld warten, distanzierte sich von dem Sponsoringgerede und drängelte – da ließ Brückmann, Monate nach der Gala, eine Zahlungsanweisung ausstellen und bat „überfallartig“, wie es der Vorsitzende Richter sagte, den Vorstandskollegen Heidkamp darum, ebenfalls zu unterschreiben. Solche Beträge benötigen immer zwei Unterschriften. Heidkamp will sich versichert haben, dass die Spende nun klar gehe, Brückmann bejahte.

„Auf Teufel komm raus“ und „gegen alle Widerstände“ habe Brückmann das Geld endlich überweisen wollen, sagte der Vorsitzende Richter. Und das nicht, um mildtätig zu wirken, sondern um sein Gesicht vor den Klitschkos und einem Freund, der ihn mit den Boxern zusammengebracht hatte, nicht zu verlieren.

Er reduzierte überbordende Spendenaktivitäten

Besonders schwere Untreue also bei Brückmann, Freispruch für Heidkamp, der mit dem zweiten Vorwurf nichts zu tun hatte: Brückmanns Sause mit mehreren Männern des Vereins „Mannheimer Kochschürze“. Gemeinsam ließen sie es sich in Oldenburg gut gehen, die Rechnung über knapp 12.000 Euro lud Brückmann der EWE auf.

Das Gericht wertete seinen Erklärungsversuch, den Glanz dieses Vereins auf Oldenburg abstrahlen zu lassen, als „lebensfremd“. Er habe in die Unternehmenskasse gegriffen, um sein Privatvergnügen zu finanzieren – Untreue, ganz klar.

Ein Urteil erledigt alle anderen Versionen. Eine davon kleidete Brückmanns Strafverteidiger Alfred Dierlamm, Wiesbaden, in sein Plädoyer. Sein Mandant sei erfolgreich gewesen, 2016 das beste Konzernergebnis der EWE-Geschichte.

Sein Fehler: Er habe einen Kulturwechsel eingeleitet und mit dem „System Brinker“ – Brückmanns schillerndem Vorgänger – aufgeräumt: Er reduzierte überbordende und undurchsichtige Spenden- und Sponsoringaktivitäten von 25 auf 12,6 Millionen Euro, strich dem teuren „EWE-Sailingteam“, Werder Bremen und den Oldenburger Handballerinnen das Geld und – eventuell das denkbar Schlimmste – einem örtlichen Tennisverein. Brückmann habe auch eine Dienstwagenrichtlinie eingeführt; Schluss war nun mit Sportwagen nach Gusto und getunten Autos höchster Preisklassen.

Man habe ihn „regelrecht bekämpft“

„Wer so agiert, tritt vielen auf die Füße“, sagte Dierlamm. Die Klitschko-Spende sei gerade recht gekommen, um Brückmann loszuwerden. Man habe ihn „regelrecht bekämpft“, im Februar 2017 wurde er fristlos entlassen.

Wie viel aber hätten Aufsichtsrat und auch die Staatsanwaltschaft zuvor EWE-Chef Brinker durchgehen lassen? Die an Führungskräfte weit unter Marktwert vermietete Ferienwohnung auf Juist, Schmiergeldzahlungen an den Bürgermeister von Eberswalde, Überweisungen an die dubiose Präventionsagentur Prevent („Sign“) in Millionenhöhe.

Vielleicht stimmt es, vielleicht störte Brückmann zu sehr ein System, das so gut funktionierte mit einem Unternehmen, das Landschaftspflege betrieb, Netzwerke stabil hielt. Der Aufsichtsrat galt lange Zeit als brinkertreu, man hatte sich so gut eingerichtet – und dann kommt einer aus Mannheim und macht alles kaputt. Kann sein. Vor Gericht spielte diese Version und das „System Brinker“ aber keine große Rolle.

Zehn Monate auf Bewährung, 18.000 Euro. Dierlamm kündigte Revision an. Man werde das Urteil durch den Bundesgerichtshof überprüfen lassen.

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