Psychische Belastung und Selbsthilfe: Was jetzt helfen könnte

Klimakrise, Pandemie, Krieg: Es passiert so viel Schreckliches, dass es uns überfordern kann. Drei Vorschläge, wie man das psychisch aushält.

Ein Helfer hält ein Schild mit der Flagge der Ukraine auf einem Bahnsteig im Hauptbahnhof hoch.

Mitgefühl hilft, noch besser wirkt aktive Solidarität Foto: Marcus Brandt/dpa

Medienhygiene

Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Kriegs- und Katastrophen-News. Die einen kommen vom Fernseher oder Smartphone nicht mehr los, die anderen vermeiden alle News. Me­di­en­psy­cho­lo­g:in­nen sagen: Hyperkonsum von Nachrichten ist genauso schlecht wie völliges Abschalten, man kann sich ja nicht aus der Welt beamen. Besser ist ein Mittelweg, der für jedes Individuum anders aussehen kann.

Dafür sollten Menschen ins eigene Innere horchen, was Nachrichten auslösen, gegebenenfalls den Medienkonsum reduzieren und Pausen einlegen. Zu Putins psychologischer Kriegsführung gehört, dass wir alle Angst vor dem Atomkrieg haben sollen. Hilfreich ist hier, sich zu sagen: „Ich erlaube Putin nicht, mein Inneres zu besetzen. Angst darf sein. Aber Angst spricht nicht die Wahrheit.“

Wir Menschen sind Augentiere, unser Sehsinn ist der stärkste Sinn. Deshalb können Fotos und Filme besonders stark schockieren und Retraumatisierungen auslösen. Das Zeigen von Bildern des Terroranschlages von 9/11 führte laut einer Studie der britischen Bradford University bei mehr als jedem fünften Studienteilnehmenden zu Stressreaktionen, die einer posttraumatischen Belastungsstörung vergleichbar waren.

Schlimme Nachrichten können uns in einen Zustand versetzen, den der US-Psychologe Martin Seligman „erlernte Hilflosigkeit“ nennt. Es reicht schon, wenn wir im Fernsehen andere hilflose Menschen sehen, etwa weinende Bombenopfer, um uns selbst ohnmächtig zu fühlen. Wir werden passiv, vielleicht sogar depressiv, unsere Hilfsbereitschaft sinkt. Vor allem Frauen reagieren mit Schuldgefühlen, die aber weder ihnen noch den Opfern nutzen.

Wer Bilder aus der „Tagesschau“ schwer verkraftet, sollte besser Radio hören oder Texte lesen, sie lassen mehr Distanz zu. Es dient keinem Bombenopfer der Welt, wenn man deshalb nicht mehr schlafen kann. Nützlicher ist es, sich täglich die „guten Nachrichten im Schlechten“ zu notieren. Etwa Geschichten der Solidarität oder Anzeichen der Machterosion Putins.

Selbstfürsorge

Vor allem für die Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder sind Kriegsbilder schwer zu ertragen. Sie schlafen schlecht, haben Albträume, vielen kommen Erinnerungsfetzen hoch. Ähnlich geht es jenen, die im Kalten Krieg in den 1980er Jahren mit einem Atomkrieg gerechnet haben. Junge Menschen wiederum haben weniger Erfahrung im Umgang mit Weltkrisen und reagieren deshalb ebenfalls oft verängstigt.

Aus der Traumaforschung weiß man: Unser autonomes Nervensystem funk­tioniert vollkommen unabhängig von unserem Verstand und lässt sich durch rationale Argumente weder beeindrucken noch beruhigen. Bei Bedrohungen, sei es unmittelbar oder über Medien­bilder, kennt es nur drei Reaktionsweisen: Flüchten, Angreifen oder Erstarren. In allen Fällen schütten die Neben­nieren Stresshormone aus, Adrenalin und Cortisol, das Herz schlägt schneller, Körper und Muskeln bereiten sich auf Flucht oder Angriff vor. Ein Trauma ist ein Erstarrungszustand. Das Nervensystem bleibt in der Übererregung hängen und kann nicht mehr entspannen. Aktiv zu bleiben ist hier die beste Vorbeugung: demonstrieren, protestieren, Geflüchtete aufnehmen, Geld spenden, je nach Möglichkeit.

Für eine gute Selbstfürsorge ist wichtig, Empathie und Mitgefühl möglichst zu trennen. Empathie be­deutet, den Schmerz der Opfer zu fühlen, es fließt wie das Einatmen von außen nach innen und kann uns lähmen. Mitgefühl bedeutet, dass unsere Herzenswärme den ­Opfern gehört, ohne ihre Schmerzen mitzuempfinden, es fließt wie das ­Ausatmen von innen nach außen und lässt uns aktiv bleiben. Mit Atemübungen kann man das Mitgefühl zu stärken versuchen – beim verlängerten Ausatmen in Gedanken an jene, die es brauchen.

Noch besser wirkt aktive Solidarität, sie nutzt nicht nur anderen, sondern auch uns selbst. Denn sie unterstützt ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, was laut vielen Studien wirksam vor Ängsten, Ohnmachtsgefühlen und Traumata schützen kann. Aber auch hier sollte man ein Zuviel vermeiden: Hyperaktivität kann im Burn-out enden und hilft den Opfern nicht.

Die Spannbreite für Aktivitäten ist sehr breit. Auch kleine Schritte sind wertvoll, vor allem wenn sie massenhaft praktiziert werden. Wir können putinfreie Zonen schaffen, indem wir uns in Haushalt und Lebensweise von Gas und Öl befreien: langsamer oder gar nicht mehr Auto fahren, nicht mehr fliegen, Gasherde durch Elektroherde, konven­tionelle Lebensmittel durch Bio-Lebensmittel ersetzen, weil Kunstdünger riesige Mengen Putin’scher Energien verbraucht. Das nützt Frieden und Klima gleichzeitig.

Sehr wichtig sind Gespräche. Reden ist gemeinschaftliches Bewältigen und hilft über Ängste hinweg. Wer zu Schwarzsehen neigt, sollte sich gezielt Gesprächspartner suchen, die resilienter und optimistischer eingestellt sind. Verängstigte Familienmitglieder oder Freund:innen, die sich zu isolieren beginnen, kann man vielleicht mit Frühlingsspaziergängen herauslocken.

Perspektiven und Visionen

Manche denken, dass Visionen und Utopien „Gut-Wetter-Produkte“ seien. In Kriegs- und Krisenzeiten, wenn es ums Überleben geht, sei man dazu nicht fähig. Aber man überlebt manchmal auch nur durch Visionen. Der jüdische Arzt Viktor Frankl, der unter den Nazis vier KZs durchlitt, war dazu nur fähig, weil ihm Visionen dafür die Kraft und seinem Leben einen Sinn gaben. „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“, formulierte er später in Anlehnung an Nietzsche.

Auf dem Höhepunkt von Hitlers Macht entwarfen US-Präsident Roosevelt und der britische Premier Churchill 1941 bei einem Geheimtreffen die „Atlantik-Charta“ mit acht Prinzipien, darunter das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, Unverletzlichkeit der Grenzen und ein Leben frei von Furcht. Sie diente später als Basis für die Gründung der UNO und der europäischen Nachkriegsordnung. Wie könnte eine neue Nachkriegsordnung aussehen? Es lohnt sich, schon jetzt darüber nachzudenken. Auch darüber, was man selbst, ohne Roosevelt zu heißen, im Kleinen dafür tun kann.

Vielleicht ist auch der Gedanke hilfreich, dass weltweit Millionen und Abermillionen von Gruppen und Organisationen verbunden sind in der Sehnsucht nach Frieden, Gerechtigkeit und Regeneration des Planeten. Nach den Worten des US-Visionärs Paul Hawken ist die globale Zivilgesellschaft „die größte Bürger­initiative der Welt“.

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