berliner szenen
: „Einen schönen Tag noch“

Mein Verhältnis zu dieser Stadt ist gerade kein gutes. Sie wirkt kalt und unwirtlich auf mich und ist mir über die Jahre fremd geworden. Deshalb reizt es mich zurzeit auch nicht wirklich, in der Stadt herumzufahren. Schon gar nicht mit den Öffentlichen.

Auch die Menschen sind mir irgendwie fremd gerade. An den maskenlosen Alltag gewöhne ich mich nur schwer. Nur widerwillig fahre ich an einem Samstagvormittag von Moabit bis ins tiefste Neukölln. Es ist trüb und grau, der Wind pfeift, und aus dem S-Bahn-Fenster sehe ich vor allem eines: Baustellen.

Als in der Ringbahn ein angetrunkener Obdachloser einsteigt, verfalle ich unweigerlich in Alarmbereitschaft. Immerhin trägt er eine Maske.

Ihm folgen zwei zerzaust und altersschwach aussehende Hunde. Der Mann setzt sich in den Vierer neben mich und breitet einen Schlafsack auf der ihm gegenüberliegenden Bank aus. Ein Zeichen abwartend, hüpfen die beiden Hunde nacheinander auf das ihnen bereitete Schlafgemach und rollen sich darauf zusammen.

„Einmal die Fahrscheine bitte“, tönt es da plötzlich vom anderen Ende des Waggons. Der Obdachlose flucht leise und ich habe Mitleid, aber weder einen zweiten Fahrschein noch Bargeld, mit dem ich aushelfen kann.Auf das Schlimmste gefasst, beobachte ich, wie die beiden Kontrolleurinnen auf uns zukommen. Er habe keinen Fahrschein, nuschelt der Obdachlose. Ein kontrollierender Blick streift die Hunde auf der Bank: „Alles klar, dann einen schönen Tag noch“, ist das Einzige, was ich höre. Schon sind die beiden Damen ausgestiegen.

Der Obdachlose kramt eine Flasche Wodka aus seiner Tasche und prostet mir zu. Und ich? Ich fühle mich zum ersten Mal seit Langem etwas versöhnt mit dieser Stadt. Sophia Zessnik