Orte des Wissens
: Energiewende in vier Wänden

In einem Haus in Hamburg-Bergedorf simulieren Forschende, wie die Energieversorgung der Zukunft funktionieren kann

„Das Gebäude ist nicht nur der Ort, an dem wir forschen, es ist auch unser Forschungsgegenstand“

Von Anaïs Kaluza

In einer Sackgasse am Hamburger Stadtrand steht ein unscheinbares Haus: ein Neubau mit Flachdach, zwei Etagen, grauer Anstrich. Das Haus wird nicht bewohnt, es wird beforscht.

Hans Schäfers öffnet die Tür. Er ist Professor für Energieeffizienz an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft (HAW). Mit rund 30 Kol­le­g*in­nen aus Maschinenbau und Physik, Biochemie und Elektrotechnik arbeitet er hier, im „Technologiezentrum Energie-Campus“. Gemeinsam simulieren sie unter diesem Dach die Energiewende.

Vor sieben Jahren wurde das Zentrum eröffnet. Hamburg förderte den Bau mit 3,9 Millionen Euro. Olaf Scholz (SPD), damals noch Erster Bürgermeister, war beim Spatenstich 2014 dabei. Mit einem Spachtel verteilte er Zement auf dem Grundstein und nannte das Haus „Silicon Valley für Erneuerbare Energien“. Was passiert hier?

Schäfers beginnt die Führung auf dem Dach. Zwischen Kieselsteinen reihen sich Solarzellen aneinander, in der Ferne ragen fünf Windräder in den Abendhimmel. Synchron drehen sich ihre Blätter. „Das sind die zwei Säulen der Energiewende“, sagt er: Photovoltaik und Windkraft. Sie sollen in Zukunft ausgebaut werden. Hans Schäfers sagt aber auch: „Unseren Grundbedarf werden sie nie abdecken können.“

Warum? Weil Wind- und Sonnenenergie wetterabhängig sind. Die Stromerzeugung daraus schwankt. Und speichern lässt sich Strom nur in kleinen Mengen. Noch können Kohle, Öl und Erdgas diese Schwankungen ausgleichen. Doch was passiert, wenn die Kohlekraftwerke abgeschaltet sind, oder der Import von russischem Öl und Gas stoppt? „Genau hier setzen wir an“, sagt Schäfers und läuft zurück zum Treppenhaus, „gehen wir nach unten.“ Im Erdgeschoss betritt er die Werkhalle. Metallrohre winden sich um die Wände und wandern durch die Decke, manche dick wie Äste, andere dünn wie Bleistifte. Schäfers öffnet die Tür zum „Power-to-Gas-Raum“. Hier wird mit Strom klimafreundliches Gas erzeugt: Das lässt sich gut speichern und nach Bedarf in den Energiekreislauf einspeisen.

Schäfers deutet auf einen grauen Kasten an der Wand: „Das ist unser Elektrolyseur.“ Durch einen Schlauch fließt Wasser in den Kasten, durch ein Kabel Strom. Der Strom spaltet das Wasser im Elektrolyseur auf: in Sauerstoff und Wasserstoff, ein brennbares Gas. Aus elektrischer wird so chemische Energie. Aus grünem Strom wird grünes Gas. „Den Wasserstoff lagern wir in Stahlflaschen auf dem Dach“, sagt Schäfers. „Bei Bedarf können wir ihn in unserem Blockheizkraftwerk verbrennen und damit wieder Strom und Wärme erzeugen – ohne dass klimaschädliches CO2 entsteht.“

Mit überschüssigem Strom Wasserstoff gewinnen und speichern: Das ist eine Lösung, die Energieversorgung der Zukunft planbarer zu machen. Im Haus gibt es noch viel mehr Technologien: einen CO2-Staubsauger, der Kohlendioxid aus der Luft filtert. Eine Wärmepumpe, die das Haus im Sommer kühlt und im Winter heizt. Einen Bioreaktor voller Archaeen, die aus Wasserstoff und Kohlendioxid Methan machen, also grünes Erdgas.

Alle Anlagen greifen ineinander und versorgen das komplette Haus mit Strom und Wärme. „Das Gebäude ist nicht nur der Ort, an dem wir forschen“, sagt Schäfers, „es ist auch unser Forschungsgegenstand.“ In ihren Büros analysieren die Forschenden, wie man die Anlagen effizient aufeinander abstimmt, wie man sie optimal einstellt und auf die Praxis überträgt. Die HAW kooperiert dafür mit Hamburger Indus­trie-Unternehmen. Denn noch gibt es die meisten dieser Technologien nur –im Labor.