schurians runde welten
: Im Abseits stehen

„In den vier Wochen haben wir eine tolle Kameradschaft aufgebaut. Und alle haben dieses große Ziel verinnerlicht.“ (Jürgen Klinsmann)

Der höflichste Bettler der Stadt nähert sich von der Seite und flötet dazu „entschuldigen Sie bitte, entschuldigen Sie bitte“. Er hätte noch mehr Erfolg, wenn er sich nur daran erinnern könnte, wen er bereits um Geld gebeten hat. Er gleicht einem Butler verarmter Herrschaften, bändigt seine schütteren schwarzen Haare mit viel Pomade, hält den Kopf servil schief. Um die weit klaffenden Löcher seiner Khakijeans zu bedecken, lässt er eine Plastiktüte vor seinem nackten Hinterteil baumeln. Aus der letzten Reihe versucht auch er über die Köpfe hinweg dem Ballspiel auf dem Fernsehschirm zu folgen.

Beim Fußball entsteht aus einer sozial zerklüfteten Gesellschaft so etwas wie eine Gemeinschaft. Am Rande des Geschehens stehen die, die sich auch sonst dort wiederfinden.

Vorgestern ging der kleine Testlauf der Fußball-Weltmeisterschaft zu Ende und verspritzte den Ballsport wie ein Schmiermittel übers Land. Fußgängerzonen wurden zu Fußballfanzonen, kein Straßencafé blieb ohne Bild, die Englandisierung ist nicht mehr aufzuhalten: Eine Gesellschaft, die sich bei Bier und Fußball vereinigt.

Dabei handelt es sich beim Kollektivfernsehen nur um Zweitverwertung. Der Fußball überzieht die Klassengesellschaft wie grüne Sauce die Kartoffeln, trennt zwischen denen die Karten haben und denen, die nur den Abklatsch als Fernsehware vorgesetzt bekommen. Die machen freilich das beste daraus: Bejubeln rührend wie verzweifelt die elektronischen Projektionen von Teilnehmern – und bleiben selbst doch nur Empfänger. Damit das Gesellschaftsspiel auch in fünf Jahren die Spielregeln behält, haben sich die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender des Landes am Rande des Federation Cup dauerhaft die Rechte am Weltmeisterschaftsfernsehen gesichert.

Natürlich ist das kein neues Phänomen: Der Fußball kam erst als Versteckspiel zu Geld. Wie die Geschichte des Theaters oder der Lichtspielhäuser ist die Entwicklung des Massensports eine Exklusivstory mit Eintrittskarten. Und wenn die Kugel rollt, wird ja nicht allein das Spiel gefeiert, auch eine Architektur der Verheimlichung. Auf Schalke ist sogar die Vogelperspektive verstellt. In München schwebt eine leuchtende Hülle vor der Stadt, die anlockt, aber aussperrt. CHRISTOPH SCHURIAN