Weltbild eines Autokraten: Putins Spiel mit dem Westen

Putin bespielt verschiedene Diskurse und nutzt ganz verschiedene mit ihnen verbundene Emotionen für sich. Das beherrscht er gut.

präsident Putin in einem Stadion vor Menschen.

Putin am 18.3. bei seiner Rede auf dem Konzert zum achten Jahrestag des Krim-Referendums Foto: Sergei Guneyev/Sputnik/ap

Man konnte in letzter Zeit immer wieder ausführlich über Putins Weltbild lesen. Namen wie Iwan Iljin fielen oder Alexander Dugin. Theoretiker, die die Träume von „Eurasien“, vom Russischen Reich und vom Kampf gegen einen dekadenten Westen untermauern. Damit wird ein konzises Weltbild des russischen Präsidenten gezeichnet. Man möchte dem gar nicht widersprechen. Nur hinzufügen: Da gibt es noch etwas.

Wenn Wladimir Putin in einem Stadion den achten Jahrestag der Annexion der Krim feiern lässt. Wenn dabei eine Popband singt: Lenin und Stalin – das ist unser Land. Wenn dabei auf der Bühne steht: „Für eine Welt ohne Nazismus“ – stellt sich Putin dann in Kontinuität mit der eigenen Geschichte?

Oder sollte man nicht eher sagen: Er bespielt diesen Diskurs, er weckt diese Erinnerungen, er nutzt die Emotionen, die damit einhergehen. Sowjetunion 2.0. Gemeinschaft ohne Kommunismus. Wie bei seiner letzten Rede, wo er die „Selbstreinigung der Gesellschaft“ beschwor und meinte, die Russen würden Verräter „ausspucken wie eine Fliege, die einem in den Mund geflogen sei“.

Genauso hat er auch die ukrainische Politik als „neandertalerhaften und aggressiven Nationalismus und Neonazismus“ bezeichnet. Und vor dem Einmarsch erklärt: „Unsere Vorfahren haben nicht gegen die Nazis gekämpft, damit heutige Neonazis die Macht in der Ukraine übernehmen können.“ Hier eignete er sich die Weihen einer antifaschistischen Tradition an. Ein richtiger Antifa-Diskurs.

Oligarchenclans und Korruption

In seiner langen Rede vor der Invasion kritisierte Putin die Ukraine folgendermaßen: Wahlen und politische Verfahren in der Ukraine dienten nur als Deckmantel für die Umverteilung zwischen Oligarchenclans. Die Behörden dienten nur den Oligarchen, die den Ukrainern Milliarden Dollar gestohlen haben, die nun in westlichen Banken liegen.

Die Korruption habe das übliche Maß überschritten. Es gebe keine unabhängige Justiz in der Ukraine. Der Staat sei privatisiert worden. Unerwünschte Beamten würden entfernt. Es gebe immer mehr Gesetze gegen die Meinungsfreiheit. Die Opposition werde verfolgt. Die Ukraine würde Unternehmen, Fernsehsender und Medien sanktionieren.

Der Mund bleibt einem offen bei diesen Zitaten – denn sie klingen wie die Kritik eines lupenreinen Demokraten. Punktgenau so würde man aus westlicher Sicht Russland kritisieren – würde man es kritisieren dürfen. Aber dies ist die Kritik Putins. An der Ukraine.

Was man hier sieht, das konnte man schon an einer berühmt gewordenen Episode erahnen. 2014 bei einem umstrittenen Wien-Besuch wurde Wladimir Putin in der Wirtschaftskammer von Christoph Leitl mit den Worten begrüßt: „Ich bin schon so lange Präsident, dass ich Sie nun schon zum dritten Mal begrüßen darf.“ Diese Worte quittierte der andere, der russische Präsident völlig unvermittelt mit dem Ruf: Diktatur!

Ihr schimpft mich Diktator

Was nun folgte, war eine äußerst interessante Schrecksekunde. Einen kurzen Moment lang hat die Überraschung die anderen Protagonisten völlig gelähmt. Denn plötzlich hatte der Autokrat auf einer ganz anderen Klaviatur gespielt. Und das auch noch doppeldeutig. Denn der Ausruf war sowohl ironisch als auch irgendwie dissident. Gab er doch „dem Westen“ dessen Botschaft zurück: Ihr schimpft mich Diktator – und was seid ihr?

Ein Autokrat mit Ironie? Autoritarismus ohne heiligen Ernst? Ein postmoderner Herrscher, der mit Diskursen spielen kann? Ein mörderisches Spiel.

Dieser Umgang mit Macht ist damals in der Schrecksekunde in der Wirtschaftskammer aufgeblitzt – und brachte die Leute zum Verstummen. Aber Putin überholte sie alle noch einmal: „Aber gute Diktatur!“ rief er noch hinterher. Und die Leute lachten als wäre das die Erlösung. Gute Diktatur – gibt es für ihn denn eine andere?

Putin mag ein konzises Weltbild haben. Aber Putin kann auch westlichen Diskurs. Er kann damit spielen. Er kann ihn nutzen. Und er benutzt ihn. Er usurpiert diesen westlichen Diskurs mit all seinen Überzeugungen. In vollem Zynismus schickt er dem Westen dessen eigenen Diskurs zurück. Und dieser kommt zurück – zerfleddert und untergraben.

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